Der kleine Ort Hinterthiersee bei Kufstein gilt unter Ayurveda-Fans als gute Adresse in Mitteleuropa.
Österreich-Urlaub

Eine Ayurvedakur in den Tiroler Bergen

Sonnengruß und Alpenglühen? Klingt ausgefallen, Stammgäste schwören allerdings auf die alpin-indische Wohlfühlmischung, die in Hinterthiersee praktiziert wird.

Nach einem ersten Vorsprechen bei dem behandelnden Ayurveda-Mediziner schwirren dem Kurgast-Neuling zunächst einmal hauptsächlich Zahlen durch den Kopf. Die Bestimmung des Grundtyps erfolgt hier vermittels numerologischer Anamnese, danach kommt die klassische Drei-Punkt-Pulsdiagnose. „Greifen Sie selbst hin, was spüren Sie?“, sagt Gaurav Sharma, ehe er das Verhältnis der drei, im Ayurveda zentralen, Doshas analysiert: Das luftige Vata im Ungleichgewicht, das energische Pitta dominiert, erdendes Kapha in Balance. Dann wieder: Zahlen, Zahlen, Zahlen. „Drei Einser in Ihrem Geburtsdatum, Sie sind ein geradliniger Typ und lieben ihre Arbeit“, versichert der in Indien ausgebildete Ayurveda-Mediziner dem Gegenüber – auch wenn sich dieses später fragen wird, wieso denn eigentlich, wo da doch nur zwei hingeschriebene Einser stehen. Egal, im Augenblick selbst klingt es dank Quersummenbildung plausibel, ebenso wie die folgende Flut an F-Worten betört – von Freiheit über Friede und Freude bis zu Fortpflanzung, Friedhof, Füllfedern und Flugzeugen ist für das anspruchsvolle Vata einiges dabei – lauter irdische Dinge, die interessanterweise auch das Seelenleben angenehmer machen sollen.

Umstellung. Im Jahr 2006 setzte die Familie Mauracher in ihrem Hotel einen damals überraschenden Akzent.
Umstellung. Im Jahr 2006 setzte die Familie Mauracher in ihrem Hotel einen damals überraschenden Akzent.Beigestellt.

Geklärte Butter am Morgen. Aber das alles passiert ja ganz am Anfang des Aufenthalts, man befindet sich somit noch in der Einflugschneise, hat gerade einmal die erste öltriefende Abhyanga-Massage hinter sich gebracht, das erste Tässchen Ghee auf nüchternen Magen getrunken. Mit dieser in Indien hoch geschätzten geklärten Butter im leeren Bauch beginnen die ersten Tage einer klassischen Panchakarma-Kur, auch in Hinterthiersee bei Kufstein. Das Ghee soll, erklären Sharma und alle behandelnden Therapeutinnen und Therapeuten, fettlösliche Giftstoffe noch in den hintersten Ecken des Körpers an sich binden und in den Darm transportieren. Unterstützt von den stoffwechselanregenden Behandlungen sollen die Toxine am dritten, dem Abführtag, auf Nimmerwieder­sehen den Organismus verlassen. Das nicht nur dank Ghees, sondern wegen des am Morgen genossenen Rizinusöls: Man kann sich in etwa vorstellen, was das für die weitere Tagesgestaltung bedeutet. Es folgt die dritte Phase der Kur, die dem Aufbau und der Stärkung gewidmet ist.

Öl, immer wieder Öl, und das in Kombination mit der morgendlichen Butterration: Ab einem gewissen Punkt fühlt man sich außen wie innen gut durchmariniert und zwangsläufig auch recht würzig. Duschgel und Seife sind während der Panchakarma-Tage tabu, nur die Haare darf man sich – als Zugeständnis an das vom Sonnhof entwickelte „European Ayurveda“-Prinzip – mit Shampoo waschen. Irgendwann zwischen Ghee-, Abführ- und Aufbautagen stellt sich aber ohnehin eine Art von Gelassenheit ein, die nicht nur mit der frischen Gebirgsluft zu tun hat und auch den Aufenthalt im Speisesaal mit würziger Ölschicht auf der Haut denkbar macht. Zwischen zwei Behandlungen und den dazwischengeschobenen Mahlzeiten klaffen ja nie besonders große Lücken.

Und dann grüßt man eben die Yogasonne oder geht eine Runde durch den Wald, um das Gemüt zu erbauen und nicht nur auf andere, sondern in erster Linie auf so wenige Gedanken wie möglich zu kommen. Ebenfalls im Sinne der inneren Balance ist die Kost leicht, vegan, markant gewürzt – dabei doch deutlich an den mitteleuropäischen Geschmack angepasst. Das sagen zumindest jene Gäste, die schon andere Häuser ausprobiert haben. Warum überhaupt Ayurveda in Europa, könnte man sich fragen: Der erste Vorteil liegt zumindest auf der Hand, dass nämlich eine lange Anreise entfällt und so auch die Zeitverschiebung. In Tirol kann man quasi sofort in den Erholungsmodus umschalten.

Zeitvertreib. Im Wellnessbereich des Hotels verbringen Kurgäste viel Zeit mit Massagen und Saunieren. 
Zeitvertreib. Im Wellnessbereich des Hotels verbringen Kurgäste viel Zeit mit Massagen und Saunieren. Beigestellt.

Auf die Idee, das Angebot im Traditionshotel Sonnhof auf eine Ayurveda-Palette umzustellen, ist die Besitzerfamilie Mauracher schon im Jahr 2006 gekommen. Anfangs nur viermal im Jahr, nach und nach kamen mehr Kuren dazu. 2012 wurde dann das selbst entwickelte „European Ayurveda“-Konzept als Handelsmarke registriert. Von den früheren Stammgästen sei so gut wie niemand geblieben, sagt Elisabeth Mauracher, die Tochter der damaligen Betreiber. Zum Zeitpunkt der Umstellung war sie selbst noch ein Teenager. „Ich habe damals schon Yoga gemacht und war Vegetarierin; ein konventionelles Hotel zu übernehmen hätte mich definitiv nicht interessiert.“ Durch den Ayurveda-Fokus veränderte sich aber auch ihre eigene Berufs- und Lebensgeschichte, nach Abschluss der Schule stieg sie in den Betrieb ein.

„Anfang der Nullerjahre war die Situation klar: Entweder wir machen etwas Neues oder uns droht der Konkurs“, so Mauracher. Ihre Mutter interessierte sich damals schon für Ayurveda, wurde von einer Bekannten, die regelmäßig nach Indien reiste, in der neuen Geschäftsidee bestärkt. Ein Stammgast aus den Niederlanden stieg als Businesspartner ein und machte so das Projekt möglich.

Schonend. Ernährung für die Stärkung der Doshas, aber kein Darben wie bei anderen Kuren. 
Schonend. Ernährung für die Stärkung der Doshas, aber kein Darben wie bei anderen Kuren. Beigestellt.

Pioniergeist. Was sich vor bald 20 Jahren noch als exotisch ausmachte, ist heute so abwegig nicht. Man habe eben früh den Zeitgeist getroffen bzw. vorweggenommen, bestätigt Elisabeth Mauracher, die etwa unter ihr Geleitwort im hoteleigenen Magazin „Pionierin und Visionärin“ als Berufsbezeichnung schreibt. Mittlerweile sei man fast das ganze Jahr ausgebucht, die konsequente Umstellung auf den Ayurveda-Kurs mit westlicher Färbung hat sich offenbar ausgezahlt.

Auch Gaurav Sharma ist seit 16 Jahren mit im Boot, ihn lernten Elisabeth Mauracher und ihre Mutter bei einem Ayurveda-Kongress in Wien kennen. Ihn habe es in die Berge gezogen, sagt Sharma, der sich in Tirol pudelwohl zu fühlen scheint – anders etwa als einer seiner Landsleute, der hier als Therapeut arbeitet und zugibt: „Die kalten, dunklen Winter sind für uns schwer.“ Im Lauf der Jahre ist die Bandbreite der angebotenen Kuren und Wellnesspakete ständig angewachsen. Neben den klassischen Panchakarma-Kuren (sieben, zehn, 14 oder 21 Tage) hat man auch Mischformen wie Ayurdetox oder Ayurveda-Relaxtage mit Wellnesscharakter im Angebot. „80 Prozent unserer Gäste kommen für eine Kur, nur etwa 20 für Wellness“, erzählt Elisabeth Mauracher. Nach der Coronapandemiezeit hat man außerdem ein Online-Coaching­programm entwickelt, das auch dazu beitragen soll, das Einzugsgebiet des Sonnhofs wieder zu vergrößern.

Weitblick. Elisabeth Mauracher ist in den ­Ayurveda-Familienbetrieb hineingewachsen.
Weitblick. Elisabeth Mauracher ist in den ­Ayurveda-Familienbetrieb hineingewachsen.Beigestellt.

Am Ende auch eine Glaubensfrage. Anders als etwa bei einem Heilfasten oder einer klassischen Kur nach F. X. Mayr fühlt sich die Panchakarma-Kur nährender, umsorgender an. „Ich würde sagen, Ayurveda ist wie der weibliche Gegenpart zu einer männlichen Mayr-Kur“, beschreibt Elisabeth Mauracher den Unterschied. Tatsächlich hat man in ihrem Haus kaum je das Gefühl, dass die Tage von Verzicht geprägt sind. Eher schon, dass man sich durch Umstellung und Umdenken etwas Gutes tut. Bis zu einem gewissen Punkt geht es dabei um eine Glaubensfrage: Allein die drei Dosha-Grundkonstitutionen von Pitta, Vata und Kapha als Ordnungsprinzip zu akzeptieren stellt eine gedankliche Umstellung dar. Wer mit dieser Vorstellung gar nichts anfangen kann, ist wahrscheinlich besser beraten, um Ayurveda einen Bogen zu machen.

Deutlich wird das übrigens auch, wenn ein Buchautor mit langjähriger Indien-Erfahrung an einem Abend für einen Gastvortrag im Hotel vorbeischaut. Die aus ihm herausbrechende Informationsflut hat zwar phasenweise etwas Drolliges. Wenn der Vortragende aber scharf an einem Reizthema vorbeischrammt („Für heute habe ich mir einmal vorgenommen, über Corona nichts zu sagen.“) und da und dort die Zuhörenden erbost aufatmen, ahnt man, dass wohl einige der Gäste mit Empfehlungen der westlichen Schulmedizin in der Pandemiezeit eventuell nur wenig anfangen konnten.

Anamnese. Numerologisches spielt eine wichtige Rolle, aber auch die Drei-Punkt-Puls­diagnose. 
Anamnese. Numerologisches spielt eine wichtige Rolle, aber auch die Drei-Punkt-Puls­diagnose. Beigestellt.

Wie weit man nun auch in die Welt des Ayurveda eindringen möchte: Wenn der ölige Shirodhara-Stirnguss zum letzten Mal zu fließen beginnt, fühlt sich das ein wenig wie das befreiende Glockenklingeln vor der letzten Runde in einem Langstreckenlauf an. Ein solcher Vergleich mit dem Leistungssport ist allerdings wenig angebracht, wo es doch im Sonnhof gerade um das Gegenteil geht. Das innere Gleichgewicht soll man finden und sich möglichst wenig mit anderen, auch mit dem alten Ich, vergleichen. Darum fühlt es sich auch irgendwie stimmig an, wenn man kurz vor der Abreise ein Zertifikat mit schönen Illustrationen und Goldprägung ausgehändigt bekommt, das einem verschiedene Leistungen bescheinigt. „Du hast eine mutige Entscheidung getroffen“, steht da geschrieben, „dich täglich wertgeschätzt“, „deine Komfortzone verlassen“ und „deine Lebensqualität verbessert“.

Als Gast hat man also etwas geschafft, auf das man stolz sein kann, auch (weitgehend) ohne Darben und Darmgrummeln wie bei anderen Fastenkuren. So liegt dann auch am Esstisch noch ein Gratulationsschreiben, weil man sich an die Panchakarma-Diät gehalten hat. Vielleicht eine Motivation, auch zu Hause noch das Kapha durch ein paar passende Speisen aufzupeppeln. Oder auch einfach, um sich eine Rückkehr bei nächster Gelegenheit zu überlegen.

Infos:

Anreise: Mit der Bahn nach Kufstein und mit Autotransfer weiter nach Hinterthiersee.

Aufenthalt: Verschiedene Kurpakete im European Ayurveda Resort, Sieben-Tage-Panchakarma-Aufenthalt ab 1997 Euro zzgl. Unterkunft. Ayurdetox-Kurz­programm ab 975 Euro.

Online-Coaching: Ein mehrmonatiges Empowerment-Mentoring von Elisabeth Mauracher und den Ayurveda-Medizinern, Infos auf sonnhof-ayurveda.at

Compliance-Hinweis: Der Aufenthalt erfolgte auf Einladung des Sonnhofs.

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