Antizionistische und propalästinensische Kundgebungen gab es seit 1968 auch auf den Straßen Wiens (hier 1988).
Geschichte

Warum Linke zu Antisemiten werden können

Die erbittert ausgetragenen Dispute um den Staat Israel und die noch immer staatenlosen Palästinenser bringen ein altes Thema zum Vorschein: Antisemitismus als Teil der linken Geistesgeschichte. Was verbirgt sich hinter linker Israel-Kritik?

Linkes Denken wird mit Aufklärung, Emanzipation und Internationalismus assoziiert. Das ist doch wohl ein diametraler Gegensatz zu Antisemitismus. Gilt also: Linker Antisemitismus ist „unmöglich“? Das sagte 1976 der Schriftsteller Gerhard Zwerenz im Streit mit dem rechten Publizisten Joachim Fest von der „FAZ“. Doch ein solches „Unmöglich“ impliziert immer auch einen Zweifel. Jean Améry hat ihn geäußert, 1969, kurz nach dem Sechs-Tage-Krieg, als er darauf hinwies, dass die gerade ausbrechende Israel-Feindschaft der Linken antisemitisch durchtränkt sei, dass sich im Antizionismus das alte Gespenst des Judenhasses „wie das Gewitter in der Wolke“ verberge.

Während sich die offizielle Politik der Bundesrepublik (wie heute) in ostentativem Philosemitismus gefiel, suchte die Linke (aus Konfrontationslust?) die Positionierung auf der Seite der palästinensischen Underdogs. Damit war eine ganze Kette von innerlinken Diskussionen eröffnet. Sie wurden mit großer Härte geführt, im Extremfall wurden Israelis mit Nationalsozialisten gleichgesetzt, dem Staat Israel als notwendiger Konsequenz des Holocaust das Existenzrecht abgesprochen. Jetzt scheinen wir wieder so weit.

Ist also der Antisemitismus am Ende gar ein fundamentaler Bestandteil linker Geistesgeschichte oder doch nur eine Randerscheinung? Wenn er auftritt, ist er eher eine Konzession an den Zeitgeist, entspringt er der Faszination begrifflicher Tabubrüche? Das wären dann erklärbare, wenn auch nicht tolerierbare revolutionäre Ausritte. Es hat ja auch noch nie jemand behauptet, dass die Linke eine barbarische antisemitische Ideologie vertrete, die zu Verfolgung und Mord aufrufe. Kriminalstatistiken belegen, dass rund 94 Prozent der einschlägigen Straftaten von Rechtsradikalen und Nazis begangen werden.

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