Liberal betrachtet

Für eine Neubewertung der Migrations- und Asylpolitik

Man löst die Probleme des Nahen Ostens nicht, indem man den Nahen Osten nach Österreich und Europa bringt.

Der Judenstaat ist ideengeschichtlich eine Erfindung Österreichs. Genauer gesagt: Ein Journalist dieser Zeitung hat ihn erfunden. Theodor Herzl hat 1896 mit seiner Broschüre „Der Judenstaat“ und seinem anschließenden politischen Engagement den Anstoß zur späteren Staatsgründung Israels gegeben. Ausschlaggebend waren Herzls Eindrücke als Auslandskorrespondent der „Neuen Freien Presse“ in Paris. Dort beobachtete er den Prozess und die anschließende Degradierung des jüdischen Hauptmanns Dreyfus.

Während Karl Kraus in Österreich den Antisemitismus als Sozialismus des beschränkten Mannes bezeichnete, jagte die französische Militärjustiz Dreyfus mit Schimpf und Schande davon und verbannte ihn jahrelang auf die Teufelsinsel. Die französische Gesellschaft durchzog eine kaum mehr nachvollziehbare Spaltung, die nachhaltig auf Herzl wirkte.

Dass das heutige Österreich das Existenzrecht und auch das Selbstverteidigungsrecht Israels vorbehaltlos unterstützt, steht sohin in einer guten Tradition. Überhaupt kein Widerspruch zu dieser Haltung ist das gleichzeitige Bestreben, mit den arabischen Staaten gute Beziehungen zu pflegen und zum friedlichen Zusammenleben hier und dort beizutragen. Dass es die Hamas – hoffentlich nur vorübergehend – geschafft hat, den Annäherungsprozess zwischen Israel und den umliegenden Staaten zu unterbrechen, ist eine besondere Tragik der vergangenen Wochen.

Jenseits der politischen und diplomatischen Tätigkeit Österreichs scheint eine Erkenntnis von besonderer Bedeutung, die Österreich und Europa in den vergangenen Jahren träumerisch und mit historisch belastender Rhetorik verdrängt hat: Man löst die Probleme des Nahen Ostens nicht, indem man den Nahen Osten nach Europa bringt. Einerseits fehlt eine konsistente Migrationspolitik, andererseits ist das großzügig angelegte Asylrecht längst an seine Grenzen gestoßen. Wenn wir massenhaft Menschen zu uns lassen, die bereits mit der Muttermilch mitbekommen haben, dass Israel ins Meer geworfen gehört, dürfen wir uns nicht wundern, dass selbst am Stephansplatz abstoßende Parolen skandiert werden. Noch haben wir eine Polizei, die so stark und besonnen ist, dass solche Ansammlungen nicht völlig aus dem Ruder laufen.

In guter österreichischer Tradition, die Konzilianz mit Standfestigkeit zu verbinden weiß, müssen wir eine zivilisierte Migrationspolitik definieren, die sich an den eigenen Interessen und Werten orientiert. In diesem Sinn sei gerade in den derzeit turbulenten Zeiten ein diverses Lob gestattet: für den grünen Vizekanzler Deutschlands Robert Habeck, der in einer ausgewogenen Rede die Hamas unzweideutig als Terrororganisation bezeichnet hat; für den ÖVP-Abgeordneten Martin Engelberg, der seit 2017 unablässig die guten Beziehungen zu Israel pflegt; für das SPÖ-Mitglied Ariel Muzicant, der von den sogenannten Gutmenschen ein Umdenken in der Asylpolitik gefordert hat; für den FPÖ-Chef Herbert Kickl, der die parteiübergreifende Solidaritätserklärung des österreichischen Parlaments gegenüber Israel mitgetragen hat; für all jene, die die Verirrungen der antisemitischen Linken benannt haben. Denn auch deren Antisemitismus ist das, was er immer schon war: ein Sozialismus des beschränkten Mannes.

Dr. Georg Vetter (*1962) ist Anwalt und Präsident des Clubs Unabhängiger Liberaler. Er war Mitglied des Teams Stronach, wechselte 2015 in den ÖVP-Parlamentsklub und schied 2017 endgültig aus dem Nationalrat aus.

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