Gastkommentar

Was digitaler Euro den Bürgern bringen würde

Peter Kufner
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Geldpolitik. Die Vorbereitungen für die Einführung des digitalen Euro laufen. Was weiß die Bevölkerung darüber? Worauf sollte bei seiner Gestaltung geachtet werden? Befunde aus der soziologischen Geldforschung an der Universität Graz.

Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat im Oktober 2023 einstimmig beschlossen, mit den Vorbereitungen für einen digitalen Euro zu beginnen. Seitdem findet eine kontroverse Debatte über dessen Vor- und Nachteile statt. Die Grundidee eines digitalen Euro ist, dass nicht nur gedrucktes Geld von der EZB ausgegeben werden kann, sondern alle Bürger auch ein Konto direkt bei der EZB besitzen. Auf dieses könnten sie mit Smartphone per App (oder via klassischer Bankkarte) zugreifen.

Bisher werden Vorschläge diskutiert, die eine relativ geringe Obergrenze vorsehen. Daher soll der digitale Euro wohl eher digitale Bezahlmöglichkeiten ergän­zen, die Privatbanken anbieten, etwa für Bezahlungen im Internet und kleinere Überweisungen von Smartphone zu Smartphone. Welche Ziele verfolgt die EZB mit der Einführung eines digitalen Euro?

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Tatsache ist, dass nur noch ein kleiner Teil der umlaufenden Geldmenge im Euroraum von Zentralbanken gedruckt wird. Der Großteil des Geldes wird aktuell von privaten Banken „geschöpft“, indem diese Kredite vergeben. Diese „Schöpfung“ ist ein digitaler Schreibvorgang, genauer: ein reiner Vorgang der Bilanzverlängerung.

Privatbanken schaffen Geld

Fachleute sprechen vom „fractional reserve banking“. Gemeint ist damit, dass Banken nur über einen Bruchteil des verliehenen Geldes als tatsächliche Rücklagen verfügen müssen. Aktuell müssen lediglich 2,5 Prozent der Kreditsumme mit Zentralbankgeld hinterlegt sein. Eine Bank benötigt also lediglich eine Deckung von 25 Euro Zentralbankgeld, um einen Kredit in Höhe von 1000 Euro zu vergeben. Privatbanken schaffen also immer dann zusätzliches Geld, wenn sie Kredite vergeben.

Man spricht auch von privatem Kreditgeld, da dieses nicht von Zentralbanken ausgegeben wird. Die EZB schätzt, dass öffentliches Bargeld (Banknoten und Münzen) inzwischen weniger als zehn Prozent der im Umlauf befindlichen Geldmenge ausmacht. Dieser Umstand ist gemeinhin nicht bekannt, wie unsere wirtschaftssoziologischen Forschungen zeigen: In einer österreichweiten repräsentativen Umfrage (2000 Befragte) wusste zwar eine deutliche Mehrheit von 82 Prozent der Wohnbevölkerung, dass die Zentralbank Geld druckt. Hingegen waren sich nur zehn Prozent der Befragten im Klaren, dass private Banken Geld erzeugen, indem sie Kredite vergeben.

Auch bei unserer jüngsten Erhebung unter Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Sozialpartnern, die wir im Sommer 2023 in der Steiermark durchgeführt haben, zeigt sich ein ähnliches Bild. Je nach Bereich wussten zwar 72 bis 88 Prozent, dass die Zentralbanken Geld drucken. Dass zudem Privatbanken über Bilanzverlängerungen Geld schöpfen, war jedoch nur einer Minderheit bekannt. Obwohl also heutzutage das Gros des Geldes von Privatbanken geschaffen wird, ist sich nur eine kleine Minderheit dessen bewusst.

Monetäre Ordnung im Fluss

Was nun die Vorbereitungen zur Einführung des digitalen Euro betrifft: Wenn das von den Zentralbanken ausgegebene Bargeld im Verhältnis zur gesamten Geldmenge einen immer geringeren Anteil ausmacht, dann schwindet für diese auch die Möglichkeit, die Geldmenge zu beeinflussen. Hieraus folgt: Die Kontrolle über die monetäre Ordnung verschiebt sich zunehmend von öffentlichen Institutionen wie der EZB zugunsten privater Zahlungsdienstleister.

Diese Entwicklung der Geldordnung widerspricht der Idee von Geld als öffentlicher Institution. Geld kann auch als Infrastruktur gesehen werden, ähnlich wie öffentliche Straßen oder das Stromnetz. Bei der Zunahme des ungedeckten Kreditgeldes von Privatbanken handelt es daher um eine Privatisierung dieser monetären Infrastruktur.

Die Einführung eines digitalen Euro wäre ein wichtiger Schritt, um einer weiteren Privatisierung der Geldordnung entgegenzuwirken. Dann würde die EZB nicht mehr nur über den Umweg von Bankomaten der Privatbanken Bargeld an die Bürger ausgeben. Vielmehr könnten diese ein Konto direkt bei der EZB eröffnen, das zur Gänze mit öffentlichem Geld gedeckt wäre (im Unterschied zum Konto bei einer Privatbank). Die geplante Einführung des Euro wird auch damit begründet, dass Bargeld seine Funktion als universelles Zahlungsmittel immer mehr verliert.

Bezahlen ohne Umwege

Mit der sukzessiven Verdrängung von Bargeld nimmt zudem die Abhängigkeit der Bürger von privaten Zahlungsdienstleistern (Master Card, Visa, Klarna, PayPal) weiter zu. Demgegenüber könnte man mit dem digitalen Euro – jenseits von privaten Finanzdienstleistern – bezahlen, ohne den Umweg über Druckereien und Prägeanstalten.

Seit geraumer Zeit wird auf europäischer Ebene verhandelt, wie der digitale Euro technisch gestaltet sein sollte. Kontrovers wird etwa eine Obergrenze für den digitalen Euro (derzeit 3000 €) diskutiert, um das Geschäftsmodell der Privatbanken nicht zu gefährden. Angesichts der Tragweite und langfristigen Folgen, die die Einführung eines digitalen Euro hätte, wäre eine Einbindung der Öffentlichkeit auch aus demokratiepolitischer Sicht wünschenswert.

Um ein tatsächliches digitales Äquivalent zum Bargeld zu schaffen, sind aus der Perspektive unserer soziologischen Geldforschung fünf Aspekte zu beachten. Erstens wäre eine Aufklärungskampagne der EZB nötig, um die Bevölkerung darüber aufzuklären, worin der Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Geld besteht, warum dieses Verhältnis in eine Schieflage geraten ist und welche Vorteile es für Bürger hätte, eine vollständige Privatisierung der Geldinfrastruktur abzuwenden.

Zweitens sollte ein digitaler Euro anonymes Bezahlen garantieren, um Vorbehalten vonseiten der Bürger vorzubeugen. Das bedeutet auch, dass Daten, die bei der Abwicklung von Zahlungsvorgängen entstehen, weder für staatliche Institutionen noch Privatunternehmen einsehbar sein dürfen.

Leichte Zugänglichkeit

Drittens sollte die uneingeschränkte Annahme des digitalen Euro, von Online-Plattformen über Parkticketautomaten bis hin zum Bauernmarkt, sichergestellt werden. Viertens sollte eine etwaige Obergrenze sehr großzügig bemessen werden, damit der digitale Euro nicht nur für die kleinen Alltagseinkäufe, sondern auch für größere Anschaffungen verwendet werden kann.

Schließlich sollte, fünftens, der digitale Euro, wie Bargeld, für die gesamte Bevölkerung leicht zugänglich sein. Das bedeutet unter anderem, dass er technisch unabhängig davon sein muss, ob man selbst ein Smartphone besitzt bzw. benutzen möchte.

Ein so ausgestalteter digitaler Euro könnte ein wegweisender Schritt zur (Re-)Demokratisierung des Geldes sein – vorausgesetzt er ist anonym, universell und inklusiv.

Klaus Kraemer (* 1962), Promotion und Habilitation im Fach Soziologie, seit 2010 Universitätsprofessor am Institut für Soziologie der Universität Graz.
Leiter des Forschungsschwerpunkts Wirtschaftssoziologie.

Jakob Gasser MA (* 1989), Universitätsassistent am Forschungsschwerpunkt Wirtschaftssoziologie, Institut für Soziologie, Universität Graz.

Nico Tackner MA (* 1996), wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsschwerpunkt Wirtschaftssoziologie, Institut für Soziologie, Universität Graz.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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