Politische Bildung

Umgang mit Kontroversen im Unterricht: „We agree to disagree“

Einseitige „Informationen“ aus dem Internet heizen die Stimmung in den Klassen oft zusätzlich an.
Einseitige „Informationen“ aus dem Internet heizen die Stimmung in den Klassen oft zusätzlich an. .shock
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Dass auch Schüler in weltpolitischen Konflikten Partei ergreifen, ist eine Herausforderung nicht nur für das Fach Politische Bildung, sondern für die Lehrerfortbildung allgemein.

Wie reagiert man als Lehrer, wenn ein Zwölfjähriger vor der Klasse behauptet, die Hamas habe sich zu Recht gegen die israelische Besatzung gewehrt, oder wenn eine Volksschülerin für Russland Partei ergreift? Diese und andere Situationen, die ihr von Kolleginnen und Kollegen berichtet wurden, waren mit ausschlaggebend für Adelheid Schreilechner, Verantwortliche für Fortbildungen in Geschichte und Politischer Bildung an der PH Salzburg, um eine Online-Veranstaltungsreihe zum Nahostkonflikt ins Leben zu rufen. „Es ist schwierig, in so einer aufgeheizten Stimmung den Dingen inhaltlich auf den Grund zu gehen, weil so viel Emotion im Spiel ist.“ Wichtig sei aber auch, den Lehrpersonen Tipps für den Umgang in der Schule zu geben. „Es kommt ja nicht alles im Fachunterricht zur Sprache. Vieles wird in den Pausen gesagt oder einfach zwischendurch in den Raum geworfen.“

Bei der ersten Veranstaltung zur Geschichte Israels und Palästinas am vergangenen Montag seien von den 70 teilnehmenden Lehrpersonen sehr interessante Fragen gestellt worden, so Schreilechner. „Manche berichteten, dass ihre Schülerinnen und Schüler es ungerecht finden, dass so viel von Juden und so wenig von Arabern die Rede ist.“ Auch würden Lehrkräfte mit „Informationen“ aus Social Media konfrontiert, die die israelische Seite belasteten. „Es gibt offensichtlich das Bedürfnis, auch die arabische Perspektive zu berücksichtigen. Und die ist sicher aufgrund unserer österreichischen Geschichte – der Verantwortung für den Holocaust – weniger bewusst als die jüdische.“ Die vortragende Zeithistorikerin Helga Embacher habe dies sehr ausdifferenziert dargestellt.

Meinungen aushalten lernen

Dass Antisemitismus/Islamismus/Radikalisierung derzeit zu den Themen zählen, die im Unterricht Priorität haben, zeigte sich auch bei einer Befragung, die Patricia Hladschik, Geschäftsführerin des Zentrums Polis (Politik lernen in der Schule), unter Lehrkräften aller Schulen durchführte.  Das Zentrum Polis ist am Wiener Forum für Demokratie und Menschenrechte angesiedelt. Es erstellt im Auftrag des Bildungsministeriums Materialien für politische Bildung und verweist in Dossiers auf andere Anbieter und seriöse Quellen. Im Umgang mit weltpolitischen Konflikten gelte das Gleiche wie für alle Themen der Politischen Bildung, sagt Patricia Hladschik: „Was in der Gesellschaft kontrovers diskutiert wird, muss auch im Unterricht kontrovers abgebildet werden.“ Gerade in aufgeheizten Situationen sei es wichtig, diesen Aspekt zu betonen. „Es ist manchmal besser, mit der Conclusio ,We agree to disagree‘ zu enden, als krampfhaft einen Kompromiss zu suchen. Das Aushalten von Unsicherheit und Akzeptieren verschiedener Meinungen gehört zu einer gefestigten demokratischen Identität.“ Neben konkreten Empfehlungen für Lehrkräfte, die von Polis ausformuliert vorliegen, empfiehlt Hladschik, als Schule eine dauerhafte Gesamtstrategie zu überlegen. „Es ist das Problem, dass man an politische Bildung oft erst denkt, wenn es brennt.“ Politische Bildung könne aber nur dann entpolarisierend und stärkend wirken, wenn sie laufend stattfinde.

In die gleiche Kerbe schlägt die auf Notfallpsychologie und Psychotraumatologie spezialisierte Professorin an der Uni Innsbruck Barbara Juen, die im Rahmen der Salzburger Veranstaltungsreihe einen Vortrag halten wird. „Mein Rat wäre, an Schulen gemeinsam mit der Schulleitung ein Konzept zu erstellen zum Umgang mit aktuellen Krisensituationen, dazu gehören Nahostkonflikt, Ukraine-Krieg, aber auch Klimakrise etc.“ Werden Schüler aus kriegsbeteiligten Ländern in einer Klasse unterrichtet, wie es derzeit etwa bei Russland und der Ukraine oft der Fall ist, empfiehlt Juen einerseits, „sie zu Wort kommen zu lassen über ihre kulturellen Hintergründe, andererseits jedoch die Themen ,Krieg‘ und ,Konflikt‘ zu trennen von den Themen ,meine Herkunftskultur‘, ,meine Werte‘“.

Lehrer als Vorbilder

Ist es von Pädagoginnen und Pädagogen nicht dennoch zu viel verlangt, all diese Empfehlungen umzusetzen angesichts der meist nicht ausreichenden Unterrichtszeit und der Fülle des Lernstoffs? „Ich glaube, Schule ist ein Lebens- und Begegnungsraum, in dem man nicht nur in Fächergrenzen denken darf“, sagt Schreilechner. „Als Lehrpersonen sollen wir Vorbild sein, indem wir versachlichen, differenzieren, Menschen ernst nehmen; indem wir uns informieren, auch zugeben, wenn wir uns irgendwo nicht auskennen; indem wir mit den Kindern und Jugendlichen im Gespräch bleiben und auch schwierige Dinge besprechen können.“

Die Pädagogischen Hochschulen und andere Institutionen bieten aktuell Weiterbildung für Lehrkräfte im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt an: www.politik-lernen.at, www.erinnern.at

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