Netflix-Serie

„Der Untergang des Hauses Usher“: Mit Poe gegen die Superreichen

Mike Flanagans neue Miniserie „The Fall of the House of Usher“ handelt von der US-Opioidkrise, ist aber gespickt mit Anspielungen auf das Werk des Schauerliteraten Edgar Allan Poe. Diese Szene verweist etwa auf dessen Erzählung „Die Maske des roten Todes“.
Mike Flanagans neue Miniserie „The Fall of the House of Usher“ handelt von der US-Opioidkrise, ist aber gespickt mit Anspielungen auf das Werk des Schauerliteraten Edgar Allan Poe. Diese Szene verweist etwa auf dessen Erzählung „Die Maske des roten Todes“.Netflix
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Serienschöpfer Mike Flanagan ist bekannt für Schauergeschichten mit emotionalem Tiefgang. In „The Fall of the House of Usher“ nimmt er die Profiteure der Opioid-Krise ins Visier. „Luke Skywalker“ Mark Hamill brilliert als Winkeladvokat.

In seiner Studie über das Werk der jungen US-Regisseure Ari Aster und Robert Eggers versucht der deutsche Filmkritiker Adrian Gmelch, eine Gattungsbezeichnung abzuzirkeln, die schon seit einer Weile im Umlauf ist: „Art-Horror“. Diese Unterkategorie des Horrorgenres beschränkt sich aus Gmelchs Sicht nicht auf bloße Schockwirkung; vielmehr will sie hohe Kunst („Art“) in die Geisterbahn bringen, hat ästhetischen und emotionalen Tiefgang im Sinn – und setzt dafür auf nachhaltigere Verstörungseffekte. Während Aster mit „Hereditary“ (2018) und „Midsommar“ (2019) und Eggers mit „The Witch“ (2017) und „Der Leuchtturm“ (2019) das in ihrem Fahrwasser neu ausgerufene Genre prägten, fand der nur geringfügig ältere Gruselkünstler Mike Flanagan zur selben Zeit eine Nische beim Streamingdienst Netflix: Gleichwohl sein letzter, 2019 erschienener Kinospielfilm „Dr. Sleeps Erwachen“ – eine ehrgeizige Fortsetzung von Stanley Kubricks „The Shining“ – eher verhalten aufgenommen wurde, konnte sich Flanagan als Schöpfer innovativer Horror-Miniserien schon ein Jahr zuvor einen Namen bei einem größeren Publikum machen.

Großes Faible für Schreckeffekte

Freilich: „Spuk in Hill House“ (2018), „Spuk in Bly Manor“ (2020), „Midnight Mass“ (2021), „Gänsehaut um Mitternacht“ (The Midnight Club; 2022) und nun „Der Untergang des Hauses Usher“ erfüllen nur bedingt die von Gmelch definierten Kriterien von Art-Horror. Ja, sie arbeiten sich an existenziellen Schrecklichkeiten ab: Tod, Krankheit, Verfall, soziale und familiäre Traumata, Glaubenskrisen, politische Missstände. Auch wimmeln sie vor Anspielungen auf die Bibel, auf antike Mythen und „gothic fiction“. Doch im Unterschied zu Aster und Eggers scheut Flanagan nicht vor genretypischen Stilmitteln zurück, die von manchen als reißerisch oder untergriffig geringgeschätzt werden. Groß ist etwa sein Faible für „Jump Scares“: So nennt man das abrupte Auftauchen unheimlicher Monster und Spukerscheinungen, die uns im Kino vor Schreck aufspringen lassen.

Das Kunstvolle an Flanagans Werk lässt sich zudem nicht an raffinierten, gemäldeartigen Bildern festmachen, wie Aster und Eggers sie kreieren. Seine Serien sind optisch glatter. Dafür liebt der Autorenfilmer ausufernde Dialoge und theaterhaftes Schauspiel: Hier konzentriert sich das emotionale Gewicht seiner ausladenden Gruselgeschichten. Redselig ist auch die Hauptfigur seines jüngsten Netflix-Epos, die lose auf der gleichnamigen Erzählung von Edgar Allan Poe basiert: Im Mittelpunkt von Flanagans „Untergang des Hauses Usher“ (The Fall of the House of Usher) steht die Beichte eines Pharmakonzernchefs (Bruce Greenwood), der klar an den realen CEO Raymond Sackler angelehnt ist. Die Sackler-Familie gilt als treibende Kraft hinter der verharmlosenden Vermarktung des süchtig machenden Schmerzmittels Oxycontin, die in den USA Hunderttausende in den frühzeitigen Drogentod schickte.

In der Serie breitet die Sackler-Symbolfigur Roderick Usher einem Anwalt, der den Superreichen für seine Untaten rankriegen will, die eigene Lebensgeschichte aus. Rückblenden in die 1970er-Jahre zeichnen dabei seinen Niedergang vom Idealisten zum Raubtierkapitalisten nach. Zudem wird Usher immer wieder von Wahnvorstellungen ergriffen, in denen ihn seine toten Kinder heimsuchen: Drei Söhne und drei Töchter aus verschiedenen Ehen und Affären, alle im Erwachsenenalter. Sie wurden von einem Dämon in Frauengestalt der Reihe nach ausgetrickst. Und in einen Tod getrieben, der – welch Ironie! – ihren jeweils größten Lastern entspricht.

Mark Hamill schützt die Schurken

„Luke Skywalker“ Mark Hamill brilliert als Ushers mürrischer Winkeladvokat, der die verkommene Familie vor ihrer Verurteilung durch weltliche Gerichte schützt. Der brutalen Bestrafung durch die übernatürliche Instanz, die sich mal als niedere Bedienstete, mal als naive Patientin ausgibt, ist die Sippschaft indes hilflos ausgeliefert. Bedient Flanagan hier die Lust seines Publikums, stinkreiche Scheusale leiden zu sehen? Zweifellos. Er gesteht seinen Figuren aber auch menschliche Facetten zu, die es erschweren, sie als durchweg bösartig und arrogant abzutun: Verdrängung und Anpassungsdruck tragen viel zu ihren Verfehlungen bei. So erhält die grobe Polemik dieser sehenswerten Serie, die im Übrigen gespickt ist mit Verweisen auf andere Kurzgeschichten des Schauerliteraten Poe, auch eine subtil systemkritische Dimension.

„Der Untergang des Hauses Usher“ (The Fall of the House of Usher) von Mike Flanagan, neu auf Netflix

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