Filmkritik

„How to Have Sex“: Sag bitte endlich Vergewaltigung!

Mia McKenna-Bruce wurde für ihre Darstellung im Film mehrfach ausgezeichnet.
Mia McKenna-Bruce wurde für ihre Darstellung im Film mehrfach ausgezeichnet.Capelight Pictures/Nikolopoulos Nikos
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Das Regiedebüt von Molly Manning Walker fängt plakativ an und mündet in einer ambivalenten, feinfühligen Erzählung, die ebenso ehrlich wie niederschmetternd ist.

Wer am häufigsten flachgelegt wird, gewinnt. Das ist das übermütige Vorhaben dreier Britinnen in Malia auf Kreta – Tara, Skye und Em, die während der Schulferien (und ihres mutmaßlich ersten Urlaubs ohne Aufsichtsperson) nur das Feiern im Kopf haben. Feiern, Alkohol und Sex. Auch Tara (Mia McKenna-Bruce), die sexuell weniger erfahren als ihre Freundinnen ist, soll endlich ihr erstes Mal hinter sich bringen – oder als Jungfrau sterben, wie Skye (Lara Peake) spottet. „How to Have Sex“, das Langfilmdebüt von Molly Manning Walker, wurde im Frühjahr bei den Filmfestspielen in Cannes vorgestellt und hoch gelobt, auch weil es dezent die Grenzen der Einvernehmlichkeit abtastet.

Zu Beginn ähnelt der Coming-of-Age-Film in seiner Ästhetik klassischen Partyfilmen. Es gibt Strobo-Licht, schnelle Schnitte und Gegröle, unterlegt wird all das mit EDM-Hits. Die Protagonistinnen, zunächst alle ebenbürtige Charaktere im Handlungsgerüst, haben vor, die neu gewonnene Freiheit bis zum letzten Tropfen auszukosten (mit Strohhalmen aus pickigen Cocktail-Kübeln). Dem Rausch folgt das Reparaturseidl, in Großbritannien „hair of the dog“, dann wieder der Rausch. Der Zyklus scheint auch dem Zuschauer nicht enden wollend, durch die ersten 45 Minuten muss er sich schon durchbeißen.

Die unschöne Wendung kommt trotz (Er)warten dann doch recht abrupt. Erst lernen die Jugendlichen ihre Zimmernachbarn kennen, ein ebenso partywütiges Trio: Badger (Shaun Thomas), auf dessen Hals ein roter Kussmund und die Worte „Hot Legends“ tätowiert sind, Paddy (Samuel Bottomley), der trotz seiner Unscheinbarkeit als „Hot Catch“ gehandhabt wird, und Paige (Laura Ambler), die mit Em (Enva Lewis) anbandelt. Obwohl Tara eigentlich den etwas tollpatschigen Badger am meisten mag, lässt sie sich von ihrer Freundin Paddy aufschwatzen. Am Strand geht er über ihre Grenzen, was sie, und auch die Zuschauerin, genau spürt. Sie muss es gar nicht aussprechen.

Nonverbales Offenlegen

Taras fortan wachsendes Unbehagen zeigt sich weniger in den Dialogen als vielmehr in ihrer Mimik (McKenna-Bruce wurde für ihre fulminante Darstellung mehrfach ausgezeichnet). Ihr fehlt das Vokabular für ihr Fühlen, wonach die Freundinnen ohnehin nicht fragen. Wissen wollen sie, was er so gemacht hat („Hat er dich herumgeworfen und so?“). Tara bejaht, für Em und Skye und für sich selbst. Dann kommt es wieder zum Übergriff. Die Szene ist ruhig gefilmt, was sie umso unangenehmer und nachfühlbarer macht.

Walker ist freilich nicht die Erste, die sich dieser Themen annimmt. Nur gelingt es ihr im Regiedebüt, entgegen dem, was die Anfangsszenen vermuten lassen, ohne plakativ bis reißerische Ausbreitung. Und ohne das Wort „rape“, also Vergewaltigung, auf dessen Aussprache man bis zuletzt vergeblich wartet. Unterschwellig wird behandelt, wie männliche Gewalt immer wieder normalisiert und beiseitegeschoben wird, etwa wenn der eigentliche Sympathieträger und einfühlsamere Badger – der offenkundig weiß, was passiert ist – Tara erzählt, dass er diesen „Albtraum von einem Kerl“ eben schon seit der Kindheit kennt. 

Mindestens genauso beiläufig gelingt es Walker einzufangen, wie selbst das engste Umfeld die Verantwortung der Leidtragenden zuschiebt. So fragt Em gegen Ende des Films, in einer der eindrucksvollsten Szenen kurz vor der Heimreise: „Wieso hast du nichts gesagt?“ Auch sie benennt den Übergriff nicht als solchen, schmiedet keinen Racheplan mit Tara. Als Zuschauerin fühlt man sich fallengelassen so ganz ohne Heldenepos, was „How to Have Sex“ umso mächtiger macht.

„How to Have Sex“, ab Donnerstag, 7. Dezember, im Kino

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