Preisverleihung

Fritz-Csoklich-Demokratiepreis geht posthum an Dževad Karahasan

Selbst der Krieg konnte seinen Humanismus nicht zerstören: Dževad Karahasan.
Selbst der Krieg konnte seinen Humanismus nicht zerstören: Dževad Karahasan. juergen-bauer.com
  • Drucken

Der Schriftsteller Dževad Karahasan wird posthum mit dem Fritz-Csoklich-Demokratiepreis ausgezeichnet. Karahasan war eine der bedeutendsten Stimmen der europäischen Gegenwartsliteratur. Er trat für Toleranz und Humanität ein. „Er glaubte an die heilende Kraft einer Umarmung“, begründet die Jury.

Der Fritz-Csoklich-Demokratiepreis 2023 geht posthum an den Schriftsteller Dževad Karahasan. Das wurde am Donnerstagabend im Rahmen eines Festakts in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien bekannt gegeben. Der Preis wurde an seine Witwe Dragana Tomašević-Karahasan übergeben. Karahasan war nicht nur eine der bedeutendsten Stimmen der europäischen Gegenwartsliteratur. Leidenschaftlich trat er für Toleranz und Humanität ein.

Die Jury hält dazu in ihrer Begründung fest: „Obwohl der Krieg ihn heimatlos gemacht und seine Stadt, das multikulturell blühende Sarajewo, zerstört hatte, warb er unermüdlich für die Begegnung und den Dialog. Er verfiel nicht dem verführerischen Gedanken an Rache, sondern glaubte an die heilende Kraft einer Umarmung.“

Mit dem Fritz-Csoklich-Demokratiepreis würdigt die Styria Media Group gemeinsam mit ihren Marken Kleine Zeitung, Die Presse, Die Furche und den Styria Buchverlagen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die in ihrem Wirken zur Überwindung von Schranken aller Art beitragen. Dies ganz im Geiste von Fritz Csoklich, dem Namensgeber des Preises und langjährigen Chefredakteur der Kleinen Zeitung. Csoklich setzte sich als Brückenbauer für die Überwindung historischer Gräben, die Versöhnung verfeindeter Gruppen und die Stärkung der Demokratie ein. (Red.)

>> Laudatio von Karl-Markus Gauß 

>> Nachruf auf Dževad Karahasan Anne-Catherine Simon (19.05.2023)

Begründung der Jury

Dževad Karahasan war ein großer Erzähler, der das kleine, vergessene, verwundete Bosnien zum Ort der europäischen Literatur machte. Mit seinem Werk hat er das Fenster zu einem tiefgehenden Verständnis der dort lebenden Menschen weit aufgestoßen. Die vielfältigen Verwerfungen und Verletzungen nach dem Zerfall des jugoslawischen Vielvölkerstaates beschrieb er mit leiser, dafür umso eindringlicherer Stimme.

Er selbst war ein Grenzgänger zwischen Orient und Okzident, zwischen Islam und Christentum, der mühelos die Brücke von Plato zu Tausendundeiner Nacht und von Duns Scotus zu Kleist schlug. Obwohl der Krieg ihn heimatlos gemacht und seine Stadt, das multikulturell blühende Sarajewo, zerstört hatte, warb er unermüdlich für die Begegnung und den Dialog. Er verfiel nicht dem verführerischen Gedanken an Rache, sondern glaubte an die heilende Kraft einer Umarmung.

Der binären Logik, welche die Welt heute nur zu oft in Freund und Feind, in Gut und Böse scheidet, verweigerte er sich ebenso wie der Vorstellung von einem Kampf der Kulturen. Denn er war überzeugt davon, dass der Mensch keinen Feind braucht, um seine eigene Identität zu artikulieren. „Ich bin ich, weil du du bist, und du bist du, weil ich ich bin“, war für ihn, den gläubigen Muslim und Mystiker, die Formel, der Ausgangspunkt für das „wahre Gespräch“, das er als Austausch und Gelegenheit zum Kennenlernen verstand, und nicht als Bestätigung eigener Meinungen und weltanschaulicher Standpunkte. Der andere blieb für ihn immer unabdingbare Voraussetzung für die eigene Freiheit. Diese offene Haltung bestimmte auch sein Ringen um eine angemessene Wahrnehmung und Beurteilung der erlebten Vergangenheit, die er als „Fangeisen“ bezeichnete, „das uns die Zeit aufgestellt hat“.

Im Verständnis Karahasans ist Literatur absolut nutzlos und hat keine Funktion, wohl aber einen Zweck: Literatur verteidige die wunderbare Komplexität, Kompliziertheit des menschlichen Wesens. Sie erinnere Menschen daran, dass sie nicht nur Wesen der Vernunft sind, sondern auch ein pathetisches Universum haben und einen metaphysischen Kern in sich tragen. Und Literatur immunisiere dagegen, Menschen und Verhältnisse auf eine einzige Dimension zu reduzieren.

Dževad Karahasan, der bereits vor seinem Tod am 19. Mai 2023 für den Preis nominiert worden war, erhält posthum den Fritz-Csoklich-Demokratiepreis 2023.

Die Jury: Florian Asamer (Die Presse), Brigitte Bierlein (frühere Bundeskanzlerin), Michael Csoklich (Journalist), Nava Ebrahimi (Autorin), Valerie Fritsch (Autorin), Thomas Götz (Kleine Zeitung), Irmgard Griss (ehemalige Präsidentin des OGH), Doris Helmberger-Fleckl (Die Furche), Franz Küberl (ehemaliger Caritas-Präsident), Helga Kromp-Kolb (Klimaforscherin), Markus Mair (CEO Styria Media Group), Matthias Opis (Styria Buchverlage), Manfred Prisching (Soziologe), Helga Rabl-Stadler (Unternehmerin und ehemalige Präsidentin der Salzburger Festspiele), Eva Schlegel (Künstlerin), Lojze Wieser (Verleger), Oliver Vitouch (Psychologe und Rektor der Universität Klagenfurt).


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.