Kino. Der Film „Jeder schreibt für sich allein“ warnt vor neuen Reinheitsideologien, die die menschliche Ambivalenz verleugnen - und zwar mit Lebensgeschichten von Autorinnen und Autoren, die in der NS-Zeit in Deutschland blieben.
Douglas McGlashan Kelley hieß der US-Psychiater, der beim Nürnberger Prozess gegen die größten NS-Verbrecher tätig war. Er forschte an Rorschachtests, bei denen Menschen Klecksbilder vorgelegt werden. Aus ihren Assoziationen dazu wird auf ihre Psyche geschlossen. Auch die Psyche der NS-Verbrecher sollte so erschlossen werden. Doch Ergebnisse aus den Tests wurden nie veröffentlicht, auch ein internationales Auswertungsprojekt versandete. Warum? Eine beteiligte Psychologin nannte als Grund, „dass wir in den Tests nicht gefunden haben, was wir erwartet haben und was die Öffentlichkeit von uns verlangt hat“, nämlich dass die NS-Verbrecher „Wahnsinnige“ seien, die mit normalen Menschen so wenig gemeinsam hätten „wie ein Skorpion mit einem Hundewelpen.“
Hat diese Erkenntnis Douglas Kelley 1958 mit in den Selbstmord getrieben? In der Dokumentation „Jeder schreibt für sich allein“ wird das nicht behauptet. Doch die Tatsache, dass er dies ausgerechnet mit einer aus Nürnberg mitgebrachten Zyankali-Tablette tat, hält der deutsche Filmregisseur Dominik Graf zumindest für potenziell symbolhaft.