Literatur aus der Ukraine

Natalja Tschajkowska: Waschmaschinen für faule Leute

Natalja Tschajkowska wurde für ihre Texte bereits international ausgezeichnet.
Natalja Tschajkowska wurde für ihre Texte bereits international ausgezeichnet.Volodymyr Tschajkowsky
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Die ukrainische Autorin Natalja Tschajkowska erzählt in schlichten Sätzen von alltäglicher Gewalt und Terror in der Ehe – direkt und unter die Haut gehend.

Das Thema ist nicht neu. Man denkt an Ingeborg Bachmanns „Malina“ oder Brigitte Schwaigers „Wie kommt das Salz ins Meer“: Frauen, die von ihren Partnern so kleingehalten und drangsaliert werden, dass sie sich praktisch auflösen. Und doch ist jede Geschichte anders, so wie sich auch im realen Leben die Schicksale der Menschen nur ähneln, nie gleichen. Das, von dem Natalja Tschajkowska erzählt, nimmt einem den Atem.

Nicht erst seit die russische Armee im Februar des vergangenen Jahres in der Ukraine einmarschiert ist, veröffentlicht der Haymon-Verlag Bücher ukrainischer Autoren und Autorinnen. Natalja Tschajkowska wurde mit ihren Texten auch international ausgezeichnet, ihr Roman „All die Frauen, die das hier überleben“ ist der erste, der auf Deutsch erscheint.

Er beginnt im Jahr 2021 mit einem Begräbnis. Maksym, der Ehemann der Icherzählerin, wird bestattet und an seiner Frau, Marta, ziehen die Menschen vorbei, um zu kondolieren. Sie aber will die Mitleidsbekundungen, die hohlen Phrasen der Trauergäste nicht hören. Hier zeigt sich schon die Stärke der Erzählerin. Die Leser und Leserinnen gewinnen den Eindruck, dass die Worte an die Gefühle nicht heranreichen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn Marta ist nicht traurig, im Gegenteil: Sie ist erleichtert, befreit. Es sind die Jahre der Ehe, die auf ihr lasten, nicht das Ende der Beziehung.

Patriarch und Alkoholiker

Diese Ehe wird dann geschildert. Es ist ein Krieg. Der hat schon lang vorher begonnen – ja, das lässt eine politische Interpretation zu –, als Marta ein Kind war. Ihr Vater, ein erbarmungsloser Patriarch und Alkoholiker, sagt von seiner Tochter, sie sei eine graue Maus, so nichtswürdig, dass er sich wundert, als zu ihrer Geburtstagsfeier tatsächlich Freunde kommen. Statt sich um Frau und Kinder zu kümmern, verscherbelt der Vater das Familiensilber für Alkohol. Schon als Kind also erlebt Marta Zurückweisung, die sich dann in ihrem Leben fortsetzt. Während ihre Freundin, die temperamentvolle Jaroslawa, von allen bewundert wird, ist Marta der Trabant, der um sie kreist, aber selbst im Dunkeln bleibt. Wer also sollte sich für Marta, die graue Maus, interessieren? Sie hält es für einen Glücksfall, dass sich der kluge, gebildete Maksym ihrer erbarmt und wenn es auch nicht die große Liebe ist, so werden sie sich – so Martas Hoffnung – doch aneinander gewöhnen.

Kurz nach der Heirat beginnt sich Martas Bild von ihrem Mann einzutrüben. Die Hochzeit ist mehr als schlicht, die Feier besteht darin, dass Maksym seine Braut nach der Eheeintragung in ein teures Restaurant ausführt. Beim Zahlen beklagt er die hohen Preise, Marta schämt sich. Wenige Monate später aber lädt Maksym den Chef und die halbe Belegschaft des Immobilienmaklerbüros, für das er tätig ist, zum Essen ein. Da verliert er kein Wort darüber, wie teuer das Essen ist. Dafür kriecht er vor dem Chef zu Kreuze und redet und redet, um allen Anwesenden zu demonstrieren, wie viel er weiß und was er alles gelesen hat. Marta schämt sich. Wieder einmal. Überhaupt schämt sie sich ständig, für alles und jedes.

Die Kraft zum Überleben

Man will die junge Frau an den Armen nehmen und sanft wachrütteln, sie fragen, warum sie sich das gefallen lässt: die Herabwürdigungen ihres Mannes, seinen Geiz („Waschmaschinen kaufen nur faule Leute“), seine Egozentrik, seine Brutalität und Gewalttätigkeit. Im Buch übernehmen ihre beiden Freundinnen, Jaroslawa und die ehemalige Mitbewohnerin Bohdana, diese Rolle. Aber eisern hält Marta an der Ehe fest, auch für ihren Sohn, den sie keiner Gefahr aussetzen will. Zudem aber braucht sie alle Kraft zum Überleben. Denn: „Sich gegen einen Despoten aufzulehnen ist nicht das Gleiche wie sich hinter einem Turm aus Bauklötzchen zu verstecken.“

Natalja Tschajkowska: „All die Frauen, die das hier überleben“, übersetzt von Jutta Lindekugel, Haymon-Verlag, 365 Seiten, 24,95 Euro
Natalja Tschajkowska: „All die Frauen, die das hier überleben“, übersetzt von Jutta Lindekugel, Haymon-Verlag, 365 Seiten, 24,95 Euro

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