Gastkommentar

Nicht, wie viel Geld, sondern, wofür ist die Frage

Peter Kufner
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Wir müssen die Weichen dafür stellen, dass die EU handlungsfähig bleibt. Dazu braucht’s auch einen ehrlichen Blick aufs Budget.

Wer soll das bezahlen? Die Frage wird oft gestellt, wenn wir über die Herausforderungen der Europäischen Integration diskutieren. Die vergangenen Jahre haben gezeigt: Business as usual war einmal. Jetzt gilt es, rasch und konsequent die EU global zu positionieren, ihre Resilienz zu stärken und ihr Wohlstandsmodell vor dem Hintergrund unserer Klimaziele weiterzuentwickeln. Gleichzeitig muss die EU im Inneren funktionsfähig bleiben – umso mehr, als in absehbarer Zeit neue Mitglieder zu ihr stoßen werden. Eines liegt dabei auf der Hand: Wir müssen das gemeinsame Ganze pflegen, und nicht die nationalen Schrebergärten. Denn nur mit vereinten Kräften können wir eine robuste und vitale Sicherheits-, Stabilitäts-, Digital-, Sozial- und Gesundheitsunion verwirklichen.

Wer hat so viel Geld? Die Europäische Union – entgegen so manch populärer Meinung – nicht. Das aktuelle und bislang bei Weitem größte EU-Budget für die Jahre 2021 bis 2027 umfasst insgesamt rund zwei Billionen Euro, also knapp zwei Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts. 800 Milliarden Euro davon entfallen auf das zeitlich befristete Aufbauinstrument Next Generation EU. Es wurde 2020 als Reaktion auf die Pandemie geschaffen und unterstützt die Mitgliedstaaten bei Reformen und Investitionen zugunsten der grünen und digitalen Wende.

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Für eine Gemeinschaftskasse von 27 Staaten sind zwei Billionen Euro für sieben Jahre – also weniger als 300 Milliarden Euro im Jahr – ein vergleichsweiser kleiner Betrag: Die Ausgaben allein des deutschen Bundeshaushalts betrugen im vergangenen Jahr 1,9 Billionen, die österreichischen Staatsausgaben 236 Milliarden Euro.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind bereit, sich den neuen Realitäten und Herausforderungen offensiv zu stellen. Allerdings setzen die derzeitigen finanziellen Mittel enge Grenzen. Die politischen Wünsche und Forderungen an Europa spiegeln sich nicht in der finanziellen Ausstattung der Union wider. Die Halbzeitbilanz der EU-Kommission legt die Notwendigkeiten offen: Zwar war der EU-Haushalt in der Lage, durch Umschichtungen rasch auf unerwartete Bedürfnisse und Krisen zu reagieren. Die Spielräume des EU-Budgets sind jedoch weitgehend ausgeschöpft.

Was tun, um mitzuhalten?

Was also tun, damit der Haushalt bis 2027 mit den politischen Erwartungen mithalten kann? An einer kurzfristigen Aufstockung des EU-Budgets durch nationale Beiträge führt kein Weg vorbei. Faktum ist: Die Umsetzung der Forderungen nach einem besseren Migrationsmanagement, die Abfederung der Folgen des russischen Angriffskriegs und die Stärkung der Partnerschaft mit Drittländern sind mit Kosten verbunden. Dazu sollen strategische Technologien und die Wettbewerbsfähigkeit gefördert, der EU-Aufbauplan bei gestiegenen Zinsen finanziert und natürlich die Ukraine weiter dringend unterstützt werden.

Um dem EU-Haushalt neue Einnahmequellen zu erschließen und die Mitgliedstaaten zu entlasten, steht eine Ausweitung der Eigenmittel auf der Tagesordnung. Die Diskussion um zusätzliche Einnahmen aus dem Emissionshandel, Ressourcen aus dem CO2-Grenzausgleichssystem sowie aus Residualgewinnen multinationaler Unternehmen ist nicht neu. Die Europäische Kommission hat im Juni ein aktualisiertes Paket präsentiert, das auch befristete Eigenmittel auf der Grundlage von Statistiken über Unternehmensgewinne vorsieht. Jetzt geht es um die notwendigen politischen Entscheidungen. Insgesamt sollten all diese Maßnahmen ab 2028 durchschnittlich 36 Milliarden Euro pro Jahr zum EU-Haushalt beitragen.

Finanzen unter Druck

Für eine nachhaltige, wettbewerbsfähige Union sind auch stabile öffentliche Finanzen in den Mitgliedsländern entscheidend. Diese waren in den Krisenjahren massiv unter Druck. Der Beschluss, die im Stabilitäts- und Wachstumspakt verankerten Haushaltsregeln aufgrund der Covid-19-Krise auszusetzen, hat den Mitgliedstaaten erheblichen budgetären Spielraum verschafft. Diese Ausnahmeregelung läuft mit Jahresende aus. Neue Fiskalregeln sollen den Anstoß geben, dass die Mitgliedstaaten ihre teilweise sehr hohen Schuldenquoten senken – mit Rücksichtnahme auf die jeweilige nationale Situation, mit Eigenverantwortung und der gebotenen Flexibilität. Gleichzeitig müssen die Mitgliedstaaten selbst gewählte Reform- und Investitionsprioritäten umsetzen – die Kontrolle der mehrjährigen Ausgabenziele soll dazu beitragen.

Womit wir bei der langfristigen Perspektive wären: Denn neben der Erkenntnis, dass sich die EU auf die eigenen Füße stellen muss, haben die geopolitischen Entwicklungen auch eine neue Dynamik in den Erweiterungsprozess gebracht. Indem sie neben den Staaten des Westbalkans auch der Ukraine, der Republik Moldau und gegebenenfalls Georgien eine konkrete Beitrittsperspektive eingeräumt hat, hat die EU einen mutigen, aber auch finanziell weitreichenden Schritt gesetzt. Denn die Regeln für die EU-27 von heute müssen auch zu einer EU-30 plus von morgen passen. Umso wichtiger ist daher die Ankündigung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, alle Politikfelder zu überprüfen, um rechtzeitig zu erkennen, welche Bereiche einer Anpassung bedürfen.

Die Zeit drängt

Die EU-Finanzen stehen dabei besonders im Fokus. Es geht letztlich weniger darum, wer wie viel Geld einzahlt oder zurückbekommt, sondern wofür wir Steuergeld ausgeben und was dabei der konkrete gemeinsame Mehrwert ist. Infolge der nächsten Erweiterung werden durchgehend landwirtschaftsorientierte Staaten mit strukturellem Aufholbedarf der Union beitreten. Das stellt die aktuelle Prioritätensetzung im EU-Budget einmal mehr infrage.

Die Zeit drängt. Wir müssen jetzt die Weichen dafür stellen, dass die EU auch künftig handlungs- und manövrierfähig bleibt. Ein deutsch-französisches Expertenpapier bietet interessante Inputs. Es hat einen größeren EU-Haushalt mit mehr Flexibilität bei Ausgabenentscheidungen vorgeschlagen, ebenso wie einen Finanzrahmen, der sich an der fünfjährigen Legislaturperiode der EU-Institutionen orientiert. Zudem regen die Autoren an, dass Länder, die sich in einer „Koalition der Willigen“ auf eine verstärkte Zusammenarbeit verständigen, diese auch separat finanzieren können.

Fest steht, dass die Vertiefung und die Erweiterung der Europäischen Union Hand in Hand gehen müssen. Und die zukünftige Finanzierung der EU ist in beiden Fällen ein Schrittmacher. Wenn wir sie auf neue und robuste Beine stellen, haben wir die Chance, alle zu Nettogewinnern einer wachsenden und stärkeren Europäischen Union zu werden.

Hinweis: Die EU-Finanzpolitik ist auch Thema der nächsten EU-Gipfeltour am 13. Oktober im Burgenland. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, mitzuwandern und mitzudiskutieren.

Mehr Infos hier: https://europa.eu/!x8rjX9

E-Mails an: debatte@diepresse.com

 Martin Selmayr.
Martin Selmayr.Etienne Ansotte
 Paul Schmidt
Paul SchmidtBeigestellt

Der Autor

Martin Selmayr (* 1970 in Bonn) ist ein deutscher Jurist und EU-Beamter, der seit 2019 die Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich leitet.

Paul Schmidt (* 1975) ist seit September 2009 Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik.

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