Musiktheater Linz

„Freischütz“: Dieser Teufel ist nicht abendfüllend

Stimmliche Leuchtfeuer schafft Erica Eloff als Agathe, hier mit dem Mädchen (Fenja Lukas) und der neu hinzugefügten Hauptfigur, Samiel, dem schwarzen Jäger (Sven Mattke).
Stimmliche Leuchtfeuer schafft Erica Eloff als Agathe, hier mit dem Mädchen (Fenja Lukas) und der neu hinzugefügten Hauptfigur, Samiel, dem schwarzen Jäger (Sven Mattke).Reinhard Winkler
  • Drucken

Jubel und Buhs für Webers „Freischütz“ mit „Samiel“ als neuer Hauptfigur“: Markus Poschner rückt am Pult musikalisch das zurecht, was in Hermann Schneiders Inszenierung in zum Teil langatmige Schräglage gerät. 

Volksfest abgesagt, Hochzeit ein Jahr verschoben, der auf Bewährung davongekommene Bräutigam dankbar, die Braut bitter enttäuscht, alle Gäste heimgeschickt, der C-Dur-Jubel des Schlusschores nur noch aus dem Off. Und zu den finalen Akkorden stolpert schon wieder ein Teufelsbündler in Samiels düsteren Kaminsaal, vom Hausherrn hämisch begrüßt: Nein, ein glückliches Ende schaut anders aus.

Man ist es längst gewöhnt: An Carl Maria von Webers genial-schauerromantischem, epochalem „Freischütz“ reibt sich die Regiezunft oft mit Lust, aber wenig Gewinn. Heimatfilm und/oder Horrormovie? Das ohnehin nur vermeintliche Idyll des Stücks wird zumeist mittels Gamsbart & Co. verulkt statt in seiner Brüchigkeit gezeigt; für das Grauen fehlt es nicht selten an Handwerk, weshalb Dekonstruktion einspringen muss.

Zuletzt ist David Marton mit seiner langatmigen Dunkelkammer-Umdeutung im Musiktheater an der Wien gescheitert; davor an der Staatsoper Christian Räth, der das Stück zum Künstler- und Inspirationsdrama hinbiegen wollte. Bei allen Schwächen im Einzelnen: Im Vergleich dazu besitzt sie sogar ihre Meriten, die Inszenierung des Linzer Intendanten Hermann Schneider, die durch eine eigene Dialogfassung und textliche wie musikalische Einlagen erweitert ist.

Hantieren mit blutigen Organen

Zum Beispiel gelingt es Falko Herold mit seiner Ausstattung, dass die Wolfschlucht tatsächlich etwas Gruseliges vermittelt: Da stellen sich die Dielen des Saales, der die Bühne bislang eingefasst hat, in drei Reihen zu Felsklüften auf, die an die Schuppen eines Drachenrückens erinnern, aus deren Innerem es wetterleuchtet. Und Michael Wagner, als Kaspar zu gleichen Teilen Bösewicht und Getriebener (er ist Agathes Ex), muss dabei unter einigen Mühen einen wilden Eber ausweiden, weil die Freikugeln im Kadaver verborgen sind. Da mögen manche Waidleute im Publikum kichern, für den Rest hat das Hantieren mit blutigen Organen, auch wenn sie für die Bühne nur nachgemacht sind, doch auch etwas Schauderbares. Vor allem, wenn Max damit zum Spaß besudelt wird.

Ein dunkler, leerer Saal also. Die Rückwand öffnet sich wie ein Vorhang zur gemalten Jägerwelt, das Försterhaus fährt als reinweiß-aseptischer Kasten in den Vordergrund: Theater auf dem Theater als Zugänge zur Realität. Samiel, der „Schwarze Jäger“ (Sven Mattke), mischt sich aus seiner parallelen Rahmendimension immer wieder ein: Schneider wertet ihn zur Hauptfigur auf – als gefallenen Engel, als Mischung aus Nosferatu, Mephisto und Luzifer. Vor allem aber repräsentiert Samiel die dunklen Kräfte, die in allen walten und in manchen überhandnehmen: Nicht nur Kaspar und Max schließen da Teufelspakte, auch Samiels Schachpartner, der gute Eremit (Dominik Nekel), hat entrische Erfahrungen mit ihm. An Agathe kommt er nicht recht heran, aber das willige Ännchen fällt seiner erotischen Anziehungskraft zum Opfer: Fenja Lukas macht das Mädchen zu einem dann auch im Gesang verzweifelt wirkenden, weil sitzengelassenen Kind vom Bahnhof Zoo. Mattke wirkt am stärksten, wenn er am Anfang des dritten Aktes „Ein feste Burg“ singt, in teuflischer Umdichtung, wie einen Brecht-Song.

Ein Verlierer in schlechter Gesellschaft

Unnötig zerdehnt wird der Abend allerdings durch Krzystof Pendereckis in zwei Tranchen geteilte „Polymorphia“, zu der Charles Baudelaires „Litanei des Satans“ rezitiert wird: Da geht der Aufwertungsschuss nach hinten los. Ein weiterer Verlierer dieser verschobenen Gewichte ist Timothy Richards, der den Max bemüht und nicht durchwegs sauber, mit manch langem Atem und den nötigen Reserven singt. Aber er bleibt in der eigentlich zentralen Rolle des sympathischen, in schlechte Gesellschaft geratenen Losers eine Nebenfigur.

Prächtig tönendes Bruckner Orchester

Ins Schwarze trifft hingegen Markus Poschner: Er sorgt mit dem trotz kleiner Konzentrationsschwächen prächtig tönenden Bruckner Orchester nebst vereinten Chorkräften dafür, dass Weber zu seinem Recht kommt. Das Klangbild wird nicht etwa von ekstatisch gesteigertem Hörnerschall bestimmt – nicht einmal im Jägerchor, den Schneider übrigens nur minimal ironisiert. (Die Nummer wird vom Männergesangverein als Einlage vorgetragen, einer kommt zu spät zur Aufführung.) Eher sucht Poschner einen Ausgleich der verschiedenen Kräfte, stilistischen Einflüsse und historischen Linien, ohne irgendetwas zu verwässern oder zu verkleinern. Und er gemeindet den Charme aus Operngefilden südlich der Alpen ein.

Vor allem aber weiß dieser Dirigent, wie man Webers Partitur zum Sprechen bringt: indem man nämlich gerade die so intelligent geführten zweiten Stimmen mit ins Rampenlicht holt, gleich bei den Hornduetten in der Einleitung der Ouvertüre, die sich vom proto-Wagnerischen Waldweben singend abheben. Und allgemein durch Hochachtung der innovativen koloristischen Effekte und die Freude an nicht nur ausgedehnten, sondern auch ausdrucksvoll vorgetragenen Bläsersoli.

Seinem frischen Zugriff stehen am anderen Ende der Palette manch betont breite Tempi gegenüber: In Agathes „Leise, leise“ etwa lässt sich Wagner späteres Pathos mehr als nur ahnen. Aber mit einem so tragfähigen, schwebenden jugendlich-dramatischen Sopran, wie Erica Eloff ihn besitzt, wirkt diese Lesart nur logisch: stimmliche Leuchtfeuer in der etwas unebenen Besetzung.

Nächste Aufführungen: 29. 9., 2. und 12. Oktober.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.