Ohne viel Zeitungserfahrung gründete Rudolf Augstein kurz nach Kriegsende den „Spiegel“ – und legte sich nicht nur mit Besatzern und Politikern an, sondern prägte auch eine neue Art von Journalismus.
Sein Abitur legte er 1941 mit Bravour hin. Da war Rudolf Karl Augstein schon sehr überzeugt von sich. Doch auf seine große Stunde musste der ehrgeizige Jüngling noch warten: Erst waren der Arbeitsdienst und dann das Ende des Weltkriegs als Kanonier und Funker im russischen Woronesch zu überleben. Der Leutnant der Reserve blieb unverletzt, kehrte in seine zertrümmerte Heimatstadt Hannover zurück und suchte Arbeit. Wer hätte damals ahnen können, dass dieser Mann der berühmteste und einflussreichste, gefürchtetste und bejubeltste Magazinjournalist Westdeutschlands werden sollte – Vorbild einer ganzen Publizistengeneration? Heute wäre Rudolf Augstein hundert Jahre alt.
Umerziehung der Deutschen war nach der Hitlerzeit angesagt. Und dazu bedurfte es Medien. „Diese Stunde“ sollte ein Blättchen heißen, dessen zwölf blutjunge Redakteure sich am 14. Oktober 1946 im Hochhaus von Hannover versammelten. Zeitungserfahrung hatten die Aspiranten kaum bis gar nicht. Dafür aber verfügte der Stabsfeldwebel Harry Bohrer von der britischen Besatzungsmacht über Erfahrung und Durchsetzungswillen. Ein paar noch nie gesehene amerikanische Magazine legte er den Sprösslingen auf den Tisch, dazu „News Review“ aus London und meinte lapidar: „Etwa so!“
Und es geschah. Das schwarzweiße Titelblatt zeigte den britischen Außenminister Ernest Bevin, den Mund geöffnet wie ein luftschnappender Karpfen: „Diese Woche – 16. November 1946, Preis 1,- RM“ (Reichsmark). Auflage: 15.000. Sprache, Duktus, Stil entsprachen schon halbwegs den Wünschen der schrulligen Auftraggeber, aber London gebot die Einstellung des Blättchens, weil Augstein gleich zu Beginn die Besatzungstruppen ungeniert kritisiert hatte. Derlei Ausritte wollten die Briten lieber nicht mit ihrer Autorität decken.