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Kathrin Röggla: Wie man wach bleibt im Heute

Roman über NSU-Prozess: Kathrin Röggla.
Roman über NSU-Prozess: Kathrin Röggla. Jessica Schaefer
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Die gebürtige Salzburgerin Kathrin Röggla bekräftigt mit ihrem neuen Roman ihren Ruf als eine der angesehensten deutschsprachigen Autorinnen.

Als bald nach den Anschlägen von 9/11 Sammelbände mit Beiträgen von Autorinnen und Autoren erschienen, die das Ereignis literarisch zu fassen versuchten, war die Qualität dieser Texte enden wollend. Es verhielt sich wie mit der bald nach Beginn der Pandemie 2020 aufgepoppten „Corona-Literatur“; in der unmittelbaren Betroffenheit entsteht selten bemerkenswerte Literatur.

Selten – aber doch. Kathrin Röggla ist der rare Fall einer Autorin, die aus unmittelbarer Erfahrung heraus nicht nur kluges Nachdenken über gesellschaftliche Zustände gewinnt, sondern dieses auch mit den Mitteln der Literatur verdichtet und sinnlich eindrücklich macht. Wie damals, als sie am 11. September 2001 zufällig in New York nur wenige Straßen von den Zwillingstürmen des World Trade Centers wohnte und dann ihr Buch „Really Ground Zero“ darüber schrieb. Darin dachte sie auch über das Wesen des Ausnahmezustandes (in der heutigen Gesellschaft) nach. Über eine andere Art von Ausnahmezustand schreibt sie in ihrem neuen Buch „Laufendes Verfahren“, das auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis stand und mit dem Heinrich-Böll-Preis geehrt wurde: Thema ist der deutsche NSU-Prozess, den sie monatelang als Zuschauerin mitverfolgt hat. Röggla zieht hier alle Register ihrer Sprachkunst, um diesen Prozess aus der Publikumsperspektive zu beschreiben und Fragen darüber aufzuwerfen, was er mit der heutigen Gesellschaft zu tun hat.

In Deutschland lebt die 1971 in Salzburg geborene Autorin schon lange. Fast drei Jahrzehnte verbrachte sie in Berlin, seit kurzem lebt sie in Köln. Die Stadt ist für Röggla auch, wie an ihren Texten zu sehen ist, natürliches und notwendiges Schreibumfeld. Schon seit ihrem im Residenz Verlag erschienenen Roman „Irres Wetter“ sprach man bei ihr gern von Großstadtprosa. Dabei verschließt sich ihr Werk den Etiketten, auch in den Genres: Röggla gleitet wie selbstverständlich zwischen Essay, Drama, Erzählung, Hörspiel und Romanform hin und her.

Leben in sozialer Angst

Leben in neoliberalen Verhältnissen zieht sich als Thema durch ihr Werk, gespeist von Beobachtungen und Gesprächen mit Betroffenen. Röggla beschrieb nicht nur allgemein eine durch Freiheitsversprechen verdeckte „neue Unsicherheitskultur“, sondern nahm einzelne Bereiche unter die Lupe. In ihrem 2004 erschienen, auch dramatisierten Roman „Wir schlafen nicht“ etwa stellte sie die Arbeitsverhältnisse in der „New Economy“ dar, wobei sie Interviews verarbeitete, die sie mit Angestellten in der Branche der Unternehmensberater geführt hatte. Für ihr Stück „Draußen tobt die Dunkelziffer“ recherchierte sie bei Berliner Schuldnerberatern und in Los Angeles in der Selbsthilfe-Szene für Verschuldete. Im Stück „Junk Space“ geht es um Angst und deren gesellschaftliche und politische Steuerung. Ihr gesellschaftlich-literarisches Engagement übt Kathrin Röggla jedoch auch als Präsidentin der Berliner Akademie der Künste aus, als Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie als Professorin für „Literarisches Schreiben“. (sim)

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