Mein Montag

Wenn der Berg kreist, wird ihm sicher schwindlig

He, Moment mal, der Kreißsaal ist ja gar nicht rund!
He, Moment mal, der Kreißsaal ist ja gar nicht rund!Clemens Fabry
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Falsch geschriebene oder nicht verstandene Begriffe sind eine Geisel der Menschheit.

Störe meine Kreise nicht, mag sich der Berg gedacht haben. Doch nachdem er mehrere Runden um sich selbst gedreht hatte, wurde ihm doch etwas schwindlig. Möglicherweise hatte er etwas falsch verstanden. Oder vielmehr diejenigen, die die Redensart vom kreisenden Berg aus dem Hut ziehen. Kann passieren, schließlich ist das dahinterstehende Kreißen heute nicht mehr allzu gebräuchlich. Außer im Kreißsaal, den halt auch immer mehr Menschen für ein rundes Zimmer halten.

Das mit dem kreißenden Berg ist übrigens dem römischen Dichter Horaz eingefallen. In seinen „Ars poetica“ heißt es: „Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus“, was mit „die Berge kreißen, geboren wird eine lächerliche Maus“ übersetzt wird. Ein Ausspruch, der gern an Stellen verwendet wird, an denen auch „viel Lärm um nichts“ passend wäre. Das Kreißen selbst stand im Mittelhochdeutschen als krīzen für schreien oder stöhnen, war wohl lautmalerisch und ist auch mit dem Kreischen verwandt. Später wurde es auch, weil das ja auch nicht ganz lautlos abgeht, für „Wehen haben“ verwendet (genau, darum auch der Kreißsaal).

Gern falsch verwendet wird auch die Geisel – etwa als Geisel der Menschheit. Hier ist eigentlich von der Geißel die Rede, einem Wort, das heute weitgehend vom slawischen Lehnwort Peitsche verdrängt wurde. Abgeleitet ist die Geißel vom germanischen gaisilon, also Stange oder Stock. Und bezeichnet im übertragenen Sinn etwas, das jemanden quält. Die Geisel wiederum ist ein altgermanischer Ausdruck für Leibbürge, der vermutlich aus dem Keltischen stammt. Wenn Sie also von der Geisel Gottes lesen, können Sie davon ausgehen, dass er niemanden entführt hat, sondern stattdessen eine Peitsche schwingt.

Am Ende lege ich jetzt ein paar s zur freien Entnahme ab, voilà: s, s, s, s. Aber bitte nicht für ein „dass“ verwenden, wo eigentlich ein „das“ gehört, ja!

E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

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