Die Politikwissenschafterin Nadja Douglas vom deutschen Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) spricht im „Presse“-Interview über den Bedeutungsverlust Russlands im Südkaukasus, die Zukunft der russischen Militärpräsenz, Armeniens riskante Suche nach neuen Bündnispartnern und darüber, warum die EU dringend mehr als nur kritische Worte für das Vorgehen Aserbaidschans in Berg-Karabach finden sollte.
Die Presse: Das russisch-armenische Bündnis ist zerrüttet. Denken Sie, dass es zum endgültigen Bruch kommen wird?
Nadja Douglas: Ein Bruch zeichnet sich deutlich ab. Die Armenier haben ihr Vertrauen in Russland als einzige militärische Schutzmacht verloren. Die russischen Friedenstruppen in Berg-Karabach haben ihr Mandat aus dem trilateralen Waffenstillstandsabkommen vom November 2020 faktisch nicht mehr erfüllt. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass die Russen im Grunde die Seite gewechselt haben. Moskau ist Armenien schon im Krieg 2020 gegen Aserbaidschan kaum zur Seite gestanden. Seither gab es weitere Zwischenfälle, die Armeniens Vertrauen erschüttert haben. Die bilateralen Beziehungen sind an einem Tiefpunkt angelangt.
Was tut Jerewan in dieser Situation?
Man sieht sich nach anderen Bündnispartnern um und setzt auf eine multivektorale Außen- und Sicherheitspolitik.
Auf politischer Ebene setzt Armenien aktive Schritte gegen Moskau. Es will dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag beitreten, der Wladimir Putin per Haftbefehl sucht. Ist das nicht sehr riskant?
Sicherlich. Das Gesuch an den Internationalen Strafgerichtshof wurde vom Kreml scharf verurteilt. Nun hat am Dienstag auch das armenische Parlament dafür gestimmt.
Auch beim von Moskau geführten Militärbündnis „Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit“ (OVKS) ist Eriwan nicht mehr besonders aktiv.