Gastkommentar

Die stille Revolution der Erfahrenen

Die „Silberwelle“: Bis 2030 wird es weltweit rund 150 Millionen mehr Arbeitnehmer:innen über 55 geben. Es bedarf einer neuen Arbeitskultur.

Der akute Personalmangel bereitet dem Arbeitsmarkt in Österreich, aber auch weltweit, große Sorgen. Zu wenig Fachkräfte, mangelnde Qualifikationen der jüngeren Generationen sowie die schwindende Bindung an Unternehmen sind nur einige Faktoren, die die Personalabteilungen vor Herausforderungen stellen. Immer mehr rückt nun die zunehmend älter werdende Erwerbsbevölkerung in den Fokus des öffentlichen Diskurses. Wie Unternehmen die erfahrenen High Professionals – hochqualifizierte und erfahrene Expertinnen und Experten in ihren Fachgebieten – langfristig halten oder sie gar neu für sich gewinnen können, zeigt unsere jüngste Bain-Studie „Better with Age: The Rising Importance of Older Workers“.

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Die Silberwelle rollt

Der Trend hin zu einer älteren Arbeitnehmerschaft folgt zwangsläufig dem demografischen Wandel sowie der gesellschaftlichen Notwendigkeit, die Arbeitswelt daran anzupassen. Die Fakten sind bekannt. Zum einen steigt die Lebenserwartung, zum anderen treten durch niedrige Geburtenraten weniger junge Menschen in den Arbeitsprozess ein. Zusätzlich nimmt das durchschnittliche Eintrittsalter in den Beruf aufgrund des tendenziell höheren Ausbildungsgrads zu.

Das ist auch bei uns in Österreich nicht anders. 2021 waren in Österreich rund 16 Prozent der Erwerbstätigen zwischen 55 und 64 Jahre alt. Tendenz für die Zukunft: klar steigend. Laut unseren Analysen werden in den G7-Staaten bis Ende dieses Jahrzehnts voraussichtlich über 25 Prozent der Erwerbstätigen 55 Jahre und älter sein.

Dieser Trend ist auch in Österreich zu verfolgen. Während im Jahr 2011 der Anteil dieser Altersgruppe noch bei elf Prozent lag, soll er bis 2031 bei rund 21 liegen. Im Nachbarland Deutschland dürfte dieser Wert bis dahin auf 27 Prozent steigen. Noch massiver ist die Zunahme in Japan – dort werden bis Ende des Jahrzehnts laut Prognosen bereits knapp 40 Prozent der Erwerbstätigen 55 Jahre und älter sein. Conclusio: Bis 2030 wird es weltweit rund 150 Millionen mehr Erwerbstätige in dieser Altersgruppe geben als heute.

An einer intensiven Auseinandersetzung mit dieser Entwicklung führt demnach kaum ein Weg vorbei. Was bedeutet dies nun für die Unternehmen? Akuter Handlungsbedarf! Und zwar durch zuhören, verstehen und umsetzen.

In den Diskurs gehen

Tatsächlich tut sich aktuell so einiges in der Debatte einer potenziellen Anhebung des Pensionsalters. Das gesetzliche Pensionsalter in Österreich liegt derzeit für Männer bei 65 und für Frauen bei 60 Jahren, wobei das reale Antrittsalter meist niedriger ist. Aufgrund einer Gesetzesanpassung wird das Pensionsantrittsalter für Frauen bereits ab 2024 schrittweise angehoben. Diese Thematik führt nicht nur hierzulande zu hitzigen Diskussionen. Kürzlich hat etwa Frankreich eine Anhebung des gesetzlichen Pensionsalters von 62 auf 64 Jahre beschlossen, was zu teils gewaltsamen öffentlichen Ausschreitungen führte.

Dass die arbeitspolitischen Rahmenbedingungen neu gedacht bzw. neu geschaffen werden müssen, ist unumgänglich. Aber wie reagieren nun Unternehmen auf diese stille „Revolution der ­Erfahrenen“? Fakt ist, dass ein strukturelles Umdenken sowohl auf der Ebene des Top-Managements als auch auf jener der Personalverantwortlichen stattfinden muss. Denn nach wie vor wird in vielen Unternehmen dieser regelrechte Erfahrungsschatz und das Potenzial der älteren Fachkräfte oft unterschätzt – und somit nicht genutzt.

Um künftig für potenzielle erfahrenere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden, bedarf es Recruiting-Maßnahmen, die auf ältere Erwerbstätige zugeschnitten sind. Dafür müssen die Unternehmen jedoch ihre Motivationslage besser verstehen. Aus der Bain-Studie, für die rund 40.000 Beschäftigte weltweit befragt wurden, geht hervor, dass sich deren Prioritäten und Motivationen besonders rund um das 60. Lebensjahr ändern. Während beispielsweise die Vergütung an Bedeutung abnimmt, sind es Faktoren wie eine interessante Aufgabe, Arbeitsplatzsicherheit, Flexibilität und Autonomie, die eine größere Rolle einnehmen.

Ebenso steigt die Loyalität zum Arbeitgeber mit dem Alter. Das gilt es für sich und sein Unternehmen zu nutzen. Beispielsweise fühlen sich laut Studie weltweit 71 Prozent der über 62-Jährigen der eigenen Fima eng verbunden – der Spitzenwert unter allen Altersgruppen. Aber auch in den Bereichen Zufriedenheit mit der Tätigkeit sowie dem Engagement ist ein Anstieg mit zunehmendem Alter zu erkennen.

Neben den individuellen Bedürfnissen erfahrener Erwerbstätiger sollten Unternehmen nicht die Weiterbildung ihrer Belegschaft vergessen. Die Studienergebnisse zeigen, dass gerade in die Gruppe der ab 55-Jährigen wesentlich weniger in Aus- und Weiterbildungen investiert wird als in die jüngeren Generationen. Dabei sind es oftmals die Älteren, die gezielte Fortbildungen benötigen, um sich in der neuen Arbeitswelt gut integrieren zu können. Das belegen auch die Zahlen: Weltweit gaben 22 Prozent der Beschäftigten im Alter von 55 bis 64 Jahren an, dass sie bessere IT-Kenntnisse benötigen.

Die Erfahrung fördern

Nur wer das Potenzial der älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wertschätzt, ihre Kompetenzen und Erfahrungen anerkennt sowie Maßnahmen für die Integration in den Arbeitsprozess schafft, wird mit einem langfristigen Unternehmenserfolg und einer erhöhten Loyalität der Mitarbeitenden belohnt. Lasst uns also diese stille Revolution der Erfahrenen aktiv und gemeinsam mitgestalten!

Dr. Franz-Robert Klingan (*1968), Chemiestudium an der Technischen Universität München. Partner und Leiter der Wiener Niederlassung der Management- und Consultingfirma Bain & Company.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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