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Lexikon der Politiksprache: Denkzettel und verzetteln

Ist das Papier, das man in die Urne einwirft, vielleicht auch ein Denkzettel?
Ist das Papier, das man in die Urne einwirft, vielleicht auch ein Denkzettel?Clemens Fabry
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Wovon ist eigentlich die Rede, wenn die Wähler angeblich einen Denkzettel verteilen?

Verlieren Regierungsparteien bei einer Wahl viele Stimmen, heben Analysten und politische Gegner gern einen Begriff aus der – leider viel zu oft geöffneten – Kiste mit den verstaubten politischen Begriffen und Phrasen. Dass die Wählerinnen und Wähler nämlich einen Denkzettel verteilt haben. Eh, nur wie schaut so ein Denkzettel eigentlich aus? Ein Post-it, das Politikern auf die Stirn gepickt wird? Und was steht da überhaupt drauf? „Denke!“?

Nun, der Begriff selbst ist etwa seit dem 15. Jahrhundert als Fachwort der Rechtssprache belegt. Der „denkcedel“ war zunächst eine Urkunde oder schriftliche Vorladung. Im 16. Jahrhundert verwendete Luther den Begriff als deutsche Übersetzung für die jüdischen Gebetsriemen mit Gesetzessprüchen, den sich Gläubige beim Gebet an die Stirn oder den Arm binden. Später wandelte sich die Bedeutung auch in Richtung Strafe, weil Schüler in Jesuitenschulen nach einem Vergehen einen Zettel an sich tragen mussten, auf dem der Fehler verzeichnet stand. Die teils damit verbundenen Prügelstrafen gingen auch auf den Denkzettel über.

Im Fall der Wahl kann die Opposition dann höhnen, dass sich die betreffende Partei eben verzettelt hat. Das hat allerdings mit dem Zettel im Sinne von Papier nichts zu tun. Denn Zettel wurde ursprünglich in der Weberei der Längsfaden genannt. Wenn also Fäden durcheinandergerieten und sich verhedderten, sprach man auch vom Verzetteln. Dieser verzettelte Zettel klingt zwar gleich wie der papierene, hat aber eine andere Wurzel. Während Zettel im Sinn von Papier vom lateinischen „schedula“ (Papierblättchen) kommt, dürfte sich der in der Weberei vom mittelhochdeutschen „zet(t)en“ (ausbreiten) ableiten.

Wie ein Denkzettel in der Politik nun wirklich aussieht, wissen wir jetzt halt noch immer nicht. Hoffen wir, dass deswegen jetzt niemand einen Streit anzettelt.

E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

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