Der Algorithmus, mit dem der Handel mit muss

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Anwendungen der Künstlichen Intelligenz schicken sich an, die Effizienz im E-Commerce signifikant zu erhöhen. Lernende Maschinen und Menschen arbeiten dabei als Team. Auch im stationären Handel greift KI-Technologie, etwa bei der Ladendiebstahl-Prävention.

Es war im Jahr 2003, als die Katalog-Händler Universal aus Salzburg und Otto aus Graz verschmolzen wurden. Die verschiedenen Marken blieben erhalten, der Name wurde aus den beiden bestehenden neu geschöpft: Unito. 20 Jahre später ist Unito nach eigenen Angaben der größte Onlinehändler mit Sitz in Österreich und hat den Umsatz auf rund 360 Millionen Euro verdoppelt. Dem Wachstum soll damit kein Ende gesetzt sein. Bis 2030 will man innerhalb von nur sieben Jahren den Umsatz nochmals doppeln und 720 Millionen Euro erreichen. Eine zentrale Rolle spielen bei der Gruppe, die konsequent den Wandel vom Katalog- zum Onlinehändler vorangetrieben hat, technologische Anwendungen der Künstlichen Intelligenz. „Geschichte wiederholt sich: War vor 20 Jahren der Wechsel des Geschäftsmodells in das Internet-Zeitalter ein Treiber für Umsatz, Ergebnis und wachsende Kundenbestände, so wird die KI dieses Jahrzehnt in noch nicht zu fassender Dynamik beeinflussen“, ist Harald Gutschi, Sprecher der Geschäftsführung der Unito-Gruppe überzeugt.

Künstliche Intelligenz öffnet laut den Unito-Verantwortlichen neue Türen, sei es bei der dynamischen Preissetzung, in der Logistik oder wenn es darum geht, Kunden besonders bequemes Shoppen durch individuelle Produktberatung zu ermöglichen.

KI-Effizienz mit menschlichem Cockpit.

Der Einsatz von KI ist dabei nichts Neues und via neuronale Netze schon seit Jahren gebräuchlich. Das Potenzial wurde zuvor überprüft: „Vor der Umstellung auf neuronale Netze haben wir in A/B-Tests getestet, wer bessere Ergebnisse aus Kundensicht liefern kann, Mensch oder Maschine. Es waren die selbstlernenden Algorithmen. Diese Tests haben zu großer menschlichen Akzeptanz geführt“, so Gutschi. Die KI-Linie werde somit weiter vorangetrieben. Etablieren wird sich etwa ein Customer Care Bot, der für Kunden bei Fragen zu ihrer Sendung im ersten Schritt schnelle Antworten garantiert. Die online-Beratung mittels KI hilft unter anderem die Rücksendequote zu senken, die dank verbesserter Produktbeschreibungen im langjährigen Trend ohnehin bereits stark rückläufig ist. Und wenn die Chatbots Probleme nicht lösen können, wird im zweiten Schritt der persönliche Kundenservice aktiv.

»An diesem Beispiel erkennen wir, dass Künstliche Intelligenz zwar Einzug in den Arbeitsalltag nimmt, aber sie Arbeitskräfte nicht ersetzen kann.«

Harald Gutschi

„An diesem Beispiel erkennen wir, dass Künstliche Intelligenz zwar Einzug in den Arbeitsalltag nimmt, aber sie Arbeitskräfte nicht ersetzen kann. Arbeitskräfte werden vielmehr an anderen Stellen zum Einsatz kommen, denn die Anforderungen an die qualifizierten Berufsprofile verändern sich. Durch KI können wir jedenfalls unseren Kunden relevantere Angebote machen, enorme Effizienzen heben und somit bessere Preise und Serviceleistungen bieten“, so Gutschi. Menschen übernehmen künftig eine Cockpit-Funktion, etwa um KI-Resultate nochmals zu checken. Es geht um ein Miteinander von Mensch und Maschine, zumal Algorithmen innerhalb von menschlich definierten Bandbreiten arbeiten – aber eben effizienter.

Ziel sei es, am Ende des Tages einen one to one-Webshop und Kundenauftritt zu organisieren, der durch persönliche und individuelle, auf Kundenbedürfnisse ausgerichtete Aktivitäten überzeugt. Der aktuelle Hype rund um KI-gestützte Kommunikationstools wie ChatGPT ist laut Gutschi nachvollziehbar, wobei die Faktoren Zeit und Arbeit zu erwähnen sind: „All diese KI-Effekte werden kurzfristig überschätzt, langfristig aber völlig unterschätzt. Es gilt der Spruch von Albert Einstein: Ein Prozent des Erfolges ist Talent, 99 Prozent sind harte Arbeit.

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Identifizieren der Kaufabsicht.

Dass KI-gestützte Technologien den Handel in Zukunft verändern und dennoch keine Arbeitsplatzvernichter sind, davon ist auch Michael Suitner, CEO bei Pathadvice International, überzeugt: „Menschen werden immer von Menschen kaufen. KI-Anwendungen erledigen lediglich Hintergrundprozesse und ermöglichen somit, dass die menschliche Interaktion in der Beratung sogar intensiviert wird.“ KI habe quasi eine Junior-Funktion, während Menschen die Kommunikations-, Senior- und CEO-Rolle übernehmen, um maschinell intelligente Vorarbeit zu überprüfen und, darauf basierend, Entscheidungen zu fällen und zu kommunizieren. Laut Suitner kommt es zu einer Verschiebung der Qualifikationen.

KI-Anwendungen arbeiten auf einer Hintergrundebene, die für Endkunden gar nicht sichtbar ist. Für Händler steigert sich die Effizienz der Maßnahmen, für Konsumenten die Bequemlichkeit beim Einkauf. Bei Pathadvice hat man etwa eine KI-gestützte Technologie namens VEGA entwickelt, um Webseiten-Besucher mit Kaufabsicht zu identifizieren. VEGA analysiert die Live-Besucher von Händler-Websites und ermittelt die Sekunde, in der ein Besucher eine Kaufabsicht zeigt. In der Folge können zum Beispiel Pop-ups angezeigt werden, um eine bestimmte Aktion wie Formulare, Rabatte und mehr im richtigen Moment auszulösen. Werden anonyme Website-Besucher mit Benutzer-IDs abgeglichen, lässt sich der Kaufabsichts-Status aktualisieren. Wird die Lösung in das Händler-CRM integriert, können auch präzise Off-Site-Verkaufsaktionen gestartet werden.

Mittels des KI-gestützten Tools bietet sich somit die Möglichkeit, Werbekampagnen auf potenzialstarke Zielgruppen zu fokussieren, die eine Kaufabsicht zeigen, und Werbeausgaben durch präzises Targeting zu reduzieren. „Diese patentierte Lösung bringt einen enormen Effizienzgewinn, weil man in Folge der Identifizierung diesen Personen ein Beratungsgespräch anbieten kann, das natürlich wesentlich besser funktioniert.“ Wenn Berater auf Menschen treffen, die auf Basis ihrer Kaufabsicht einen tatsächlichen Beratungsbedarf haben, entstehe Vertrauen. So wird die Sales-Pipeline mit Gesprächspartnern gefüllt, die mit wesentlich höherer Wahrscheinlichkeit Umsätze generieren. „Wir bringen auf diese Art Beratungsgespräche, wie sie im Geschäft geschätzt werden, in die online-Welt“, sagt Suitner.

Conversational Commerce.

Spannend ist laut Experten die Entwicklung vom E-Commerce zum Conversational Commerce. Um Bestandskunden zu halten und neue Kunden zu gewinnen, setzt ein Unternehmen dabei zusätzliche Kommunikationsmedien ein, in erster Linie Chatbots, Sprachassistenten und die Nutzung von Messengerdiensten.

»Vor allem jüngere Zielgruppen fühlen sich von Conversational Commerce angesprochen. Diese bidirektionale Art des Verkaufsgesprächs war bisher fast ausschließlich ein Vorteil des Einzelhandels. Mit dem richtigen KI-Chatbot können jedoch auch Onlineshops in einen interaktiven Verkaufsdialog mit ihren Kunden treten.«

Arne Chananewitz

„Vor allem jüngere Zielgruppen fühlen sich von Conversational Commerce angesprochen. Diese bidirektionale Art des Verkaufsgesprächs war bisher fast ausschließlich ein Vorteil des Einzelhandels. Mit dem richtigen KI-Chatbot können jedoch auch Onlineshops in einen interaktiven Verkaufsdialog mit ihren Kunden treten“, erklärt Arne Chananewitz, Head of Search Engine Optimization (SEO) bei der deutschen Online-Marketing-Agentur Löwenstark, und fügt an: „Der Austausch zwischen Kunde und Bot kann dabei nicht nur auf der eigenen Website bzw. im Onlineshop stattfinden, sondern auch über Messenger und soziale Netzwerke. Durch individuelle Produktempfehlungen werden neue Conversions angeregt sowie Cross- und Up-Selling-Potenziale erschlossen.“ Idealerweise biete ein KI-Chatbot dem Nutzer während seiner gesamten Customer Journey einen personalisierten Support an. So wird das Vertrauen in die Marke gestärkt. Die individuelle Beantwortung von Fragen durch den Bot kann außerdem Verluste durch Warenkorbabbrüche und Retouren verringern. Die Vorteile von KI-Chatbots als digitale Verkaufsassistenten liegen laut Chananewitz auf der Hand. Auf seinem jüngsten Löwenstark-Blog führt er folgende an: Erweiterung der Kundenkommunikation auf mehr Kanäle (Messenger, Social-Media-Apps), enge Begleitung der gesamten Customer Journey, Gewinnung umfassender Customer Insights, Erschließen von Up- und Cross-Selling-Potenzialen, verringerte Absprungrate, steigende Conversion Rate, sinkende Retouren-Gefahr und wachsende Kundenzufriedenheit. Dazu kommt, dass Suchmaschinen dank KI zu Antwortmaschinen mutieren, was die Art verändert, wie Produkte online gefunden werden. Wer Chatbots mit einer exzellenten Benutzererfahrung anbieten kann, ist gegenüber der Konkurrenz künftig klar im Vorteil.

Ob zwecks Preisanpassung, zur Identifizierung und Modellierung der Kaufabsicht, zur Vorhersage des Kaufzyklus, für intelligente und personalisierte Produktempfehlungen auf Basis einer zielorientierten Kundensegmentierung, zur Retouren-Optimierung oder zur Kundenkommunikation als virtuelle 7/24-Assistenten – KI-Anwendungen scheinen den Onlinehandel auf eine neue Ebene zu heben. Weniger bekannt ist das Potenzial von KI-Tools im stationären Handel.

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Intelligente Ladendetektive. 

Dass sie auch hier sinnvoll eingesetzt werden können, zeigt das Thema Ladendiebstahl, das laut Handelsverband im Vorjahr in Österreich einen geschätzten Schaden von 500 Millionen Euro angerichtet hat. Die Verbandsexperten gehen davon aus, dass sich die Situation in Anbetracht wirtschaftlicher Krisen weiter verschärfen wird.

Wie Algorithmen Dieben das Handwerk legen können, wird bei einer Lösung der französischen Firma Veesion klar. Die Rede ist von einer Echtzeitanalyse von Bildern und Videos, die von Überwachungskameras aufgenommen wurden. Aufgabe der selbstlernenden Software ist es, verdächtige Gesten in einem Geschäft zu erkennen, um einzugreifen, bevor der Täter das Geschäft verlässt. Ein Vorteil der KI-gestützten Software, die an im Geschäft installierte Überwachungskameras andocken kann, ist laut Veesion-Verantwortlichen, dass sie auf Zeitpläne, Personal und Anzahl der Kameras abgestimmt werden kann. Der Return on Investment des Tools ist messbar, etwa in Form einer Dokumentation der Anzahl der abgefangenen Personen oder des Werts von sichergestellten Gütern.

Auch das 2017 in Berlin gegründete Unternehmen Signatrix fokussiert auf intelligente Diebstahlprävention. Ware wird mit Deep Learning Technologie verfolgt und das Verhalten der Kunden auf Unregelmäßigkeiten analysiert. Abweichungen zwischen tatsächlich eingebuchten Waren und den sichtbaren Artikeln werden automatisch erkannt. Eine künstliche Intelligenz ortet zudem Einkaufswagen und interpretiert ihre Bewegungsrichtung. Verlässt ein Einkaufswagen ohne vorherigen Kassenkontakt den Selbstbedienungsbereich, schlägt die Software Alarm. Die Maschinen haben dann ihre Arbeit getan und das Sicherheitspersonal ist am Zug.

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