Wissenschaft

Krieg, Vater der Artenvielfalt

Wenn hungrige Mäuler attackieren, verteidigen Pflanzen sich mit Giften, und sie rufen Feinde der Feinde herbei.
Wenn hungrige Mäuler attackieren, verteidigen Pflanzen sich mit Giften, und sie rufen Feinde der Feinde herbei. Malcolm Schuyl / Flpa / Picturedesk.com
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Pflanzen und Insekten, die sie attackieren, stellen zusammen mehr als die Hälfte aller Arten. Das kommt von ihrer Koevolution, einem Wettrüsten ohne Ende.

Seit die Pflanzen auf das Land gestiegen sind, vor 450 Millionen Jahren, sind sie Attacken von hungrigen Mäulern ausgesetzt, denen von Insekten, vor denen sie nicht flüchten und die sie nicht mechanisch verscheuchen können. Deshalb mussten sie sich anders verteidigen, mit Giften. Die wirkten eine Zeitlang, dann entwickelten die Insekten Resistenzen, das Wettrüsten ging in eine neue Runde, wieder und wieder. Und in diesem Fall war wahrhaft der Krieg der Vater aller Dinge bzw. der biologischen Vielfalt: Pflanzen und ihre Fressfeinde stellen mit 300.000 bzw. einer Million Arten zusammen mehr als die Hälfte von allen (Pnas 106, S. 18054), man erklärt es mit dem „escape and radiate model“: Wann immer eine Seite die Oberhand hatte, stieg ihre Artenzahl stark.

Das haben vor über 60 Jahren Paul Ehrlich und Peter Raven (Stanford) an Pflanzen und Schmetterlingen gezeigt (Evolution 18, S. 586), in die genetischen Details ist ist später Christopher Wheat (Jena) an Kreuzblütengewächsen – Senf etwa – gegangen: Die haben viele Arten gebildet, nachdem sie die „Senfölbombe“ entwickelt hatten, eine Kombination aus sekundären Pflanzenstoffen (Glucosinolaten) und einem Enzym (Myrosinase). Je für sich sind die nicht giftig, und sie werden in verschiedenen Zellkompartementen gelagert. Aber wenn sie zusammen kommen, in hungrigen Mäulern (und Mündern), bilden sie Senföle, die für Insekten tödlich sind (und uns munden).

Pflanzenbilden Gifte, Insekten Resistenzen

Die Insekten haben ein Gegenmittel gefunden, das die Glucosinolate so veränderte, dass sie nicht mehr mit dem Enzym reagieren konnten (Pnas 104, S. 20427). Darauf antworteten die Pflanzen mit Genverdoppelungen, die Abwandlungen der Glucosinolate ermöglichten, dann zogen wieder die Insekten nach. So schaukelte sich das auf, seit es Kreuzblütler gibt, seit 90 Millionen Jahren (Pnas 112, S. 8362).

Und so ging es bei anderen Pflanzen und Giften schon viel früher. Allerdings ist deren Repertoire bzw. das ihrer Angriffspunkt begrenzt, viele zielen auf den Rezeptor für den Neurotransmitter GABA, sie legen damit Nervensignale lahm. Das tun etwa von Menschen entwickelte Insektizide auf der Basis chlorierter Kohlenwasserstoffe, die seit den 1940er-Jahren eingesetzt wurden, das bekannteste hieß Dieldrin (es wurde später seiner Toxizität wegen verboten). Nach 40 Jahren waren bei Insekten Resistenzen da.

Aber die fand Jia Huang (Hangzhou) nun auch bei vielen Pflanzen, die nie mit Dieldrin etc. in Berührung gekommen waren: Auf die GABA-Rezeptoren zielen nicht nur Insektizide, auch Pflanzen selbst tun es, mit verschiedenen Wirkstoffen seit 300 Millionen Jahren. Insekten entwickelten immer wieder Resistenzen, in einem Fall taten es gar Insekten, Marienkäfer, die sich nicht über Pflanzen her machen, sondern über andere Insekten, die das getan haben, Blattläuse: Die waren voll mit den Giften, die sie nicht nur überlebt, sondern auch eingelagert hatten (Nature Ecology & Evolution 17. 7.).

Das Beispiel zeigt, dass es im generellen Zug der Koevolution von Giften und Resistenzen auch feinere Kriegslisten gibt: Die Weiße Fliege (Bemisia tabaci), die bei vielen Nutzpflanzen schwere Schäden anrichtet, hat sich das Entwickeln eigener Resistenzen erspart und stattdessen von Wirtspflanzen das Gen „gestohlen“, mit dem sie sich vor dem eigenen Gift schützen (Cell 184, S. 1693). Häufiger werden Gifte eingelagert, um sich selbst gegen Räuber zu wappnen, manche Blattläuse nehmen von Pflanzen nur Glucosinolate auf, das Enzym produzieren sie selbst und lageren es, so wie die Pflanzen getrennt, zusammen kommen sie erst, wenn Räuber sich über sie her machen (Proc. Roy. Soc B 269, S. 187)

Andere lagern zu ihrem Schutz Nikotin ein, das Nervengift, mit der Wilde Tabak (Nicotinia attenuata) sich verteidigt. Der wird von Wanzen, Käfern und Raupen des Tabakschwärmers attackiert. Gegen Erstere wirkt das Nikotin, Letztere neutralisieren und nehmen es zu ihrem Schutz in sich auf. Deshalb stellt der Tabak bei ihren Attacken die Produktion von Nikotin ein und fährt die eines verdauungshemmenden Enzyms hoch, das die Fresser klein hält, Ian Baldwin (Jena) ist den Details über Jahrzehnte nachgegangen (Science, 291, S. 2141), auch denen der Duftstoffe, die verletzte Pflanzen frei setzen, der „Green leaf volatiles“ (GLV).

Feinde der Feinde zu Hilfe rufen

Von denen kommen manche bei jeder Verletzung – auch mechanischer: frisch gemähtes Gras riecht danach –, aber wenn Raupen nagen, wird durch ihre Spucke die Produktion von Düften induziert, die zum einen noch nicht befallene Teile der Pflanzen – und Nachbarpflanzen – alarmieren, und die zum anderen Feinde der Feinde herbei locken, parasitische Wespen, die ihre Eier in die Raupen legen, die Brut frisst sie dann von Innen auf.

Diese Strategie bietet Fraßinsekten keinen Ansatzpunkt zu Resistenzbildung, aber Baumwolkapselbohrer (Helicovera zea) haben doch eine Gegenstrategie gefunden, sie unterbinden die Emission der GLV, indem sie die Stomata – die Poren der Blätter – verschließen, Po-An Lin (Penns) hat es bemerkt (New Phytologist 230, S.793).

So hält sich in der Koevolution bzw. im Krieg von Pflanzen und Fraßinsekten alles in der Schwebe bzw. tat es, bis der Mensch eingriff, mit den von ihm hoch gezüchteten Nutzpflanzen. Die wurden auf Leistung optimiert, dabei blieben ihre Abwehrkräfte auf der Strecke, zum Ersatz kamen Insektizide. Die haben viel Schaden angerichtet, deshalb setzt ein Veteran des Feldes weiter auf Biologie, Ted Turling (Neuchatel). Er hat 1990 die Grundlagen dafür gelegt, dass (gezüchtete) parasitische Wespen heute im Pflanzenschutz einigen Raum einnehmen (Science 250, S. 1251).

Später wandte er sich dem Geschehen im Boden zu, bei dem von Käferlarven benagte Wurzeln auch Feinde der Feinde zu Hilfe rufen, Nematoden, die machen sich über die Larven her. Und bald sollen sie auch über der Erde helfen, gegen den Herbst-Heerwurm (Spodoptera frugiperdan), einen relativ neuen, aber immer bedrohlicheren Maisschädling: Turling hat Nematoden gezüchtet und auf Pflanzen ausgebracht, in ersten Experimenten hatte er Erfolge (Biological Control 176 105086), er hofft, dass sie auch in breiterer Anwendung lange bleiben, weil Raupen mit der Gefahr aus dem Boden noch nie etwas zu tun hatten.

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