Alessandro Rodia wird in diesem Schuljahr maturieren.
Bildung

Klug zu sein reicht nicht aus: Was Hochbegabte brauchen

Es gibt mehr hochbegabte Kinder und Jugendliche in unserer Gesellschaft, als wir wahrnehmen. Die Begabungen zu erkennen, ist oft nicht leicht. Doch es tut sich was im Bildungsbereich.

Vorhin, in der Straßenbahn, hat sich Alessandro Rodia noch rasch die neue Studie der Stanford Universität durchgelesen, dessen Inhalt er nun begeistert teilt: Forscher konnten bei Labormäusen aufzeigen, wie es ein kleines Molekül verhindern kann, dass die Verbindungen zwischen Nerven und Muskelfasern mit dem Alter nachlassen – und somit Muskelschwäche hervorrufen. „Eine Studie zu lesen“, sagt Rodia, „das ist, als würde man gleichzeitig nichts und alles verstehen.“ All die neuen Fachbegriffe, denen er in den Texten begegnet, sind für Rodia die reinste Freude. Wie ein Fächer breitet sich das Wissen vor ihm auf, das jeder neuer Begriff mit sich bringt. Rodia verliert sich gern in Büchern. Er besucht Uni-Vorlesungen von Astrophysikern, ist oft an der Akademie der Wissenschaften, hört sich Vorträge von Neurochirurgen an. Seinen Wissensdurst als bemerkenswert zu bezeichnen, wäre eine große Untertreibung.

Rodia ist 18 Jahre alt, ein hochbegabter Schüler. In seiner Volksschulzeit verbrachte er den Unterricht damit, Bücher zu verschlingen; den Jahresstoff hatte er schnell durch. „Meine Lehrerin hat mich unterstützt“, sagt Rodia, und so sei er auch nie unterfordert gewesen. Im Gegensatz zu den ersten Jahren im Gymnasium. Starr und unflexibel waren manche Fächer, was die Pädagogen vorn erzählten, hatte er sich schon vor Jahren selbst beigebracht. „Ich bin unglaublich interessiert an Chemie und Biochemie“, sagt Rodia. Doch habe es ihr damaliger Lehrer einfach nicht geschafft, das Wissensfeuer in der Klasse zu entfachen. So etwas enttäuscht ihn.

Nach seiner Matura stehen Rodia viele Wege offen. Er hat schon Praktika bei Ärzten und im Krankenhaus gemacht, wie es in der Uni aussieht, weiß er längst. Am liebsten würde er Medizin studieren, dann vielleicht in die Forschung gehen. Kaum vorstellbar, dass Rodia nicht brillieren wird, doch zeichnet ihn auch Bescheidenheit aus. „Ich würde von mir nicht behaupten, hochbegabt zu sein“, sagt er. „Wenn andere das über mich sagen, okay.“ Er spricht lieber von Interessen. Genauer gesagt: „Für mich ist es ein unglaubliches Interesse an vielen Sachen.“

Was Rodia als Begabung definiert, deckt sich mit den neuesten Ansätzen in der Forschung. „Als begabt wird allzu oft fälschlicherweise jemand begriffen, der einen IQ von 130 hat“, sagt Claudia Resch vom Österreichischen Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung (ÖZFB) in Salzburg. Eine veraltete Definition psychologischer Herkunft, die andere Aspekte ver­nachlässigt. Etwa die Motivation, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, das Klassenklima, das die Interessen entweder fördert oder drosselt. Einmal als Streber abgestempelt, haben es die Schüler oft schwer, wollen sich lieber nicht exponieren. Mit der erweiterten Definition sind es dann auch nicht mehr zwei oder drei Prozent der Schüler, die als hochbegabt gelten, sondern 15 bis 20 Prozent eines jeden Jahrgangs. So sie denn entdeckt werden.

Wo steht nun Österreich bei der Förderung seiner begabten Kinder? Grundsätzlich sind die Bemühungen da, resümiert Resch. Das ÖZBF berät die neun Bildungsdirektionen, im Ministerium befasst sich ein Referat mit Begabtenförderung. Sie selbst sei schon 17 Jahre beim ÖZBF, „und da kam es in den letzten Jahren schon zu positiven Entwicklungen“. Nur müsse man den langen Atem bewahren.

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