Hirnforschung

Erstaunliches Experiment: Wir kommunizieren auch, wenn wir schlafen

Ohne Kontakt zur Außenwelt? Das sind wir auch im Schlaf nicht.
Ohne Kontakt zur Außenwelt? Das sind wir auch im Schlaf nicht.Imago
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Schlafende können auf sprachliche Stimuli von außen mit dem richtigen Verhalten antworten: Diese Erkenntnis revolutioniert unser Verständnis von Schlaf und Bewusstsein.

Zuweilen sagen wir Dinge wie: „Zu diesem Thema könnte ich dir alle Fragen im Schlaf beantworten“ – und meinen es nicht wörtlich. Wir glauben zu wissen, was Schlafen bedeutet: Körper und Geist finden zur Ruhe, trennen sich von der Welt, die uns umgibt. Das Bewusstsein ist ausgeschaltet. Es scheint nicht denkbar, dass wir in diesem Zustand verstehen, was jemand zu uns sagt, und darauf mit einem bestimmten Verhalten reagieren. Darüber waren sich Laien und Wissenschaftler bisher ziemlich einig. Wie könnte es auch anders sein? Es kann.

Ein Team von französischen Neurowissenschaftlern rund um Delphine Oudiette von der Universität Sorbonne lud 21 Probanden, gesund und ohne Schlafprobleme, in ihr Labor. Dort sollten sie ein Nickerchen halten (damit sie leichter einschlafen konnten, gingen sie am Abend davor spät zu Bett zu oder standen früh auf). Vor ihrer „Siesta“ übten die Versuchsleiter eine Aufgabe mit ihnen: Man sprach ihnen Wörter vor, teils echte und bekannte, teils erfundene und sinnlose. Nach den echten mussten sie dreimal kurz lächeln, nach den erfundenen dreimal kurz die Stirn runzeln. Und das sollten sie, wenn möglich, auch danach während des verordneten Nickerchens tun. Sie taten es, in manchen Fällen.

Vielleicht, weil sie da eben wach waren? Offenbar nicht, denn die an sie angeschlossenen Geräte zur Messung der elektrischen Hirnaktivität, der Herzfrequenz und des Muskeltonus zeigte zuweilen klar, dass sich die Probanden in einer bestimmten Schlafphase befanden. Die Bewegungen im Gesicht wurden durch Sensoren gemessen (die Kontraktionen waren schwächer als im wachen Zustand, weil im Schlaf die Muskelspannung abnimmt). Da die Teilnehmer gemäß der Vorgabe mehrmals lächelten oder die Stirn runzelten, konnte es sich nicht um spontane Zuckungen handeln.

Das Ergebnis ist ein wenig unheimlich, und verwirrend, weil es unser Verständnis von Schlaf durcheinanderbringt. Wie kamen die Forscher darauf, dass so etwas möglich sein könnte? Weil sie ähnliche Beobachtungen schon früher mit Narkolepsie-Patienten gemacht hatten. Narkoleptiker fallen immer wieder plötzlich in Schlaf und haben oft Wachträume, in denen sie sich bewusst sind, dass sie träumen. Im aktuellen Experiment bildeten 27 von ihnen eine parallele Gruppe. Sie reagierten deutlich öfter auf die ihnen vorgesagten Wörter. Und einige konnten sich – anders als die „Gesunden“ – auch nach dem Aufwachen daran erinnern.

Prinzipiell aber trat das Phänomen in diesem Experiment bei beiden Gruppen in fast allen Schlafphasen auf, mit typischen Mustern an Hirnaktivitäten. Allerdings immer nur vorübergehend – als würde sich kurz ein Fenster öffnen, um einen Kontakt mit der Außenwelt zu ermöglichen. Ist die Regulierung dieser Abfolge gestört, so vermuten die Studienautoren, kommt es zu bereits bekannten Erscheinungen wie Schlafwandeln oder dem Gefühl, man habe „die ganze Nacht kein Auge zugedrückt“.

Haben die Probanden (genauer: die Nicht-Wachträumer unter ihnen) die akustischen Reize nun bewusst oder unbewusst verarbeitet? Für beides muss die Hirnforschung umdenken: Wenn sie ihr Urteil über das gehörte Wort unbewusst fällten und entsprechend reagierten, dann ist dies viel mehr, als man bisher für unbewusste Prozesse zulassen wollte. War es bewusst, muss man die Schwelle für die minimale Hirnaktivität herabsetzen, von der man bisher für Bewusstsein ausging. Für die Autoren deuten die Messdaten eher darauf hin, dass es um ein bewusstes Phänomen geht.

Es stellen sich nun aufregende Fragen für weiterführende Untersuchungen: Erkennen die Schlafenden, dass die Stimuli von außen kommen, oder bauen sie diese in ihre Träume ein? Antworten Schlafende ehrlicher, könnte man die Gerätschaften auch dafür nutzen, eine verheimlichte Wahrheit zu erfahren? Und bietet die Fähigkeit, Information von außen zu verarbeiten, nicht viel mehr Möglichkeiten als gedacht, im Schlaf gezielt zu lernen? Auf jeden Fall denken wir nun neu über das alte Sprichwort: „Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf.“

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