Gastbeitrag

Das Gerangel um Sam Altman hält die US-Tech-Szene in Atem

Hinter dem Feilschen um den Chat-GPT-Gründer verbirgt sich ein Konflikt um die künftige Ausrichtung der KI-Entwicklung.

Erst im März dieses Jahres unterzeichnete Sam Altman, CEO von Open AI, die den Chatbot GPT lancierten, einen Brief, der ein Sechs-Monate-Moratorium für die Weiterentwicklung von künstlichen Big-Data-Sprachmodellen forderte. Sonst bestünde die Gefahr, dass der digitale Geist aus der Flasche entweiche; auf der Strecke bliebe der Mensch, wie wir ihn bisher kannten. Am 18. November entschied der Verwaltungsrat von Open AI, Altman zu entlassen. Dieser wurde umgehend von Microsoft unter CEO Satya Nadella übernommen, um dort eine eigene Abteilung für Sprachprogramme aufzubauen. Open AI reagierte umgehend mit einem Wiederanstellungsangebot an Altman.

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Das Gerangel um Altman als Kopf des einen oder anderen Konzerns hält die US-Tech-Szene in Atem. Mangelnde Arbeitsgesetze in Kalifornien haben den Konkurrenzkampf befeuert, nach dem qualifizierte Führungskräfte jederzeit das Unternehmen wechseln können. Mit Altman ging sein Gründerkollege, Greg Brockman; und 700 von 770 Open-AI-Mitarbeitern kündigten an, den beiden zu Microsoft zu folgen.

Hinter dem Headhunting verbirgt sich ein Konflikt um die zukünftige Ausrichtung der KI-Entwicklung. Open AI wurde 2015 von Sam Altmann als Non-Profit-Unternehmen gegründet; angeblich ging es um KI-Entwicklung im Dienst der Menschheit. Um dennoch Investoren zu ködern, entstand im Schoß der Gemeinnützigkeit ein Profitbereich. Ohne die Investition und die operative Rückendeckung von Microsoft, das 49% an Open AI hält, wäre der Höhenflug von Chat GPT nicht gelungen.

Nur ein Marketinggag?

Menschheitsbeglückung und Kapitalrendite gerieten bald in Widerspruch. Altman scheint trotz Mitwirkens am KI-Moratorium für jene zu stehen, die für eine ökonomische Wachstumsperspektive eintreten. Im Nachgang muss das Moratorium, das von zahlreichen Experten der KI-Branche, u. a. von Elon Musk, unterzeichnet wurde, vielleicht ohnehin als Marketinggag eingeschätzt werden statt als ernstzunehmende Sorge um ethische Grundsätze. KI-Pioniere wie Eliezer Yudkowsky kritisierten den Aufruf als halbherzig und forderten in einem viel beachteten Beitrag im „Time“-Magazin eine Abkehr vom Ziel einer „künstlichen allgemeinen Intelligenz“ (A. G. I.) anstelle eines Moratoriums.

Mit der Trennung von Altman scheint der Verwaltungsrat von Open AI diese Bedenken aufzugreifen. Gerüchten zufolge hatte ein Durchbruch bei der Modellentwicklung stattgefunden, der den Konflikt um die Ausrichtung auslöste. Statt Altmann berief die Leitung Emmett Shear, bisher bei der Amazon-Videospiel-Plattform Twitch, interimsmäßig an die Spitze des Unternehmens. Shear zählt zur vorsichtigen Fraktion der KI-Entwickler. Nun ist Altman wieder zu Open AI zurückgekehrt, mutmaßlich nicht ohne Zustimmung von Microsoft, das Open AI als technisches Experimentierfeld betrachtet.

Was sagt Chat GPT dazu?

Wohin die Reise geht, zeigt ein Blick auf den Wandel von Google von einem altruistischen Start-up, das lediglich der barrierefreien Suche und Kommunikation verpflichtet war, zum börsenotierten Internetgiganten. Von der Gründung 1998 bis zum Börsengang 2004 dauerte es immerhin sechs Jahre. Open AI wird einen solchen möglicherweise gar nicht erleben, weil es sich als Vorfeldorganisation für Microsoft etablieren könnte, das als Minderheitseigentümer die Entwicklungsexperimente künstlicher Sprachimitation in der Non-Profit-Phase ermöglicht hat, bevor die Erträge schließlich im Mutterkonzern realisiert werden. Dies würde erklären, warum Microsoft-Chef Nadella Altmann sofort mit offenen Armen aufnahm. Vorläufig ist dieser wieder zu Open AI zurückgekehrt.

Golem.de IT News befragte kurzerhand Chat GPT selbst, was es mit dem Konflikt um die Unternehmensführung auf sich habe. Die Sprachmaschine handelt das Problem auf einer sehr persönlichen Ebene ab, ohne Namen zu nennen: „Einer der größten Geldgeber wittert eine Chance und lockt den gekündigten CEO mit riesigen Geldsummen und unendlichen Ressourcen. Der gekündigte CEO täuscht Interesse an dem Angebot vor und verhandelt mit dem Geldgeber. Insgeheim nutzt er das Angebot aber, um Druck auf seine alte Firma auszuüben. Er ist erfolgreich. Der gekündigte CEO darf zurück zu seiner Firma und wird dort wieder CEO. Jene Freunde, die ihn betrogen haben, müssen gehen. Er selbst hat nun deutlich mehr Macht.“ Man ist geneigt, für einen Moment zu vergessen, dass dieses Ergebnis lediglich die statistisch wahrscheinlichste Antwort ist, die sich aus der Datenauswertung ergeben hat. Denn in der Tat wurden die Mitglieder jenes Open-AI-Verwaltungsrats, die Altman entließen, ersetzt und die Kooperation mit Microsoft besiegelt.

Verfolgt man die Debatten über die Zukunft der KI-Forschung, die nicht erst seit dem Gezerre um Altman die Tech-Seiten der Zeitungen füllen, springt der alarmistische Tonfall ins Auge. Dass die unkontrollierte Weiterentwicklung von KI zu einem Punkt, an dem deren Resultate die menschlichen Fähigkeiten übertreffen und die Fortexistenz der Menschheit, wie wir sie kennen, infrage stellen, wird in demselben Tonfall abgehandelt wie die Überschreitung von Abgas- oder CO2-Emissionsrichtlinien.

Es herrscht Einigkeit, dass es sich um eine existenzielle Weichenstellung in der Menschheitsgeschichte handelt, die entweder die sogenannte Singularität mit sich bringt, verstanden als Triumph der Maschine über den Menschen – oder den sicheren Untergang. Ob die Kassandra-Rufe der KI-Skeptiker ein Umdenken bewirken können? Dass sie aus den Reihen der IT-Unternehmen selbst kommen, kann als positives Zeichen gedeutet werden.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Andrea Komlosy, Prof. i. R. für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Autorin von „Zeitenwende. Corona, Big Data und die kybernetische Zukunft“ (2022)

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