Intelligente Log(ist)ik

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Vom smarten Beladen von Containern und der Routenoptimierung im Straßentransport über das Training von Lagerrobotern bis hin zu klugen Ortungssystemen in Produktionshallen – künstliche Intelligenz erobert die Logistikbranche.

Wie kann künstliche Intelligenz Logistik-Unternehmen unterstützen? Um eine erste Idee zum Thema zu bekommen, bietet es sich an, die KI selbst zu befragen. Beim Straßentransportspezialisten DHL Freight hat man sich auf das Spiel eingelassen und den derzeit wohl prominentesten Chatbot um Antworten gebeten. Die Aussage von Chat GPT: „KI ist in der Lage, manuelle und zeitaufwendige Prozesse zu automatisieren, mithilfe von Datenanalyse und maschinellem Lernen die Lieferzeiten von Waren vorherzusagen, Kundenanfragen und -beschwerden automatisch zu bearbeiten oder Mitarbeiter zu schulen und zu unterstützen.“ Die Anwendungspalette ist demnach breit gefächert – was Klaus Dohrmann, Head of Innovation & Trend Research, DHL Customer Solutions and Innovation, bestätigt: „Logistik ist ein perfektes Anwendungsfeld für KI.“ Normale Automatisationstechnologien stoßen an ihre Grenzen, die Zukunft gehört selbstlernenden Systemen. Bei DHL Freight wurden damit bereits konkrete Erfahrungen gesammelt. 

Wie bei Tetris.

Bereits vor Jahren hat man sich das Ziel gesetzt, Umverpackungen aus Karton um bis zu 50 Prozent zu reduzieren. Das dient ökonomischen Agenden, Stichwort Versandkostensenkung, aber auch der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen, indem die CO₂-Emissionen pro Sendung signifikant nach unten geschraubt werden. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet bei DHL die KI-Lösung OptiCarton. Sie hilft, das Füllvolumen vorkonfigurierter Kartons optimal auszunutzen. Gefüttert wird die Software mit Daten zur Produktbeschaffenheit, zum Volumen und zu den Dimensionen von Paketen. Die KI ermittelt auf dieser Basis die ideale Umverpackung. Damit auch den Mitarbeitern geholfen ist, das perfekte Füllraumszenario zu realisieren, wird das KI-Rechenergebnis visuell dargestellt. Wer sich ein Bild machen möchte, denkt am besten an das Spiel Tetris.

Wie komplex die Aufgabe und zugleich effizient die KI-Lösung ist, zeigt sich beispielsweise beim Beladen von Containern. Während Menschen mit der Herausforderung überfordert sind, zahllose in Form, Größe und Stapelbarkeit unterschiedliche Packstücke raumsparend zu ordnen, ist die Lösung für die KI nur eine Frage von Sekunden. Das spart Raum, Zeit und Geld, und maximal befüllte Container senken den CO₂-Fußabdruck pro versendetem Paket.

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KI-gestützte Roboter.

Auch in den DHL-Paketzentren ist KI bereits im Einsatz. In Singapur und Südkorea sind etwa Roboter am Werk, die Pakete vom Band nehmen und sie in Fächer für bestimmte Zustellrouten einordnen. Die Aufgabe verlangt jede Menge Feingefühl und Präzision. Schaden an Waren durch unsachgemäße Behandlung sollen weitgehend ausgeschlossen werden. Dafür trägt ein KI-basiertes Programm Sorge, das quasi als Trainer der Roboter fungiert. So haben Letztere gelernt, per 3-D-Kamera die Form von Sendungen zu erfassen, sie mit einer Schaufel sicher anzuheben und zugleich den aufgedruckten Barcode zu scannen. Das Training macht sich bezahlt. Die Roboter ordnen nahezu 20 Sendungen pro Sekunde in Zustell­boxen ein, und dies laut DHL mit einer Fehlergenauigkeit von 99 Prozent. Menschen können da nicht mithalten, weder was die Schnelligkeit noch was die Präzision betrifft. Ein weiterer Vorteil: Eine zweite Kontrollsortierung kann entfallen.

Die Gefahr, dass intelligente Maschinen Menschen als Arbeitskräfte obsolet machen, sieht man bei DHL nicht. Lieber wird von einer Verschiebung der Arbeit gesprochen, davon, dass Menschen somit mehr Zeit für andere, geistig komplexere Aufgaben haben, bei denen Erfahrung und kreatives Denken die Hauptrolle spielen – jeder dort, wo er seine Kompetenzen am besten ausspielen kann. Das Ideal ist ein reibungsloses Miteinander von Maschine, künstlicher Intelligenz und Mensch.

Die smarteste Route.

Eine immer dringlichere Herausforderung in der Logistik- und Transportbranche stellt die Senkung der CO₂-Emissionen dar. Zu den noch wenig beachteten Hebeln zur Erreichung der Reduktionsziele zählt die intelligente Wahl der idealen Route. Dieser Aufgabe hat sich etwa das junge deutsche Unternehmen Greenplan verschrieben, das auf cloudbasierte Routenoptimierung mithilfe tageszeitabhängiger Geschwindigkeitsprofile und eines ausgefeilten Algorithmus setzt. Rund 20 Prozent an Kilometerleistung und somit an CO₂-Emissionen sollen Unternehmen so einsparen können. „Wir haben eine Lösung entwickelt, mit der effiziente und nachhaltige Tourenpläne berechnet werden können“, sagt Geschäftsführer Clemens Beckmann. „Erstens berücksichtigt unser Algorithmus bei der Tourenplanung tageszeitabhängige Verkehrsfluss-Geschwindigkeiten je Streckenabschnitt; dadurch können wir präzise Zeitaussagen zu unseren Ankunftszeiten treffen und auch Zeitfenster sehr robust einhalten. Zweitens können Touren volldynamisch geplant werden, also ohne vorab definierte Gebietsgrenzen.“

Während traditionelle Planungsansätze nur die Art der Straße oder Geschwindigkeitsbeschränkungen ins Kalkül einbeziehen, werden bei Greenplan reale durchschnittliche Fließ­geschwindigkeiten des Verkehrs berücksichtigt, basierend auf aggregierten historischen Daten – auf Straßenabschnittsebene und in Fünf-Minuten-Intervallen. Die Verwendung von Geschwindigkeitsprofilen während der Planung führt zu einer anderen Tour-Struktur, sprich Autobahnen bzw. Hauptstraßen werden nur bei geringem Verkehrsaufkommen genutzt.

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Generell gilt, dass KI-Systeme für die komplexen Herausforderungen bei der automatisierten Routenplanung unter Berücksichtigung von Faktoren wie Verkehrslage, Lieferprioritäten, Lieferzeiten und Kapazitätsbeschränkungen bestens geeignet sind. Das Erfassen und Analysieren von Informationen in Echtzeit sorgt für die Anpassungsfähigkeit an unvorhergesehene Ereignisse. Alternative Routen werden in der Folge schneller berechnet, was wiederum effizientere Lieferungen, die Reduzierung von Leerfahrten und somit eine bessere Nutzung der Transportkapazitäten ermöglicht.

Interessant ist das grundsätzlich für alle Arten von Transportwegen und Unternehmen, von Just-in-Time-Transporten in komplexen Lkw-Teilladungs-Netzwerken bis hin zu vom E-Commerce getriebenen Firmen und ihren Zustelldienstleistern auf der letzten Meile.

Schlauer Wareneingang.

Einen großen Innovationssprung erwarten sich Experten künftig auch beim Einsatz generativer KI, die sogenannte Large-Language-Modelle (LLM) nutzt. LLM arbeiten auf Basis von Deep-Learning-Modellen mit menschlicher Sprache. Ziel ist es, einen Text auf menschenähnliche Weise zu erzeugen und zu verstehen. Ein Anwendungsgebiet ist etwa das Transportmanagement mit automatischer Lieferscheinerkennung und -anlage. „Smarte KI-Lösungen unterstützen die schnellere Abwicklung eines alltäglichen Problems, vor dem viele Produktionsunternehmen, zum Beispiel in der Automobilindustrie, heute stehen“, erklärt Dominik Metzger, Head SAP Digital Supply Chain, und bringt ein konkretes Beispiel eines typischen Falls. „Beim Pförtner einer Fabrik stauen sich die Lkw mit Teilen der Zulieferer und bei der Einfahrt muss der Lieferschein mit der Versandvorabmitteilung abgeglichen werden.“ In über 80 Prozent aller Fälle existiere bereits eine Advance Shipping Notice (ASN), über die sich die notwendigen Informationen schnell im IT-System finden lassen. Doch auch hier müssen oft zahlreiche Fehler durch einen manuellen Abgleich mühsam identifiziert werden. „Bei den restlichen 20 Prozent der Anwendungsfälle existiert sogar nur der Papierlieferschein im Cockpit des Fahrzeugs. Hier müssen dann die einzelnen Positionen manuell erfasst werden, was bis zu 40 Minuten Zeit in Anspruch nehmen kann.“

Mit der intelligenten Wareneingangslösung von SAP, die mithilfe eines LLM entwickelt wurde, kann dieser Abgleich laut Metzger künftig in wenigen Sekunden erfolgen – ohne dass neue Hard- oder Software angeschafft werden muss. Für das erste Halbjahr 2024 ist geplant, diese Lösung als integrierten Teil der SAP-Standardsoftware für das Fracht-, Flotten- und Logistikmanagement anzubieten. Metzger: „Hier ist die generative Business-KI zu einem echten Gamechanger geworden, denn bisher gab es für diese Aufgabe keine praktikablen Lösungen. Der Mehrwert durch die pure Zeitersparnis im Wareneingangsprozess pro Werk und Lagerstandort ist bereits enorm – ganz zu schweigen von einem Rollout über Dutzende oder gar Hunderte von Standorten hinweg.“

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Location Intelligence.

Finden statt suchen lautet wiederum das Motto, wenn es darum geht, in der Lager- und Transportlogistik dank smarter Ortungssysteme intelligent effizient zu sein. Ziel ist es, lästige Zeitverluste zu eliminieren, die in streng getakteten Produktionsprozessen entstehen, wenn man nicht weiß, wo sich welche Produkte und Materialien in welchem Zustand befinden. Bei Siemens hat man dafür die webbasierte Software Location Intelligence entwickelt, die Daten und Events von Lokalisierungssystemen verarbeitet.

Basis für die nahtlose Lokalisierung aller relevanten Produktionsmittel auf dem gesamten Firmengelände ist im ersten Schritt die Ausstattung der Werkstücke, Werkzeuge, fahrerlosen Fahrzeuge, Gabelstapler etc. mit einem Transponder. Eine übergeordnete Infrastruktur empfängt die Transpondersignale und berechnet deren Position. Die Transponder-Bewegungsdaten werden in Echtzeit erfasst und von einem Ortungssystem bis hin zur Location Intelligence Software zur Visualisierung, Analyse sowie zur Integration in ERP- und MES-Systeme übertragen. Damit ergibt sich ein permanent aktualisiertes Abbild der Abläufe in einer Anlage – quasi ein digitaler Zwilling der Performance.

Neben der Echtzeitposition kann Location Intelligence auch den gesamten Weg eines Transponders in der Produktionshalle visualisieren. Wenn der Benutzer nach einem Auftrag sucht, wird die Echtzeitposition aller Transponder, die dem Auftrag aktuell zugeordnet sind, im Fabriklayout visualisiert. Mit nur einem Klick kann der Anwender in die historische Ansicht wechseln. Hier wird der genaue Weg gezeigt, den der Transponder zurückgelegt hat. Anhand dieses Weges erkennt der Nutzer auf einen Blick, ob ein Transponder einen falschen Weg oder einen Umweg genommen hat.

Welchen Mehrwert dies bringt, zeigt sich am Beispiel der Siemens Elektronikwerke Fürth, wo Container mit Transpondern ausgestattet und per Location Intelligence mit Fertigungsaufträgen verknüpft wurden, um die hohen Suchzeiten für Material bei bis zu 2500 transportierten Behältern in der Produktion zu minimieren. Das Ziel wurde erreicht und zugleich der Papierverbrauch reduziert, da Location Intelligence wichtige Auftragsdetails auf den E-Paper-Displays der Transponder aktualisieren kann.

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