Memoir

Die Spurensuche des Enkels

Ein jüdischer Friedhof in Schlesien, heute Polen.
Ein jüdischer Friedhof in Schlesien, heute Polen.Alamy
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Ein junger Kanadier aus einer Familie von Holocaust-Überlebenden reist in die Heimat seiner Vorfahren. Die sentimentale Erinnerung wird zur Suche nach Wahrheit.

Schlesien ist ein Ort für Mythen. Auf der Suche nach der schlesischen Identität kann einem dieses alte Grenzgebiet mitten in Europa durch die Finger gleiten: So viele verlorene, ausgelöschte, verpflanzte Kulturen und Völker. Der Boden hier kennt Brüche und Kontinuitäten, verschiedene territoriale Zugehörigkeiten, Grenzverschiebungen, Bevölkerungswanderungen. Schlesien lag dort, wo das österreichische, russische und preußische Reich aneinander­grenzten. Es gehört heute, nach einer langen, künstlich herbeigeführten Entwicklung, zum großen Teil zu Polen.

Historisch waren hier Nationalitäten, Loyalitäten, Zugehörigkeitsgefühle und Sprachen übereinandergeschichtet. Daraus wurde ein Land der Verdrängung und Wurzellosigkeit: Eine Bevölkerung, die deutsche, wurde vertrieben, eine weitere, die jüdische, ausradiert, eine neue installiert. Kein Wendepunkt war so abrupt und absolut wie 1945/46, ein großer Teil der Deutschen wurde ausgesiedelt, musste Haus und Hof verlassen.

Jedes Jahr reisen Tausende Juden aus allen Himmelsrichtungen nach Osteuropa, in die Städte mit den schwer auszusprechenden Namen, aus denen ihre Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern stammten. Mit mythischen Erinnerungen im Kopf und der Handykamera in der Hand landen sie meist nicht in malerischen und dörflichen Schtetln, wie sie in der Literatur gemalt werden, sondern in trostlosen postindustriellen Agglomerationen mit Betonwohnblocks. Sie steigen hier aus überfüllten Bussen, nerven Touristenführer mit Fragen, die diese nicht beantworten können. Sie klopfen an Haustore an und fragen alte Leute, ob sie sich noch an diesen oder jenen Namen erinnern können.

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