Gastkommentar

Dieser Krieg ist militärisch nicht zu lösen

Peter Kufner
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Der palästinensischer Botschafter in Österreich schreibt: Die politische Dimension des aktuellen Nahost-Konflikts begann nicht erst am 7. Oktober, sondern 75 Jahre zuvor. Es ist eine Geschichte der Vertreibung.

In einem Statement vor dem UN-Sicherheitsrat vorige Woche erklärte Generalsekretär António Guterres: „Die tragischen Ereignisse des 7. Oktobers fanden nicht in einem Vakuum statt.“ Auf X schrieb er einige Tage später: „This is a moment of truth. History will judge us all.“ Mit seinen Aussagen brachte Guterres die gesamten tragischen Ereignisse auf den Punkt. Denn dieser Krieg hat sowohl eine politische als auch eine menschliche Dimension.

Die politische Dimension des Konflikts begann nicht am 7. Oktober, sondern 75 Jahre zuvor. Es ist eine Geschichte der Vertreibung (Nakba) und des Landraubs. Es ist die Geschichte einer seit 56 Jahren andauernden Besatzung des Westjordanlands, einschließlich Ostjerusalems und des Gazastreifens, eine 15-jährige Blockade des Gazastreifens und die Geschichte des kontinuierlichen Siedlungsbaus im Westjordanland und in Ostjerusalem. Kurz formuliert: Es ist die Geschichte der Kolonialisierung der palästinensischen Gebiete und die Geschichte des Scheiterns der Weltgemeinschaft, eine gerechte und dauerhafte Lösung des Nahost-Konflikts durchzusetzen.

Seit 7. Oktober: 8500 Tote in Gaza

Bei keinem Konflikt der modernen Geschichte herrscht hinsichtlich der Lösung ein so breiter internationaler Konsens wie bei diesem. Auf der ganzen Welt – mit Ausnahme der jetzigen israelischen Regierung – ist man sich einig, dass die Entstehung des palästinensischen Staats in den Grenzen von 1967 die einzige realistische Option ist. Anstatt um des Friedens willen Sorge zu tragen, diese Lösung zügig umzusetzen, schaut die Welt gleichgültig zu, wie Israel den illegalen Siedlungsbau vorantreibt, sodass sich die Zahl jüdischer Siedler auf palästinensischem Territorium in den vergangenen Jahrzehnten verdreifacht hat. Internationales Stillschweigen auch zu den Pogromen, die bewaffnete, rechtsradikale jüdische Siedler in palästinensischen Dörfern des Westjordanlands verübten. Von Jänner bis Oktober 2023 töteten Siedler und die israelische Besatzungsmacht 250 Personen, darunter 40 Kinder.

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Die menschliche Dimension ist das, was wir heute im Gazastreifen sehen. Wir sehen im völkerrechtlichen Sinn einen Genozid. Denn wer eine Nation als Ganzes oder als Teil die Lebensgrundlage (Wasser, Lebensmittel, Medikamente, Treibstoff) entzieht und wahllos massiv mit dem Ziel, so viele Menschen wie möglich zu töten, bombardiert, betreibt Völkermord.

Bis Mittwoch wurden in Gaza über 8500 Menschen, darunter mehr als 3500 Kinder, getötet. Die US-Organisation Save the Children schätzt, dass die Zahl der getöteten palästinensischen Kinder noch weiter ansteigen wird, da über 1000 Kinder vermisst werden. Es wird angenommen, dass sie noch unter den Trümmern der von den israelischen Luftangriffen zerstörten 250.000 Gebäude begraben sind. Unicef bezeichnete Gaza daher als den größten Kinderfriedhof der Welt. 21.500 Verletzte und 1,4 Millionen Binnenflüchtlinge zeugen von weiterem unermesslichem menschlichem Leid.

Die extrem einseitige Position der österreichischen Bundesregierung dazu ist schockierend. Bis heute wurde kein Wort der Empathie mit den palästinensischen Opfern geäußert. Palästinensisches Leben ist nicht weniger wert als israelisches Leben. Wer Worte des Mitgefühls für getötete israelische Zivilistinnen und Zivilisten, nicht aber für getötete palästinensische Zivilistinnen und Zivilisten findet, sollte seine Motive dafür ernsthaft hinterfragen.

Politisch verdeutlicht dieser Krieg eines: Mit militärischen Mitteln ist dieser nicht zu lösen. Israel wird erst dann in Frieden und Sicherheit leben, wenn auch das palästinensische Volk in Frieden und Sicherheit in seinem eigenen souveränen Staat neben Israel leben wird.

Salah Abdel-Shafi (* 1962 in Gaza) ist seit September 2013 palästinensischer Botschafter in Österreich. 

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Dieser Text ist am Freitag, den 3. November in der gedruckten „Presse“ erschienen, direkt neben dem Gastkommentar des designierten israelischen Botschafters in Österreich, David Roet.

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