Mit künstlicher Intelligenz gegen Blackouts

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Erneuerbare Energie aus Wind und Sonne ist sehr volatil und stresst die Stromnetze. Künstliche Intelligenz hilft dabei, die Stromflüsse besser zu managen, damit die Netze stabil bleiben.

Anfang August war es wieder einmal so weit. Blackout. In der Region Steyr in Oberösterreich fiel für mehrere Stunden der Strom total aus. Nichts ging mehr. In den Haushalten standen die Kaffeeautomaten und Waschmaschinen still, in den Büros fielen die Computer und Internetverbindungen aus und in den Betrieben ruhte die Produktion.

Was war passiert? Es gab keinen Ausfall im Kraftwerk, die Stromleitungen waren alle intakt. Der Grund für den Totalausfall der Stromversorgung klingt ungewöhnlich: Weil sich die Betreiber von Fotovoltaikanlagen nicht an die jeweils ausgesprochenen Einspeisebegrenzungen für die von ihnen erzeugte Energie in das Stromnetz gehalten hatten, kam es zu einer Überlastung des Netzes. In der Folge bewirkten die Sicherungseinrichtungen eine Notfallabschaltung.

So eine Notfallabschaltung kann in Zukunft häufiger passieren. Schon davor, Anfang Juni, war es im Raum Steyr zu einem totalen Stromausfall gekommen. Auch da hatten etliche Betreiber von Fotovoltaikanlagen zu viel Strom eingespeist, eine Trafostation überhitzte und es kam zur Notabschaltung. Stromnetzbetreiber sind nun alarmiert. Sie kündigen regelmäßige, strenge Kontrollen an und drohen bei Missachtung der Vorschriften mit einer Komplettabschaltung der Kundenanlagen.

Volatile Produktion.

Die Energiewende, so segensreich sie auch für die Umwelt ist, stellt Energienetzbetreiber vor große Herausforderung. Ein Teil der Lösung des Problems könnten intelligente Stromnetze sein. Sogenannte Smart Grids helfen bei der Steuerung der Stromnetze. Die Digitalisierung macht es möglich. Und künstliche Intelligenz ist beim Einsatz dieser Technik ein wichtiges Werkzeug. Die Herausforderung darf nicht unterschätzt werden. Die Stromnetze werden immer komplexer. Schon heute speisen die Betreiber von Fotovoltaikanlagen und Windrädern den Großteil des erzeugten Stroms ins öffentliche Netz ein und liefern so mindestens zehn Prozent des jährlich in Österreich verbrauchten Stroms. Die Zahl der Einspeiser steigt täglich. Und der erzeugte Strom wird nicht gleichmäßig ins Netz eingespeist. Es kommt regelmäßig zu Spitzen. An manchen Tagen wird mehr Strom aus erneuerbaren Quellen ins Netz eingespeist als in ganz Österreich benötigt wird.

Die Folge: Der österreichische Übertragungsnetzbetreiber Austrian Power Grid (APG) musste 2022 an insgesamt 237 Tagen in das Stromnetz eingreifen, um Blackouts zu vermeiden. Allein im Februar 2023 waren 27 dieser sogenannten Redispatch-Maßnahmen notwendig. Diese gezielten Eingriffe in die Stromerzeugung und -verteilung haben die österreichischen Stromkunden im vergangenen Jahr rund 94 Millionen Euro gekostet.

Sensibles System.

Die APG steuert die Hochspannungsnetze in Österreich aus ihrer technischen Zentrale im Süden Wiens. Auf einer breiten Wand aus Monitoren überwachen die Mitarbeiter 3400 Kilometer Stromnetze.

»Das Übertragungsnetz ist ein sehr sensibles System, weil Angebot und Nachfrage stets deckungsgleich sein müssen, damit die sichere Stromversorgung gewährleistet ist.«

Gerhard Christiner

Technischer Vorstand der APG

„Das Übertragungsnetz ist ein sehr sensibles System, weil Angebot und Nachfrage stets deckungsgleich sein müssen, damit die sichere Stromversorgung gewährleistet ist“, sagt Gerhard Christiner, technischer Vorstand der APG. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz ist heute schon hilfreich, vor allem bei der Erstellung möglichst genauer Prognosen über die erwarteten Einspeisemengen aus Fotovoltaik- und Windanlagen. So trägt die neue Technologie dazu bei, das Stromnetz fit für einen CO₂-neutralen Erzeugungsmix zu machen. Doch noch ist der Mensch unersetzlich. Christiner: „Für kritische Steuerprozesse und direkte Eingriffe in das Stromnetz liegt die Verantwortung, Entscheidung und Durchführung immer in der Hand unserer Expert:innen.“

Nicht nur die APG, sondern die Netzbetreiber in ganz Europa suchen nach Lösungen, um die Auswirkungen der Energiewende abzufedern. Denn der Ausstieg aus ad hoc zu steuernden fossilen Quellen wie Öl und Gas wird nur durch noch mehr dezentrale Anlagen zur Stromerzeugung aus Sonne und Wind bewerkstelligt werden können. Daher werden die Netze immer fragiler. Für aus dem Ausland beauftragte Stabilisierungsmaßnahmen hat die APG im Vorjahr 718 Millionen Euro ausgegeben. Kosten, die von den ausländischen Stromverbrauchern getragen werden.

Neben den überregionalen Hochspannungsnetzen müssen Engpässe und Überkapazitäten auch in den Netzen mit mittlerer oder niedriger Spannung behoben werden. Damit werden auch die regionalen und lokalen Verteilernetzbetreiber in die Steuerung eingebunden. Nur so können hohe Anteile erneuerbarer Energie, die wie im Blackout-Fall in Steyr vor Ort eingespeist werden, für eine sichere und günstige Versorgung mit Strom gewährleistet werden.

Gerhard Christina - Technischer Vorstand der APG
Gerhard Christina - Technischer Vorstand der APG© Ricardo Herrgott

Neben großen Konzernen wie Siemens und ABB nutzen zahlreiche Start-ups künstliche Intelligenz, um die bisher schwer zu prognostizierenden Mengen an Strom aus Fotovoltaik und Wind vorherzusagen und sie mit dem notwendigen Einsatz von schnell abrufbaren Quellen wie Pumpspeicherkraftwerken, Biomasse-Anlagen und Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen abgleichen zu können. Der deutsche Übertragungsnetzbetreiber Tennet hat eines seiner vielen Pilotprojekte dazu mit Bayernwerk als lokalem Energieversorger und dem Start-up Consolinno einen Versuch gestartet. Dabei werden die Flexibilität verschiedenster Kleinanlagen im laufenden Betrieb aggregiert und Bayernwerk dynamisch und aktiv zur Verfügung gestellt. Die ersten Monate zeigen nach Aussagen von Bayernwerk, dass damit die Wirkungskraft eines konventionellen Kraftwerkes erreicht werden kann. Gleichzeitig wird aus den kleinen, dezentralen und vom Wetter abhängigen Stromerzeugern ein Konglomerat von Quellen, die in ihrer Gesamtheit so stabil einspeisen, wie ein konventionelles Kraftwerk.

Alle diese Systeme verwenden fortschrittliche Algorithmen und maschinelles Lernen, um die Daten aus Sensoren und Überwachungssystemen zu analysieren. Das bedingt in den Fotovoltaikanlagen auf den (privaten) Hausdächern und gewerblich betriebenen Freiflächen entsprechende auslesbare Datenpunkte, die die Integration des Stroms in das Netz erleichtern. Stichwort: Datentransparenz und Datenintegrität. Für die Prognose der erwartenden Strommengen werden zudem zuverlässige Wetterdaten gebraucht. Die Echtzeitdaten aus der Anlage werden dann mit den Vorhersagemodellen zusammengeführt und als zu erwartende Mengen in den Steuerungszentralen weiterverarbeitet. Das dient nicht nur für die Planungsprozesse, sondern auch für die Instandsetzung der Lasten nach einem Netzausfall.

Herausforderungen.

Sicherheit und Integrität aller beteiligten Systeme sind wesentliche Voraussetzungen für dieses Setup. Die Herausforderung ist daher eine entsprechende Absicherung der dezentralen Anlagen zur Stromerzeugung, um Cyberangriffe auf die Anlagen und in das Netz zu verhindern. Ohne Verfügbarkeit und Integrität der Systeme nützt die beste Vernetzung nichts.

Der Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Energiebranche bietet auch zahlreiche Effizienzvorteile. Die bessere Steuerung und Optimierung des Stromflusses führt zu einer verbesserten Auslastung der Netze. Darüber hinaus ermöglicht KI die Vorhersage von Nachfrage- und Versorgungsschwan­kungen, was wiederum zu einer effizienteren Energieerzeugung führt. Auch Wartungsintervalle der Erzeugungsanlagen können besser geplant werden. Setzt man noch einen Schritt vorher an, lassen sich mit künstlicher Intelligenz auch Bau und Installation von Solaranlagen so planen, dass sie eine optimale Effizienz erreichen.

Sind die E-Autos, beziehungsweise die entsprechende Gesetzgebung, einmal so weit, dass auch ihre Batterien Strom ins Hausnetz oder ins öffentliche Netz abgeben können, wird das System noch einmal komplexer. Das Energiemanagement für das gesamte Zuhause, das intelligente Laden des E-Autos und die Einspeisung des überschüssigen Stroms beim Netzbetreiber fordert smarte Gesamtlösungen. Das deutsche Start-up GridX hat schon vor Jahren Lösungen dazu, beispielsweise für das bidirektionale Laden von E-Autos, entwickelt. Mit den Unternehmen aus der Energiebranche Eon, Engie und Viessmann gibt es zahlreiche weitere Projekte im Bereich Smart Grids.

Der Mensch wird weiterhin die letzte Entscheidung über den Eingriff in die Hochspannungsnetze haben. Jedoch dient künstliche Intelligenz in den vorgelagerten Netzebenen als Technologie der Wahl, um in Verbindung mit den prognostizierten Erzeugungsmengen der kleinen dezentralen Fotovoltaikanlagen und Windräder sowie den stabilen kurzfristig abrufbaren Ausgleichsmengen aus wenig wetterabhängigen Anlagen das System stabil und kostengünstig zu halten.

KI für Prognosen.

Bleibt dann nur noch die Prognose des Energieverbrauchs. Auch hier gibt es bereits praktikable Anwendungen von künstlicher Intelligenz. Wenn Erzeugung und Verbrauch im Einklang sind, lässt sich auch die Kapazität der Netze besser ausnutzen und der meist umstrittene Bau neuer Netze auf das Notwendige begrenzen. Die Kapazitäten der Fotovoltaikanlagen könnten dann zwar, wie bei den Blackouts in Steyr, immer noch zu groß zum Einspeisen in die Netze sein. Durch die intelligenten Netze und die damit einhergehende Steuerung würde aber eine punktuell zu hohe Einspeisung rechtzeitig verhindert. Und die Kaffeeautomaten und Waschmaschinen laufen weiter.

Waldbrände verhindern

Waldbrände zerstören in Kalifornien jedes Jahr Abertausend Hektar an Vegetation. Ein Auslöser dafür sind häufig auch schlecht gewartete Stromleitungen.

Die Pacific Gas & Electricity Company (PG&E) setzt daher künstliche Intelligenz ein, um solche Waldbrände zu verhindern. Konkret werden Sensordaten aus dem Stromnetz mit historischen Informationen und Wetterdaten abgeglichen, um schadhafte Leitungen frühzeitig warten zu können und Überspannungen zu vermeiden.

Neuronales Netz

Technologien und Modelle der künstlichen Intelligenz nutzen unterschiedliche Formen des sogenannten tiefen neuronalen Netzes („deep neural network“). Dabei wird die Software mit riesigen Datenmengen geschult. Das passiert auf Hochleistungsservern mit Workload-Beschleunigern – entweder mit Grafikchips (GPUs, Graphic Processing Units) oder speziell entwickelten KI-Chips.

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