Interview

„Maschinen erschaffen nichts radikal Neues“

Aus der künstlerischen Arbeit die Grenzen des vermeintlich Normalen zu sprengen, das ist die Vision der Rektorin.
Aus der künstlerischen Arbeit die Grenzen des vermeintlich Normalen zu sprengen, das ist die Vision der Rektorin.Clemens Fabry
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Die neue Angewandte-Rektorin, Petra Schaper Rinkel, über ihre ersten Monate im Amt, ihre Vision für die Kunstuniversität, das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft und was der Mensch der künstlichen Intelligenz voraus hat.

Die Presse: Vor einem Monat sind Sie Ihr Amt angetreten. Wie haben Sie die ersten Wochen erlebt?

Petra Schaper Rinkel: Über ein Forschungsfreisemester konnte ich bereits im letzten Halbjahr viel Zeit in Wien mit Angehörigen der Angewandten verbringen und mich mit dem Senat und anderen Gremien austauschen. Die ersten Wochen im Herbst waren dementsprechend gut vorbereitet, und wir planen intensiv die nächsten Jahre.

Und mit den Studierenden?

Ganz besonders war es für mich zu sehen, wie die Studierenden die Angewandte als Ort des Lebens betreiben. Ich erlebe Studierende der Modeklasse, die beispielsweise um zehn Uhr abends intensiv arbeiten, die Uni gar nach dem Rektorat verlassen. Diese Atmosphäre, nämlich den Lebensschwerpunkt an der Uni zu haben, gibt auch einen anderen Kontakt zu den Studierenden: Sie begreifen sich sehr früh als künstlerisch und forschend Handelnde und erfahren ihre Lehrenden als echtes Gegenüber.

Ein Unterschied zur Universität in Graz, wo Sie zuvor waren? 

Natürlich. Große Universitäten können diesen Luxus gar nicht haben. Diese enge Verbindung von Studieninhalten im technischen Sinne mit den Werkstätten und auch der Persönlichkeitsbildung in einem umfassenden Sinne ist das, was Kunstuniversitäten und im Speziellen die Angewandte ausmachen. 

Sie sind Innovations- und Technikforscherin. Was bringt Sie an die Kunstuniversität?

Es gibt vieles, was zwischen den Wissenschaften und den Künsten als trennend gesehen wird. Gerade jetzt kommt es ganz stark darauf an, sich das Verbindende bewusst zu machen – und was die beiden Disziplinen verbindet, ist das Experiment. Während dieses in den Künsten völlig selbstverständlich ist, nehmen wir die Wissenschaften momentan als sehr standardisiert wahr, weil ihr Forschungsprozess bestimmten Standards folgt. Aber auch dort ist das Wesentliche davor die Idee, das Experiment und eine Kultur des Spekulierens gegen das Erwartbare, um Visionen zu entwickeln und in die Wirklichkeit zu überführen.

Wie entwickelt man an der Angewandten Visionen beispielsweise zu Fragen des Klimawandels?

Wir sind ja keine technische Universität, die zu neuen klimaeffizienten Lösungen forscht. Als Kunstuniversität sollten wir einen ganzen Schritt weitergehen und das enge Verständnis von Nachhaltigkeit als Ganzes hinterfragen und uns sozial-ökologische Weltübergänge jenseits der bisherigen Nachhaltigkeitsziele vorstellen. Also die großen Fragen stellen: Wie sieht die Welt der Zukunft aus, wenn wir eine sozial-ökologische Transformation hinter uns haben? Wie sehen wir eine Welt, wenn wir sie nicht mehr als Ressource ausplündern, sondern diese in ihrer Endlichkeit begreifen? Die Grenzen des vermeintlich Normalen sollen dabei gesprengt werden.

»Wenn wir von Innovation sprechen, ist das Neue immer relativ: Etwas kann neu für Sie als Individuum sein, aber nicht für die Welt. Ich muss also wissen, was vorher war, um Neues zu erkennen und zu entwickeln.«

Petra Schaper Rinkel

Rektorin, Universität für angewandte Kunst Wien

Die Angewandte als Ort der Zukunftsforschung. Wie schaut das in der Praxis aus?

Sich der Zukunft zu öffnen bedeutet, interdisziplinär tätig zu sein – und beinhaltet auch transdisziplinäres Handeln über die universitären Grenzen hinaus. Anspruchsvolle Interdisziplinarität beruht auf Weiterentwicklungen der konkreten künstlerischen, gestalterischen und wissenschaftlichen Disziplinen. Sprich: Man stellt Rückbezüge zwischen dem Interdisziplinären und den spezifischen Künsten und Wissenschaften her. Denn wenn wir von Innovation sprechen, so ist das Neue immer relativ: Etwas kann neu für Sie als Individuum sein, aber nicht für die Welt. Ich muss also wissen, was vorher war, um Neues zu erkennen und zu entwickeln. Für Studienbeginnerinnen heißt das konkret, dass sie sich vertiefen und spezifische Methoden kennenlernen können, aber gleichzeitig den breiten Kontext im Blick haben, um die großen Fragen zu stellen. 

Etwas, was den Kunstmarkt in unglaublichen Tempo umwälzt, ist die künstliche Intelligenz. Wie geht die Angewandte damit um? 

Betrachten wir KI in der Kunst- und der universitären Welt, dann tun diese Systeme ja in gewisser Weise nicht viel. Aus den digitalen Abbildern aller Artefakte der Künste und der Wissenschaften produzieren KI-Systeme nun unendlich viele Variationen. Die Maschine allein kann nichts radikal Neues erzeugen. Aber wir als Menschen stehen vor der spannenden Frage, was wir in Zukunft wirklich Neues erschaffen können und wollen. Und müssen uns deshalb die Frage stellen, was die menschliche Kreativität im Verhältnis zu diesen algorithmischen Maschinen mit ihrem unendlichen Variantenreichtum ausmacht. Wo Menschen zukünftig den Unterschied machen. 

Also die Grenzen der KI finden?

Genau. Die Wissenschaften wurden in den letzten Jahren stark von den Fragestellungen und der Empirie standardisiert und formalisiert – und große Sprachmodelle wie Chat GPT sind gut geeignet, solch standardisierte Texte zu produzieren. Die Arbeitsweise an Universitäten wurde in ein so enges Raster genötigt, dass sie jetzt von einer Maschine übernommen werden kann. Die Künste haben den Vorteil, nicht standardisiert worden zu sein. Diese Freiheit, die in den Künsten nie infrage gestellt wurde, ist für die Universitäten in ihrer Gesamtheit wichtig, denn im Zeitalter der Algorithmen kommt es darauf an, die richtigen Fragen zu stellen.

Den Kunstunis wird oft nachgesagt, sich nur in ihrer Blase aufzuhalten. Sehen Sie das auch so?  

Nein. Dieser Anspruch, dass Dinge unmittelbar für jeden und jede zugänglich sein müssen, widerspricht dem Gedanken, was eine Universität langfristig der Gesellschaft bietet. Nur wenn Menschen sich wirklich vertiefen können, frei von der Erwartung, dass das jede und jeder verstehen muss, können sie Neues gestalten. Niemand von uns hat den Anspruch begreifen zu müssen, was Quantenphysik ausmacht. Je radikaler neue Erkenntnisse und Sichtweisen sind, desto weniger sind sie unmittelbar für alle verständlich und einleuchtend. Sie darf also eine Blase sein, um diese bahnbrechenden innovativen Dinge zu entwickeln. Das gilt für Künste und Geisteswissenschaften genauso wie für die Naturwissenschaften. 

Zur Person

Petra Schaper Rinkel ist Politikwissenschaftlerin und Innovationsforscherin und war von 2019 bis 2022 Professorin für Wissenschafts- und Technikforschung des digitalen Wandels und Vizerektorin für Digitalisierung an der Karl-Franzens-Universität Graz. Seit Oktober 2023 ist sie Rektorin der Universität für angewandte Kunst Wien.
Sie forscht unter anderem zu digitaler Transformation, Zukunftstechnologien und partizipativen Zukunftsprozessen.

Clemens Fabry

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