Gastkommentar

Das Schweigen zum Christenschwund

Die Austrittszahlen aus der katholischen Kirche waren 2022 so hoch wie nie. Schweigen ist keine Lösung.

Im Jahr 2022 sind 90.975 Menschen in Österreich aus der katholischen Kirche ausgetreten, so viele wie noch nie. Mit Ende 2022 gab es demnach 4,73 Millionen Katholiken im Land. Nach den Rekordzahlen haben die Bischöfe beschlossen, künftig nur mehr einmal im Jahr die Zahlen bekannt zu geben, entgegen dem politischen Trend des „Informationsfreiheitsgesetzes“. Kann weniger Transparenz den Trend der zunehmenden Austritte ändern? Wohl kaum.

Für vier Kirchen gilt seit 1939 das Kirchenbeitragsgesetz, dessen Ziel damals „als vernichtender Schlag gegen die Kirchenorganisation“ von Gauinspektor Hans Berner formuliert wurde. Die von den Nazis beabsichtigte Wirkung nimmt seit Jahren zu. Und Österreich hat noch immer das Stigma eines NS-Gesetzes, dessen Ziel die Zerstörung der vier Religionsgemeinschaften ist. Andere Länder haben solche Gesetze längst beseitigt.

Nun hat die Freiburger Studie 2019 für Deutschland bei angenommenen 0,9 % Austritten jährlich bis 2060 die Halbierung der Zahl der Mitglieder und des Kirchensteueraufkommens prognostiziert. Im Vorjahr sind in Deutschland die Austritte von 522.000 Katholiken und 380.000 Evangelischen zusammen auf 2,18 % gestiegen. Die Prognose der Halbierung der angeführten Kirchenmitglieder könnte also schon in zwei Jahrzehnten oder noch früher erreicht sein.

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In Österreich hat die Zahl der Katholiken im vergangenen Jahr um 1,96 % abgenommen. Schon im nächsten Jahr könnte die Zahl der Katholiken unter 50 % zu liegen kommen, bestenfalls knapp darüber.

Kirchenbeitrag als Motiv

Die österreichischen Bischöfe haben in ihrem Amtsblatt schon vor einem Vierteljahrhundert klar den Kirchenbeitrag als Motiv für zwei Drittel der Austritte genannt. Wer ausgetreten ist, hat aber deshalb nicht seinen Glauben verloren, und die Taufe bleibt, auch wenn die Bischöfe mit Strafen und Sanktionen diese Menschen von der Kirche noch zusätzlich entfremden. Gemäß dem katholischen universalen Kirchenrecht sind Strafen nur nach genauer Prüfung zulässig. Die Diözese Basel verzichtet deshalb auf die Eintragung des Austritts in das Taufbuch, weil eine Prüfung im Einzelfall nicht möglich ist. Die bischöflichen Schreiben in Österreich, den Austritt innerhalb einer dreimonatigen Frist zu widerrufen, sind jedenfalls keine Prüfung eines Glaubensabfalls oder einer Häresie. Erst wenn diese zwei nach dem Kirchenrecht nachgewiesen sind, wären Strafen erlaubt. Die meisten treten nur vom Zahlen und nicht vom Glauben aus, auch wenn viele Themen Anlass dafür bieten können.

Kirchenbeitrag von Armen verschärft zudem Armut, denn 2,7 Millionen Menschen in Österreich haben ein Einkommen unter 11.000 Euro. Gerade in Zeiten der Teuerung sollten diese Personen generell vom Kirchenbeitrag befreit sein und nicht erst nach unwürdigem Betteln in Kirchenbeitragsstellen. In Deutschland wird automatisch keine Kirchensteuer fällig, wenn keine Steuerpflicht besteht, das gilt auch für Pensionisten.

Als Alternative zum derzeitigen Kirchenbeitrag würde die demokratische Steuerwidmung für den Staat oder Kirchen wie in Italien, Spanien, Slowenien und Ungarn die Austrittszahlen rapide senken, weil das von den Bischöfen schon 1998 festgestellte Hauptmotiv für die Austritte entfiele. Die Kosten dafür wären mit ca. 400 Millionen Euro marginal, etwa ein Prozent der Ausgaben für Corona, Teuerung, Energiezuschüsse usw. Die demokratische Mitbestimmung über einen Teil des Steueraufkommens würde die Religionsgemeinschaften gleich behandeln. Das wäre ein Zeichen der Zeit.

Rudolf K. Höfer, Ao. Univ.-Prof. für Kirchengeschichte an der Universität Graz in Ruhe.


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