Culture Clash

Nach Hause gekommen (Teil 2)

Gehört Oscar Wilde den LGBTQs – oder den Katholiken? Eine unsinnige Frage, für solche schwarz-weiße Narrative ist die Wirklichkeit zu bunt.

Letztens schrieb ich hier, dass der Nobelpreisträger Jon Fosse seine Konversion zum katholischen Glauben wie eine „Heimkehr“ empfunden hat. Mein Hinweis, dass das auch für Oscar Wilde „so gewesen sein mag“, hat einen Leserbriefschreiber empört: Wilde sei schon bewusstlos gewesen, als ihn ein Priester „auf die Bitte eines Bekannten hin“ am Sterbebett getauft habe. Und eine katholische Vereinnahmung des von der christlichen Sexualmoral verfolgten Dichters verhöhne alle LGBTQs.

Ich verstehe die Emotion (und lehne ebenfalls die Kriminalisierung von Homosexualität ab). Die Fakten lassen aber die von mir konjunktivisch formulierte Möglichkeit zu. Dem Priester, der von Zeichen der Zustimmung berichtete, mag man ja misstrauen. Der „Bekannte“ war aber der innigste Vertraute Wildes, Robbie Ross, der sich später schuldig fühlte, „weil ich ihn so oft davon abgebracht hatte, Katholik zu werden“. Schon als Student wollte Wilde konvertieren. Und nach seiner Haft suchte er um eine Exerzitienzeit bei den Jesuiten an. Dem „Daily Chronicle“ sagte er kurz vor seinem Tod, er habe vor, bald in die katholische Kirche aufgenommen zu werden …

Die Wirklichkeit ist vielschichtiger als schwarzweiße Freund-Feind-Narrative (das illustriert auch ein eben erschienenes Buch: „Weil ich es will“, mit 39 Lebensberichten homosexuell empfindender Menschen „quer zu queer“). Ich teile deshalb auch die Kritik meines Lesers an einer Beutementalität bei Sterbebett-Konversionen, von deren echtem Gehalt ja höchstens der Sterbende selbst Gewissheit hat.

Spannend bleibt, wie gerade für Künstler der sogenannten Dekadenz die katholische Kirche anschlussfähig war, und das nicht erst im Sterben. Viele von Wildes Freunden wurden katholisch, etwa Alfred „Bosie“ Douglas oder Aubrey Beardsley. In Frankreich kehrten Dichter wie Joris-Karl Huysmans, Charles Baudelaire (laut Anatole France „nicht der Dichter des Lasters, sondern der Sünde“) oder Paul Verlaine zur katholischen Kirche zurück, Letzterer im Gefängnis (er hatte auf seinen Geliebten Rimbaud geschossen).

Zeigen uns das anglikanische England und das laizistische Frankreich, dass dort die katholische Kirche, weil sie keine Rolle als moralischer Taktgeber der Nation hat, leichter als der persönliche, eigene – und damit eigentliche – Hoffnungsort für Heil und Erlösung in den Blick kommt? Danach klingt jedenfalls das Oscar Wilde zugeschriebene (natürlich ungerechte) Wort: „Die katholische Kirche ist allein für Heilige und Sünder; für die respektablen Leute tut’s die Church of England auch.“

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

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