Gastkommentar

Wir sind der Klimawandel

Nicht nur die Anpassung an den Klimawandel, auch der Klimaschutz selbst ist eine Hausaufgabe: Sie beginnt bei uns, bei multinationalen Unternehmen wie BP und OMV, die mit der Klimakrise Rekordgewinne machen, und bei Digitalkonzernen.

Hans Joachim Schellnhuber wird neuer Generaldirektor der IIASA. Das bereichert die österreichische Klimaforschung. Zum Einstieg präsentiert er einen Vorschlag, der die Eigenlogik biophysischer Prozesse, allen voran die Fotosynthese, nutzt, um mit einem großen Aufforstungsprogramm CO2 zu binden. Erfreulich. Das ist ein erster Schritt, unser Verhältnis zur Natur neu zu ordnen: Während technologischer Fortschritt in den vergangenen 200 Jahren die Fähigkeit der Naturbeherrschung verbessert und das menschliche Leben erleichtert hat, zeigen sich dessen Schattenseiten, besonders der Verlust an Biodiversität. Die Fotosynthese zu nutzen ist intelligent und respektvoll gegenüber Eigenlogiken von Ökosystemen. Dies unterscheidet sich wohltuend von technischen „Lösungen“ wie Carbon Capture and Storage (CCS), die zwar erfolgreich Kohlenstoff abscheiden und speichern könnten, aber schwer absehbare Konsequenzen für andere planetare Grenzen hätten.

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Gleichzeitig transportiert Schellnhuber eine verkürzte Botschaft: Klimaschutz, das sei das Pflanzen von 100 Milliarden neuer Bäume in unserer Um-Welt, also „da draußen“. Korrekter ist es, Umwelt und Klima als Teil unserer Mitwelt zu verstehen: Sei dies das Essen, das wir verspeisen, die Luft, die wir atmen, sei es die Straße, die wir bauen. Umwelt und Klima sind nichts Äußerliches jenseits des Menschen. Seit den Forschungen zum Anthropozän ist klar, dass Menschen (genauer: bestimmte Gruppen von Menschen) den Klimawandel machen und damit gleichzeitig ihren Planeten verändern.

Das Verhältnis Mensch/Natur als ein Mitwelt-Verhältnis zu verstehen hat weitreichende praktische Konsequenzen: Dass die Klimaveränderung besorgniserregend rasch in die falsche Richtung geht, liegt an der Art, wie wir hier und jetzt leben, arbeiten und wirtschaften. Deshalb wird es auch nicht reichen, „anderswo“, z. B. im Amazonas, die „Umwelt“, konkret tropische Regenwälder, zu retten. Nicht nur die Anpassung an den Klimawandel, auch der Klimaschutz selbst ist eine Hausaufgabe: Sie beginnt bei uns, bei multinationalen Unternehmen wie BP und OMV, die mit der Klimakrise Rekordgewinne machen, bei Digitalkonzernen, geführt von despotischen Egomanen, die Klimawandelskepsis säen, bei politischem Kleinmut, der sich weigert, Tempobeschränkungen einzuführen, und bei liebgewonnenen Gewohnheiten, deren negative Auswirkungen uns die Forschung heute klarmacht: Sei dies die Bequemlichkeit des Autofahrens, der hohe Fleischkonsum, sei es der Traum vom Eigenheim.

Anderes Mindset vermitteln

All diese Verhaltensweisen sind nicht naturgegeben, sondern können gestaltet werden. Das zeigt der kürzlich erschienene Spezialbericht des Austrian Panel of Climate Change, der von 80 österreichischen Klimaforschern erstellt wurde: Bessere Rahmenbedingungen für ein klimafreundliches Leben zu schaffen bietet Chancen. Eine geplante Transformation, das zielorientierte und koordinierte Gestalten von Veränderung, wäre die Antwort auf die berechtigte Sorge über die Klimakrise. Bäume zu pflanzen ist eine sinnvolle Maßnahme. Die größere Verantwortung der Klimaforschung besteht aber darin, die Klimakrise als eine Krise von Lebens-, Produktions- und Konsumweisen zu thematisieren. Klimapolitik wäre dann in erster Linie eine Politik, die die Macht von BP, OMV und Elon Musk einschränkt, die Ungleichheiten begrenzt und es Menschen erleichtert, respektvoll und sorgsam mit anderen Menschen und Lebewesen umzugehen.

Andreas Novy und Richard Bärnthaler arbeiten an der Wirtschaftsuniversität Wien, haben den APCC-Spezialbericht zu Strukturen für ein klimafreundliches Leben mitverfasst.

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(„Die Presse“, Printausgabe 13.10.2023)

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