Gastkommentar

Entzaubert die digitale Welt!

Peter Kufner
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Die Beschwörung einer künstlichen Intelligenzform ist der Versuch, die Welt zu mystifizieren und uns Feenstaub in die Augen zu reiben.

Chat GPT hat für einen riesigen KI-Hype gesorgt. Kaum ein Softwareprodukt hat in den vergangenen Jahren eine so große mediale Aufmerksamkeit erfahren. KI, heißt es, könne die Gesellschaft so verändern wie die Erfindung der Elektrizität. Open-AI-Chef Sam Altman wurde auf seiner „Welttour“ wie ein Rockstar gefeiert, in seinen Reden und Interviews malt er seine eigene Schöpfung in den düstersten Farben aus. Das Geraune über den Weltuntergang ist freilich Teil einer ausgeklügelten PR-Strategie, eine Technologie noch etwas mächtiger zu machen, als sie eigentlich ist. Einer KI, die so zerstörerisch wie eine Atombombe sein kann, traut man vielleicht eher eine Bildungsrevolution zu als einer Lernsoftware.

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Der aufmerksame Beobachter fragt sich schon länger, warum eine Technik, die darin besteht, Zeichen neu zusammenzusetzen, derart gehypt wurde, zumal Sprachmodelle nichts Neues sind. Künstliche Intelligenz war schon immer ein Marketingbegriff, und fast nichts, was als KI vermarktet wird, ist intelligent. Wenn man unter die Motorhaube der hochmotorisierten Sprachmodelle schaut, bleibt nicht viel mehr übrig als eine semiotische Black Box. Selbst Entwickler räumen ein, dass die Modelle noch viel zu unfertig seien, um auf absehbare Zeit verlässliche Ergebnisse zu produzieren.

Chat GTP wird dümmer

Noch immer braucht es menschliche Zuarbeiter, die Daten labeln oder roboterhafte Antworten schreiben, um den schönen Schein der künstlichen Intelligenz zu wahren. In Kenia, Indien und Venezuela markiert eine ganze Armada von Crowdworkern in monotoner Klickarbeit Objekte wie Fußgänger oder Fahrzeuge in Videoaufnahmen, damit das Roboterfahrzeug keinen Unfall verursacht. Amazon-Gründer Jeff Bezos, dessen Konzern über die Plattform MTurk Tausende Klickarbeiter rekrutiert, sprach mal von „künstlicher künstlicher Intelligenz“. Die Kunstfertigkeit von KI war schon immer eine Illusion. Doch jetzt, da nicht nur Nutzer, sondern auch Wissenschaftler konstatieren, dass das Nachfolgemodell GPT-4 über die Zeit dümmer wird, stürzt der monströse Popanz in sich zusammen. Ein stochastischer Papagei, der alles nachplappert, wird wohl kaum die Menschheit auslöschen.

Die Plattform X (vormals Twitter) hat bereits ein Leselimit eingeführt, um zu verhindern, dass KI-Systeme mit Tweets gefüttert werden. Der britische „Guardian“ hat den Chat-GPT-Entwickler Open AI sogar blockiert. Amazon wird von KI-generierten Büchern geflutet, im Netz schießen Fake-Webseiten ins Kraut, die die Integrität des digitalen Informationssystems gefährden. Schon jetzt gibt es Befürchtungen, dass KI-Systeme mit KI-generierten Inhalten gefüttert werden und sich gegenseitig kannibalisieren, also das wiederkäuen, was andere Maschinen vorher ausgespuckt haben. Das Ergebnis solcher selbstfressenden KI-Systeme: entstellte Menschen und verunstaltete Texte. Der Digitalforscher Jathan Sadowski nennt dies „Habsburg-KI“, in Anlehnung an die Inzucht der Herrscherfamilie. Die Frage ist: Was ist das Problem, für das KI die Lösung sein könnte?  

Immer das „next big thing“

Die Techno-Optimisten im Silicon Valley sind ja immer schnell bei der Hand, ein Produkt zum „next big thing“, zur nächsten großen Sache hochzujazzen. Vor einer Dekade war es der smarte Kühlschrank, der automatisch Lebensmittel nachbestellt, aber immer noch nicht seinen Platz in der Küche gefunden hat. Es folgte die – mittlerweile eingestellte – Datenbrille Google Glass, die als so creepy empfunden wurde, dass die Träger aus Bars geworfen wurden. Schließlich kam der Hype um digitale Affenbildchen und NFTs, der mit dem Absturz der Kryptowährungen genauso jäh endete wie das Metaversum, das Facebook-Chef Mark Zuckerberg zum dreidimensionalen Internetnachfolger aufbauen wollte, das aber bislang nicht über das Entwicklungsstadium einer grob geschnitzten virtuellen Welt hinauskam.

Der Journalist Malcolm Harris beschreibt in seinem aktuellen Buch „Palo Alto: A History of California, Capitalism, and the World“ (2023), wie sich im Silicon Valley regelmäßig Blasen bilden. Die Entrepreneure schafften es, mit immer neuen Heilsversprechen die Fantasien von Wagniskapitalgebern zu beflügeln und immer mehr Geld in den Markt zu pumpen. Geschäftsideen wie „Airbnb für X“ oder „Uber für Y“ sind reichlich inhaltsleer, doch die Investoren kaufen den Hype, die Story. So war es auch beim Metaverse, das nach ­Neal Stephensons Romanvorlage „Snow Crash“ (1992) als eine Art Escape Room aus der krisenhaften Wirklichkeit beworben wurde. Nachdem sich Vorfälle virtueller Vergewaltigungen häuften und die Story vom digitalen Safe Space auserzählt war, brauchte es eine neue Story über die Zukunft: Generative KI und eine Organisation, die die Menschheit vor ihrer Auslöschung bewahrt. 

Das Silicon Valley ist ja mehr Traum- als Denkfabrik, eine Blockbuster-Maschinerie, die wirkungsmächtige Narrative produziert. Firmennamen wie Palantir, das nach den sehenden Steinen aus „Herr der Ringe“ benannt ist, beschwören magische, übernatürliche Kräfte; Begriffe wie „smart“, „Singularität“ oder „Disruption“, die die technikgläubige Gründerszene wie Psalmen herunterbetet, werden weitgehend unkritisch und unreflektiert im öffentlichen Diskurs übernommen.

Geheimnistuerischer Gestus

Der geheimnistuerische Gestus, mit dem Softwareentwickler an künstlichen Intelligenzformen schrauben, ist nun abermals der Versuch, die Welt zu mystifizieren und Beobachtern Feenstaub in die Augen zu reiben: In den Laboren der Big-Data-Alchemisten köcheln die verschiedensten Mixturen, in denen unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit ein immer dünner werdender Datenbrei verrührt wird. So wie die mittelalterlichen Alchemisten fieberhaft nach dem Stein der Weisen fahndeten, um aus Mineralien Gold herzustellen, versuchen die Sozialingenieure, durch den Bau von Elektronengehirnen Intelligenz zu synthetisieren. Allein, eine KI ist nichts mehr als ein Zauberkasten. Doch statt den digitalen Mystizismus zu entlarven, wird die Legende smarter Denkmaschinen munter weiterverbreitet – wobei kaum jemandem auffällt, wie die KI den Geist aus der Kultur haucht.

Der Streik der Drehbuchautoren und Schauspieler in Hollywood hat schon jetzt dafür gesorgt, dass Late-Night-Shows ausfielen und Filmproduktionen verschoben werden mussten. Hollywood muss aber schon gar keine Roboter-Dystopien à la „Matrix“ oder „Blade Runner“ mehr auf die Leinwand bringen – das Gruselkabinett in Gestalt von Avataren und virtuellen Klonen wird heute von Laiendarstellern mit frei zugänglichen Bild- und Musikgeneratoren produziert. Je weniger der Kulturbetrieb den Inhalten aus der Konserve entgegenzusetzen hat, desto größer wird die Diskursmacht der Tech-Konzerne. Bleibt die leise Hoffnung, dass sich die KI und ihre Dompteure am Ende selbst entzaubern.

Quellen:

https://futurism.com/the-byte/stanford-chatgpt-getting-dumber
https://mashable.com/article/metaverse-legs-twitter-reactions
https://futurism.com/ai-trained-ai-generated-data-interview
https://arxiv.org/pdf/2307.01850.pdf
https://nymag.com/intelligencer/2023/02/the-silicon-valley-loop-malcolm-harriss-palo-alto.html

Adrian Lobe
Adrian LobeFlorian Freundt

Der Autor:

Adrian Lobe (*1988), ist Politikwissenschaftler und freier Publizist. 2017 wurde er mit dem Journalistenpreis der Stiftung Datenschutz ausgezeichnet. Zuletzt erschienen: „Mach das Internet aus, ich muss telefonieren“ bei C.H. Beck.

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