Interview

Liedermacherin Sigrid Horn: „Kindermusik hören wir keine“

„Astronauten haben in der Schwerelosigkeit das Problem, dass ihr Herz schrumpft. Dieses Bild hat mich bewegt“: Horn im Café Westend.
„Astronauten haben in der Schwerelosigkeit das Problem, dass ihr Herz schrumpft. Dieses Bild hat mich bewegt“: Horn im Café Westend.
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Sie lebt zwischen Hühnergeschrei und Kirchenläuten, als Liedermacherin und Dialektsängerin: Nach drei Jahren Pause präsentiert Sigrid Horn gleich zwei neue Alben.

Was hat es mit „Paradies“ auf sich, das nun am 3. November veröffentlicht wird?

Sigrid Horn: Das ist eine Auftragsarbeit der EVN. Die Lieder entstanden anlässlich von 45 Jahren Volksabstimmung Zwentendorf. In ihnen reflektieren meine Gäste und ich darüber, was seither passiert ist. Mit dabei waren Ernst Molden, Ina Regen, Anna Mabo und etliche Freunde mehr. Wir dachten gemeinsam über die Möglichkeit eines Paradieses nach.

Sie haben zuletzt ein Baby bekommen. Eine Geburt verändert viel. Wie erging es Ihnen?

Ich war zunächst in Sorge. Einerseits hatte ich Angst, dass ich den Zugang zur Musik verliere, und andererseits, dass die gesamte Obsorge bei mir als Frau liegt. Da kann eine Beziehung noch so stabil sein, das ist einfach ein Thema. Die unregelmäßigen Arbeitszeiten als Musikerin sind mit einem Baby natürlich auch schwer zu stemmen. Aber ich war so stur, dass ich gleich mit der Musik weitergemacht habe, und jetzt sind zwei Platten fertig.

Das erste der fertiggestellten Alben nennt sich „Nest“. Inwieweit war Rückzug das große Thema?

Der war natürlich noch angeregt von der Zeit der Lockdowns. So ein Rückzug kann etwas sehr Schönes, aber auch sehr Einsames sein. Und so habe ich in meinen Liedern versucht, das gesamte Spektrum zwischen diesen beiden Polen zu beschreiben.

Wo leben Sie eigentlich?

Ich wohne in einem kleinen Dorf in Niederösterreich. Mit Hühnergeschrei und Kirchenläuten. Die Bahnfahrten nach Wien liebe ich, denn da kann ich sehr konzentriert arbeiten. Ich freu mich jedes Mal, wenn ich einen Termin in der großen Stadt habe. Das Pendeln habe ich immer geliebt.

Das erste Lied von „Nest“ nennt sich „Leiser“. Welche Kraft wohnt dem Leisen inne?

Leise sein kann sehr heilend sein, aber in ihm wohnt auch eine zerstörerische Kraft. Kommunikationsverweigerung ist etwas Gefährliches. In diesem Lied geht es um die schmerzhafte Variante des Stillseins. Ich habe mich beim Komponieren sehr um die Grautöne bemüht. Das Arrangement finde ich hier besonders gut gelungen, weil die Streicher immer etwas aneinander vorbeispielen. Das veranschaulicht einen Prozess des Einander-nicht-Zuhörens. Die Spannung gipfelte im choralähnlichen Schlussteil.

Sie traten bisher mit recht kargen Arrangements um Ukulele oder Klavier in Erscheinung. Diesmal wird Ihre Stimme von üppigen Streichern umrahmt. War das eine plötzliche Eingebung?

Nein, eine langsame Entwicklung. Auf die Idee brachte mich Ernst Molden, der immer wieder meinte, dass ein Streichquartett super zu meinen Liedern passen würde. Mit Stefanie Kropfreiter, der ersten Bratsche, verbindet mich eine sehr lange Freundschaft. Wir hatten sogar einmal ein gemeinsames Bandprojekt. Es war klar, dass wir irgendwann gemeinsam was machen werden. Jetzt war es so weit.

„Schwerelos“ wurde eine sehr schöne, poetische Grübelei. Wie kam es zu diesem Thema?

Ich konnte nicht schlafen. Da fand ich im Netz einen schönen Artikel darüber, dass Astronauten in der Schwerelosigkeit das Problem haben, dass ihr Herz schrumpft. Das war ein Bild, das mich so bewegt hat, dass ich, um meinen Freund nicht zu wecken, ins Bad gegangen bin, um das Lied zu schreiben. Ein Kind im Bauch ist auch gewissermaßen in der Schwerelosigkeit. Und als Liebende bist du es sowieso. Die Gefahr, etwas zu verlieren, irgendwie zu schrumpfen – die steigt in solchen Zuständen.

Wie geht es Ihnen als 33-Jähriger mit dem Verfließen der Zeit?

Man müßte schon Kulturwissenschaftlerin sein, um diese vielschichtige Problematik adäquat zu bedenken. Aber ich glaube, es liegt auch daran, dass sich jeder gern an die Zeit seiner höchsten Vitalität zurückerinnert. Selbst wenn die Zeit nicht so gut war, erinnert man sich positiv an sie. Jugend, das ist die Zeit der unbeschriebenen Blätter. Die Zukunft ist noch nicht ausgemacht. Ich habe den Luxus, in eine Generation hineingeboren worden zu sein, die nicht mit 20 schon Kinder kriegen musste. 30 ist das neue 20. Das ist mein Lebensgefühl. Jünger als 20 möchte ich eigentlich nicht mehr sein, denn das war eine wirklich anstrengende Zeit. Ich war ständig verwirrt.

Ernsthaftigkeit ist Kennzeichen Ihrer Kunst – woher rührt die?

Alles andere würde sich für mich falsch anfühlen. Ich bin nicht gut darin, lustige Lieder zu schreiben. „Treviso“ ist das Lustigste, was ich seit zehn Jahren geschrieben habe. Die Beschreibung eines Tagtraums, in dem ich allein auf Urlaub fahre, weil mein Freund permanent arbeitet. Die großen existenziellen Fragen begleiten mich schon mein ganzes Leben lang. Wenn ich über das Glück schreibe, dann ist stets ein wenig Kummer darin verborgen. Man kann ja auch als ernste Person glücklich sein. Ich habe schon als Kind über die großen Fragen nachgedacht. Als Volksschülerin schoss es mir eines Nachmittags auf der Terrasse ein: Warum bin ich eigentlich da?

Wohl, um Lieder zu schreiben. Wer hat Sie konkret inspiriert?

All die großen Singer-Songwriter wie Violeta Parra und Víctor Jara aus Chile. Nina Simone, Bob Dylan und Johnny Cash. Jacques Brel war auch wichtig für mich. Je älter ich werde, um so schwerer fällt es mir, neue Musik kennenzulernen.

Was hören Sie derzeit gern?

„Maggot Brain“ von Funkadelic. Zu den singenden E-Gitarren schläft mein Kind gut ein. Wir hören viel Musik gemeinsam. Allerdings keine Kindermusik. Die ist zu schlecht produziert.

Eine Tournee steht an. Was mögen Sie am Konzertieren?

Ich genieße dann die Freiheit, Fehler machen zu können. Daraus und aus dem Zusammenspiel mit den Kollegen erwächst die Lebendigkeit der Musik. Und manchmal sogar so etwas wie Magie. Dass man bei Konzerten unmittelbar Feedback vom Publikum kriegt, mag ich auch sehr.

Es gibt Menschen, die tragen ihr Haar jedes Vierteljahr anders. Sie haben allerdings so etwas wie einen ikonischen Haarschnitt. Woher rührt der?

Ich habe bis Mitte zwanzig alles ausprobiert. Von blond bis lila, von lang bis abgeschoren. Sogar die verfemten Dreadlocks trug ich mal. Irgendwann landete ich bei diesem Haarschnitt und blieb dabei. Ich will mich nicht lang mit meiner Frisur auseinandersetzen. Es muss schnell gehen.

„Paradies“: Sigrid Horn & Felipe Scolfaro Crema mit Gästen
„Paradies“: Sigrid Horn & Felipe Scolfaro Crema mit Gästen
„Nest“ von Sigrid Horn. (Sony Music/Bader Molden Recordings)
„Nest“ von Sigrid Horn. (Sony Music/Bader Molden Recordings)

Sigrid Horn

1990 in Neuhofen an der Ybbs geboren. Wuchs im Mostviertel auf. Studium in Wien (Gesang, Klavier, Spanisch).

2013 Debütalbum „Woissig“ (Nonfoodfactory)

2018 „Sog, i bin weg“ (Baden Molden Recordings)

2023 „Nest“ und „Paradies“ (Baden Molden Recordings). Bei „Paradies“ machte viel Kollegenschaft von Ernst Molden bis Ina Regen, von Mwita Mataro bis Yasmo mit.

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