Gastkommentar

USA vs. China: Ist das schon (wieder) ein Kalter Krieg?

Peter Kufner
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Die USA und China befinden sich seit 2016 in einer Phase der Großmachtrivalität. Was heißt das für den Rest der Welt?

Die Großmachtrivalität zwischen den USA und China ist ein bestimmendes Merkmal der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, doch die Ansichten darüber, wie sie einzuordnen ist, gehen weit auseinander. Manche sprechen von einer „dauerhaften Rivalität“, ähnlich der zwischen Deutschland und Großbritannien vor den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts. Andere befürchten, dass Amerika und China wie Sparta (die dominierende Macht) und Athen (die aufstrebende Macht) im fünften Jahrhundert vor Christus zum Krieg verdammt sind: „destined for war“. Das Problem ist natürlich, dass die Erwartung der Unvermeidbarkeit eines Konfliktes zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden kann.

Der Begriff „dauerhafte Rivalität“ ist an sich schon irreführend. Man denke nur an all die Phasen, die die sino-amerikanischen Beziehungen durchlaufen haben, seit die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) 1949 an die Macht kam. In den 1950er-Jahren brachten sich amerikanische und chinesische Soldaten auf der koreanischen Halbinsel gegenseitig um. In den 1970er-Jahren, nach dem historischen Besuch von US-Präsident Richard Nixon in China, arbeiteten die beiden Länder eng zusammen, um ein Gegengewicht zur Sowjetunion zu schaffen. In den 1990er-Jahren nahm das wirtschaftliche Engagement zu, und die USA unterstützten Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation. Erst nach 2016 traten wir in die derzeitige Phase der Großmächterivalität ein. Ein US-Beamter beschrieb China als „pacing threat“, als dynamische Bedrohung, und damit „das einzige Land, das eine systemische Herausforderung“ für Amerika „darstellen kann, wirtschaftlich, technologisch, politisch und militärisch“.

Doch selbst wenn dauerhafte Rivalität keinen gewaltsamen Konflikt impliziert, was ist mit einem Kalten Krieg? Wenn mit diesem Begriff eine intensive und langanhaltende Rivalität gemeint ist, befinden wir uns bereits in einem solchen. Wenn es sich aber um eine historische Analogie handelt, ist der Vergleich unpassend und könnte uns über die wirklichen Herausforderungen, denen die USA durch China gegenüberstehen, in die Irre führen. Die USA und die Sowjetunion wiesen ein hohes Maß an globaler militärischer Interdependenz auf, aber praktisch keine wirtschaftliche, soziale oder ökologische Interdependenz. Die heutige sino-amerikanische Beziehung unterscheidet sich in all diesen Dimensionen.

Es gibt Unterschiede zu damals

Zunächst einmal kann Amerika seinen Handel und seine Investitionen nicht vollständig von China abkoppeln, ohne sich selbst und der Weltwirtschaft enormen Schaden zuzufügen. Außerdem werden die USA und ihre Verbündeten nicht durch die Verbreitung der kommunistischen Ideologie bedroht, sondern durch ein System wirtschaftlicher und politischer Interdependenz, das beide Seiten regelmäßig manipulieren. Eine teilweise Abkopplung oder De-Risking, also der Abbau von Risiken, in Sicherheitsfragen ist notwendig, aber eine vollständige wirtschaftliche Abkopplung wäre unerschwinglich teuer, und nur wenige Verbündete der USA würden diesem Beispiel folgen. Für viele Länder gilt China und nicht die USA als ihr wichtigster Handelspartner.

Hinzu kommen die ökologischen Aspekte der Interdependenz, die eine Entkopplung unmöglich machen. Kein Land kann den Klimawandel, die Bedrohung durch Pandemien oder andere transnationale Probleme allein bewältigen. Wir sind wohl oder übel in eine „kooperative Rivalität“ mit China verstrickt und brauchen eine Strategie, die gegensätzliche Ziele fördern kann. Die Situation ist mit der Eindämmung während des Kalten Krieges nicht vergleichbar.

Um der Herausforderung China zu begegnen, ist ein Ansatz erforderlich, der sich die von den USA geschaffenen Bündnisse und das auf Regeln beruhende System zunutze macht. Verbündete wie Japan und Partner wie Indien sind Pluspunkte, die China nicht hat. Obwohl sich der Schwerpunkt der Weltwirtschaft im vergangenen Jahrhundert von Europa nach Asien verlagert hat, ist Indien, das bevölkerungsreichste Land der Welt, einer der langjährigen Rivalen Chinas. Klischees über den Globalen Süden oder die Solidarität unter den Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) sind höchst irreführend, da sie die internen Rivalitäten innerhalb dieser Kategorien außer Acht lassen. Außerdem wird der kombinierte Reichtum der westlichen demokratischen Verbündeten den von China (plus Russland) bis weit in dieses Jahrhundert hinein bei Weitem übersteigen.

Würden die USA Chinas Verwandlung in eine westliche Demokratie als strategischen Erfolg definieren, dürften sie scheitern. Die KPCh fürchtet die westliche Liberalisierung, und China ist zu groß, um einzumarschieren oder es durch Zwang grundlegend zu verändern. Diese Realität wirkt in beide Richtungen: Die USA haben innenpolitische Probleme, die aber gewiss nicht der Attraktivität des chinesischen Kommunismus geschuldet sind. In dieser wichtigen Hinsicht stellen weder China noch die USA eine existenzielle Bedrohung für die jeweils andere Seite dar – es sei denn, sie stolpern in einen Krieg.

Analogie zu Europa 1941

Die beste historische Analogie ist nicht das Europa des Kalten Krieges nach 1945, sondern das Europa der Vorkriegszeit im Jahr 1914. Die europäischen Staats- und Regierungschefs begrüßten das, was sie für einen kurzen Konflikt auf dem Balkan hielten, bekamen stattdessen die vier schrecklichen Jahre des Ersten Weltkriegs. Einige sehen vorher, dass die USA und China in einen ähnlichen Krieg um Taiwan geraten, das China als abtrünnige Provinz betrachtet. Als Nixon und Mao Zedong 1972 zusammentrafen, konnten sie sich in dieser Frage nicht einigen, aber sie entwickelten eine grobe Formel für den Umgang damit, die ein halbes Jahrhundert überdauert hat: keine De-jure-Unabhängigkeit für Taiwan und keine Anwendung von Gewalt gegen die Insel durch China. Um den Status quo aufrechtzuerhalten, muss Peking abgeschreckt und gleichzeitig die Provokation vermieden werden, die mit der Unterstützung einer De-jure-Unabhängigkeit Taiwans verbunden wäre. Ein Krieg ist ein Risiko, aber es ist nicht unvermeidlich.

Die USA sollten mit wirtschaftlichen Konflikten geringer Intensität mit China rechnen, aber ihre strategischen Ziele sollten darin bestehen, eine Eskalation zu vermeiden – was US-Außenminister Antony Blinken kürzlich als „friedliche Koexistenz“ bezeichnete. Das bedeutet, Abschreckung einzusetzen, um einen heißen Krieg zu vermeiden; wenn möglich zu kooperieren; die Hard und Soft Power der USA zu nutzen, um Verbündete zu gewinnen; und die heimischen Ressourcen zu bündeln, um im Wettbewerb erfolgreich zu sein. Das Ziel sollte darin bestehen, Chinas außenpolitisches Verhalten zu beeinflussen, indem Amerikas eigene Bündnisse und internationale Institutionen gestärkt werden.

(…) Wenn die USA ihre Allianzen aufrechterhalten und eine Dämonisierung und irreführende historische Analogien vermeiden, wird „kooperative Rivalität“ ein tragfähiges Ziel sein.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow.
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E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Joseph S. Nye (*1937 in South Orange, New Jersey) ist Professor für Politikwissenschaft an der Harvard University. Er war Vorsitzender des National Intelligence Council (1993/94) und stellvertretender US-Verteidigungsminister (1994/95). Zahlreiche Publikationen, zuletzt: „Do Morals Matter? Presidents and Foreign Policy from FDR to Trump“ (2020).

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