Gastkommentar

Akten-Leaks – ein zerstörerisches Werkzeug

  • Drucken

Handyauswertungen sind heute längst unverzichtbar in Ermittlungsverfahren. Dennoch zeigt der tragische Fall Pilnacek: es braucht dringend und rasch konkrete Regeln für Veröffentlichungen.

Smartphones sind unsere ständigen Begleiter bei der Arbeit, im Privatleben und als Kommunikationsmittel. Wir nähern uns dem nahezu vollständigen Abbild unseres Lebens auf den Geräten an: Fotos, E-Mails, Termine, Social Media, Messenger-Kommunikation, Geldgeschäfte, Dating-Apps, Gesundheitsdaten und vieles mehr – nahezu alle Lebensaspekte bis hin zu privatesten Details laufen konvergent auf den tragbaren Computern in unseren Taschen zusammen.

Somit ist die Auswertung von Smartphones in Strafverfahren heutzutage unerlässlich: Vieles, das früher noch physisch sichergestellt werden konnte, kann heute nur noch virtuell auf digitalen Geräten aufgefunden werden. Dabei werden jedoch viel weitreichendere Informationen als früher zugänglich, einerseits technisch bedingt, anderseits durch die Veränderungen des Verhaltens im Laufe der letzten Jahre. So finden sich auf Smartphones nicht nur riesige, weit zurückreichende Datenbestände, sondern auch unbewusst erfasste Informationen, etwa über den Standort, körperliche Aktivitäten oder darüber, welche App zu welchem exakten Zeitpunkt genutzt wurde. Durch die permanente Verfügbarkeit von Technik hat sich auch das Verhalten der meisten Menschen geändert – viele Dinge werden durch eigenes Zutun dokumentiert, etwa durch die laufende Anfertigung von Fotos (samt Erfassung des Standortes der Aufnahme) oder durch Messengerkommunikation, die heute vieles textlich abbildet, das vor wenigen Jahren noch telefonisch oder persönlich ausgetauscht wurde und sich damit der Nachvollziehbarkeit entzog. Diese Verhaltensänderung ist mittlerweile auch im beruflichen Bereich angekommen, was bei Ermittlungsverfahren zu reichhaltigen Erkenntnissen über Vorgänge rund um Funktionsträger führt.

Hinweis:

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

Angesichts dieser neuartigen Informationstiefe ist das momentan geringe Ausmaß des Rechtsschutzes dringend überarbeitungsbedürftig: Die Sicherstellung und Auswertung eines Mobiltelefons steht jener eines Gegenstandes wie z.B. eines Notizblocks gleich, stellt aber einen massiven Eingriff in umfassende höchstpersönliche Daten dar, der in vielen Fällen gravierender als der rechtlich stark geschützte „Lauschangriff“ ausfällt. Eine Definition in der Strafprozessordnung, bei welchem Vorwurf ein Smartphone ausgewertet werden darf, sowie die Einführung einer gesonderten richterlichen Genehmigung ist längst überfällig.

Geringer Rechtsschutz

Da die Auswertung von Handys auch bei gesetzlichen Nachschärfungen weiterhin von großer Bedeutung in Strafsachen bleiben wird und Veröffentlichungen von Akteninhalten an der Tagesordnung stehen, muss zudem der Schutz von Persönlichkeitsrechten Betroffener gestärkt werden, wie der Fall von Christian Pilnacek tragisch vor Augen führt.

Wer täglich mit Datenauswertungen zu tun hat, weiß, dass nahezu jedes intensiv genutzte Mobilgerät Inhalte aufweist, mit denen man den Ruf des Besitzers nachhaltig schädigen könnte, dies völlig abseits der strafrechtlichen Relevanz. Besonders problematisch ist daher die Unreguliertheit des Umganges mit den – in der Regel legalen – Veröffentlichungen von Akteninhalten, die umfassendes, oft für den Sachverhalt irrelevantes Beweismaterial enthalten. Die deutliche Mehrheit der Leaks aus Ermittlungsakten dürfte aus der Akteneinsicht durch Beschuldigte stammen und wird weitergegeben, um die öffentliche Stimmung rund um eine Strafsache zu beeinflussen. Die aktuelle Rechtslage gibt den hier tätigen professionellen Kommunikatoren ein mächtiges Werkzeug in die Hand, denn Akteninhalte dürfen im direkten Wortlaut zitiert oder faksimiliert dargestellt werden, was für Skandalberichterstattung höchst attraktiv ist. Derartige Darstellungen sind naturgemäß oftmals unsachlich und überdecken dabei die relevanten Fakten komplexer Korruptions- und Wirtschaftsermittlungen mit plakativen, zur Empörung tauglichen Inhalten. Es verbleibt ein verzerrtes Bild Betroffener in der Öffentlichkeit – immer wieder trifft dies auch unbeteiligte Personen, deren Identität dann in der persönlich relevanten Halböffentlichkeit schnell bekannt wird.

Destruktive Kraft reduzieren

Die Interpretation höchstpersönlicher interpersoneller Kommunikation ist selbst für erfahrene Ermittler mit Zugriff auf den gesamten Ermittlungsstand oftmals irreführend, denn die verkürzte Form von Chats bietet sehr viel Projektionsfläche. Im öffentlichen Diskurs fehlen der Gesamtkontext sowie das notwendige Bewusstsein zur Problematik freilich – private Chats werden vielfach entkoppelt von strafrechtlich relevanten Vorwürfen diskutiert und nach Maßstäben bewertet, die an öffentliche Äußerungen anzulegen sind, Formulierungen werden ins Lächerliche gezogen. Der immer wieder behauptete Transparenzgewinn für die Öffentlichkeit besteht nur selten, da selektive Darstellungen ungeeignet zur Einordnung einer komplexen Situation sind – und besondere Maßstäbe an private Kommunikation angelegt werden müssen, egal von wem diese stammt.

Erschwerte Ermittlungsarbeit

Die aus derartigen Veröffentlichungen entstehende Situation belastet dabei nicht nur Beschuldigte durch Vorverurteilungen, sondern unterminiert auch das Vertrauen in die Justiz und erschwert die Arbeit der Ermittlungsbehörden durch öffentlichen Druck und unsachliche Erwartungen. Ziel muss sein, die destruktive Kraft aufgeheizter öffentlicher Diskursführung zu reduzieren, Beschuldigtenrechte zu stärken und mediale Vorverurteilungen aufgrund von Aktenveröffentlichungen zu verhindern. Ein Schritt hierzu sollte eine Anpassung des mediengesetzlichen Schutzes der Unschuldsvermutung sein, der auf weniger skandalisierende Berichterstattung abstellt.

Noch wesentlicher ist jedoch, dass direkte Zitate und Faksimilierungen als Brandbeschleuniger in der aufgeheizten Stimmungslage einer Skandalberichterstattung wirken. Ein Blick nach Deutschland zeigt einen schon lange bestehenden Ansatz, dies abzuschwächen: Die dortige Rechtsordnung erlaubt zwar Berichterstattungen über den Sachverhalt, untersagt jedoch direkte Zitate aus den Akten. Eine solche Regelung wäre auch für Österreich wünschenswert, denn es erfolgt kein unzumutbarer Eingriff in die Pressefreiheit, gleichzeitig wird jedoch die Belastung für Betroffene massiv reduziert, da diese erfahrungsgemäß unter direkten Zitierungen privater Kommunikation und den daraus folgenden öffentlichen Detaildiskussionen und den verzerrten Darstellungen über ihre Person besonders leiden.

Oftmals eingewandt wird das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Die Lösung kann jedoch nicht Transparenz durch zufällige Ereignisse und taktische Anzeigen sein. Soll das Handeln von Funktionsträgern transparent sein, dann benötigt es dazu einen gesellschaftlichen Konsens – und eine gesetzliche Grundlage, die definiert, welche Kommunikation für die Öffentlichkeit einsehbar werden muss.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

(„Die Presse“-Printausgabe, 24.10. 2023)

Der Autor:

Georg H. Jeitler (* 1979) ist Partner in einem internationalen Wirtschafts­prüfungs- und Beratungsunternehmen, wo er den Bereich Forensik verantwortet. Er ist Gerichtssachverständiger für diverse Wirtschaftsthemen, Beratung und Kommunikation und regelmäßig in der Aufarbeitung von Korruptions-Großkomplexen für die öster­reichische Justiz sowie für private Auftraggeber tätig. Er hat schon 2021 unter anderem auf der Plattform X vor Suizidgefahren Betroffener gewarnt, wenn für die Beschränkung von Leaks nicht rasch eine Lösung respektive Regelungen gefunden werde.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.