Gastkommentar

Werd’ erst mal älter, dann weißt du, was ich meine!

Autorin Hannah Oppolzer auf dem Dach des Leopold 
Museums in Wien.
Autorin Hannah Oppolzer auf dem Dach des Leopold Museums in Wien.Jana Madzigon
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Wer jung ist, darf sich nicht zu viel anmaßen. Es ist die Erfahrung, die uns fehlt, um ernst genommen zu nehmen.

Am besten fange ich damit an, dass ich einen Roman geschrieben habe. „Verpasst“, gerade erschienen. Er handelt von einer schwierigen Mutter-Tochter-Beziehung und von der Angst, etwas im Leben zu verpassen. Tochter Emma ist zwei Jahre älter als ich, also 25, und blickt ihrer Zukunft mit gemischten Gefühlen entgegen. Sie hat Angst davor, Entscheidungen zu treffen und ist sich nicht sicher, welchen Lebensweg sie gehen möchte. Auf keinen Fall will sie später zurückblicken und das Gefühl haben, etwas verpasst zu haben. So weit, so gut. Ihre Mutter allerdings, 48, hat genau dieses Problem: Sie ist unzufrieden und hat die zermürbende Erkenntnis, nicht ihren eigenen Weg gegangen zu sein. Hat sie sich zu sehr an gesellschaftlichen Normen und ihren eigenen Erwartungen orientiert? Die Folgen einer postnatalen Depression zehren immer noch an ihr, hinzu kommen alle Anzeichen einer Krise in der Lebensmitte.

Peter Kufner

Wenn ich diesen Plot erzähle, runzeln Menschen die Stirn. Dass ich über eine 25-Jährige schreibe, das ist leicht nachvollziehbar. Aber über eine Frau, die auf die Fünfzig zugeht? Noch größer werden die Augen, wenn ich erkläre, dass mir die Idee mit siebzehn gekommen ist und zu Beginn die Mutter im Fokus stand. Ja, ich hatte das Bedürfnis, über eine Frau zu schreiben, die sich in einem vollkommen anderen Lebensabschnitt befindet, mit völlig anderen Problemen, mit Erfahrungen, die weit entfernt von meinen eigenen liegen. Ich habe keine Ahnung, wie es ist, Mutter zu sein, ich weiß nichts von postnatalen Depressionen, Midlifekrisen oder dem reuigen Blick zurück auf das, was sich das eigene Leben nennt. Wie kommt jemand wie ich also auf die Idee, darüber einen Roman zu schreiben?

Ich kenne keine Krise in der Lebensmitte

Sie werden in diesem Text keine Antwort darauf bekommen. Wenn ich schreibe, folge ich nicht dem rationalen Teil in mir, sondern lasse mich leiten: von Emotionen, persönlichen Vorlieben, von Ideen, die völlig unerwartet bei mir vorbeischauen und sich auch nicht immer zum Bleiben überreden lassen, von der Sprache, die sich Wort für Wort entwickelt. Ich habe nie Tagebuch geschrieben, es hilft mir nicht, meine Alltagsprobleme aufzuschreiben. Es wäre also falsch, wenn ich sage, dass Sprache mein Ventil ist, um Dinge zu verarbeiten und mich weiterzuentwickeln. Nicht Sprache allein – sondern literarische Sprache.

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Wenn ich über etwas schreibe, dann immer in fiktionalisierter Form, am liebsten in Romanform. Dann gibt es ein Thema in meinem Leben, das mich manchmal sehr brennend, manchmal aber auch nur unbewusst beschäftigt, und zeitgleich beginnt in meinem Hinterkopf etwas zu rattern. Und erst wenn ich es auf eine Art und Weise aufgeschrieben habe, die meinen literarischen Ansprüchen genügt, fühlt es sich befriedigend an. Ob ich mich dann tatsächlich noch an der Realität orientiere, ist zweitrangig. Tatsächlich tue ich das meistens nicht. Sobald sich die Wörter zu formen beginnen, verlasse ich die Ebene meiner persönlichen Erfahrungen und tauche ein in die Ebene des Textes. Unter meinen Fingern verselbstständigen sich die Gedankenbruchstücke, die still und heimlich in mir gewachsen sind. Erst im Prozess des Schreibens erfahre ich, was in mir alles gebrodelt hat. Es ist wie ein Psychogramm meines Selbst. Der Text ist mein Spiegel – ein sehr verzerrter Spiegel.

Für die anderen zu jung, um Fragen zu beantworten

Wer jung ist, der darf sich ja nicht zu viel anmaßen. Kinder sollen glauben, was Erwachsene sagen, und dürfen sie nicht unterbrechen. Jugendliche kennen diesen Gesichtsausdruck der Eltern, wenn diese anderer Meinung sind als sie und stark davon überzeugt, dass der Teenager ihre Argumente mit steigendem Alter schon noch verstehen werde. Die Gesellschaft vermittelt uns, dass wir bis zu einem gewissen Alter in der Position sind, Fragen zu stellen und nicht, sie zu beantworten. Wir leben noch nicht lange genug, um weise zu sein, und unsere Ambitionen und Ziele (die sich in dem Alter klarerweise noch öfter mal ändern) werden oft belächelt. Es passiert mir immer noch, dass meine Vorstellungen von der Zukunft mit einem wissenden Lächeln als zu naiv, zu gutgläubig, zu visionär abgetan werden. Wenn man jung ist und voller Ideen, beschert einem diese Reaktion ein furchtbares Gefühl.

Die Autorin:

Hannah Oppolzer (1999) ist Schriftstellerin. Sie studiert Deutsche Philologie und Vergl. Literaturwissenschaft (Uni Wien) und Literarisches Schreiben (Hildesheim). Ihr Debüt „Verpasst“ (Braumüller) ist soeben erschienen.

Es ist die Erfahrung, die uns fehlt, um uns ernst zu nehmen. Andererseits wird von uns Großes erwartet, in vielen Lebensbereichen. Wir müssen alle stolz machen und möglichst früh beweisen, was wir alles schon können. Wir müssen so oft Leistung abrufen, dass kaum Zeit für den Lernprozess dahinter bleibt. Geschweige denn Zeit dafür, um zu begreifen, wie man das Erwachsenwerden bewältigt, die Welt und die immer neuen Krisen und Kriege verdaut. Zuerst hat man uns lange Zeit auf jedem Schritt begleitet, uns (in vielen Dingen zu Recht) nicht für mündig gehalten und uns die Welt erklärt. Nur um dann plötzlich von uns zu erwarten, dass wir mit beiden Beinen fest im Leben stehen, konkrete Vorstellungen von unserer Zukunft haben und natürlich schon jede Menge Erfahrung gesammelt haben. „Das ist es, was Erwachsenwerden so schwierig macht“, denkt sich meine Figur Emma im Roman: „Man wird aus einer Welt gepflückt, die andere für einen gestaltet haben, und wacht in einer Welt auf, die man sich selbst zurechtbasteln muss, ohne gelernt zu haben, wie das geht.“ Aber wer hat einen das jemals gelehrt, dieses Weltgestalten? Wer erklärt einem, wie Leben funktioniert?

Niemand, werden Sie jetzt sagen – und Sie haben natürlich recht. Das Leben ist nichts, wofür es eine Anleitung gibt. Man muss sie sich selbst zusammensetzen: Hier ein Stückchen und hier und hier und hier – wie einen Roman schreiben. Nur, dass der Roman hoffentlich irgendwann abgeschlossen ist, und ich dabei in der privilegierten Position einer allwissenden Göttin bin, die von oben über das Geschehen wacht und die Marionettenfäden zu jeder Zeit in der Hand hält. Das klappt im eigenen Leben nicht so gut, wenn man mittendrin steckt.

Aber eines haben Leben und Schreiben gemeinsam: die Kreativität. Leben erfordert an jeder Ecke Kreativität, und wer sich darauf einlässt, der macht es sich viel spannender. Emma, zum Beispiel, die junge Protagonistin meines Romans, mangelt es daran. Sie hat zwei Männer in ihrem Leben, die beide einen anderen Lebensweg für sie verkörpern, und ist hin- und hergerissen, welchen dieser Wege (und Männer) sie sich besser vorstellen kann. Sie braucht ein bisschen, um zu begreifen, dass es durchaus möglich ist, einen völlig anderen Pfad einzuschlagen.

Ab welchem Alter beginnt „das Verpassen“?

Emma hat schreckliche Angst, etwas zu verpassen, sobald sie sich für einen Weg entscheidet. Doch verpassen wird sie so oder so etwas, jeder von uns verpasst enorm viel. Mit jedem Schritt, den ich im Leben setze, verengen sich meine Möglichkeiten auf ein anderes Leben, sowie ich mit jedem Satz, den ich in meinem Roman schreibe, weniger Möglichkeiten habe, wie es weitergeht. Im Leben kann ich aber plötzlich einen völlig anderen Weg einschlagen und mich kommentarlos in einen Ashram in Indien zurückziehen, im Roman kommt eine nicht nachvollziehbare Kehrtwendung des Plots bei den verwirrten Leserinnen und Lesern womöglich nicht so gut an. 

Im Roman muss ich mich früher oder später entscheiden, worauf die Geschichte hinauslaufen soll, in welche Richtung sich die Figuren entwickeln sollen. Auch im Leben setzt man Wendepunkte, wechselt die Richtung oder zögert Entscheidungen hinaus. Aber auch das ist natürlicher Bestandteil unserer Kreativität. Denn, wie Emma sich fragt: „Wer schreibt einem eigentlich vor, welche Entscheidungen es zu fällen gilt? Welche Etappen man im Leben meistern muss? Wie alt man werden muss, um rückblickend zu sagen, ich habe etwas verpasst und kann es nie wieder nachholen?“

Lesen erfordert und fördert Empathie. In Büchern, die aus der Perspektive eines völlig anderen Menschen geschrieben sind, bin ich als Leserin dazu gezwungen, mich in diese Figur hineinzuversetzen. Im Leseprozess lerne ich, mit ihr zu fühlen, stecke in ihrer Haut, muss ihre Entscheidungen nachvollziehen und für die Dauer des Lesens ihr Leben teilen. Empathie ist etwas, das man heutzutage unbedingt braucht, um in den in unzählige Meinungen aufgespalteten, hitzköpfigen politischen und ethischen Debatten nicht den Überblick für unsere Gemeinsamkeiten zu verlieren. Gerade auch zwischen älteren und jüngeren Menschen ist Empathie die Grundvoraussetzung für ein harmonisches Zusammenleben. Dieses Verständnis für andere Lebenswelten, andere Lebensabschnitte kann man beim Lesen schulen – oder beim Schreiben.

Warum ich mit siebzehn auf die Idee kam, einen Roman über die Probleme, Sorgen und Ängste einer Achtundvierzigjährigen zu beginnen? Vielleicht war es reizvoll, mich in eine Figur hineinzudenken, die ein völlig anderes Leben lebt als ich. Vielleicht habe ich mich gefragt, wie man sich fühlt, wenn man sich für einen Lebensweg entscheidet und sich dieser ein paar Jahrzehnte später nicht mehr richtig anfühlt. Vielleicht war es aber auch meine eigene Angst, etwas zu verpassen, die mich dazu beflügelt hat, meine Befürchtungen und Bedenken auf eine Figur zu projizieren, die auf den ersten Blick nichts mit mir zu tun hat.

Ein großes Empathieexperiment

Dass ich als Dreiundzwanzigjährige also einen Roman über eine Frau in den späten Vierzigern geschrieben habe, kann man als großes Empathieexperiment verstehen. Mein Versuch, mich einer Generation anzunähern, die medial gerne gegen meine ausgespielt wird – in Fragen von Klima, Politik etc. – und nach den Dingen zu suchen, die uns doch eigentlich miteinander verbinden. Denn die gibt es zur Genüge – wenn man sie sehen will.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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