Teherans Straßennetz als Anhänger.
Pop-up

„Den Weitblick lieben gelernt“

Saloumeh Tosun bietet traditionelles Handwerk aus dem Orient mit ­europäischem Blickwinkel an. Ihre Geschichte spielte dabei eine große Rolle.

Immer wieder ein Neubeginn und dann alles Vertraute hinter sich lassen müssen. Und das seit frühester Kindheit. Bei aller Wärme und Herzlichkeit, die Saloumeh Tosun ausstrahlt, überrascht die Sachlichkeit, mit der sie auf ihr bisheriges Leben zurückschaut.

Die Flucht aus Teheran im Jahr 1982, der Neubeginn in Istanbul als Ausländerin, der die türkischen Schulen verschlossen blieben, bis eine großzügige Spende ihrer Mutter, Zoya, an den Schuldirektor zumindest ein Jahr Unterricht ermöglichte, in dem sie sich halbwegs frei fühlen konnte. In den persischen Schulen in Istanbul hatte striktes Kopftuchgebot geherrscht.

Sie erzählt von einer „wunderbaren Kindheit, in der es an nichts fehlte, inmitten von Obstbäumen, von Großeltern verwöhnt in einem der schönsten Bezirke Teherans“. Diese Erinnerung sollte sie erst 2011 mit einem iranischen Juwelier zu einer Trilogie verarbeiten: das Straßennetz von Teheran als Herz einer Stadt, ein anatomisches Herz als Anhänger und ein Herzring. In ihr ist Teheran verankert, auch wenn sie den Iran vielleicht nie mehr besuchen kann.

Dass die Flucht nach Istanbul gelang, gleicht einem Wunder. Für ihre Mutter, die in Indien Statistik studiert hatte, war die Welt mitten im Iran-Irak-Krieg klein, wenn nicht gar verschlossen geworden. Frauen mussten zunehmend in den Hintergrund weichen. Für geschiedene Frauen gab es noch weniger Platz. Willkürlich verlaufen die Kontrollen der Busse, die in der Nacht in die Türkei unterwegs sind, die Frau mit dem kleinen Mädchen fällt niemandem auf. Es beginnt ein neuer Lebensabschnitt in Istanbul.

Saloumeh Tosun vor dem MAK: „In der Nähe von Kunst fühle ich mich zu Hause.“
Saloumeh Tosun vor dem MAK: „In der Nähe von Kunst fühle ich mich zu Hause.“ Clemens Fabry

Von der Müdigkeit ablenken

Zoya, die Mutter, lebt ihrer Tochter vor, was man mit Fleiß und vor allem Disziplin aus dem Nichts schaffen kann: Sie beginnt in einem Atelier zu arbeiten, lässt Kleidung nähen, wird Geschäftsfrau in einer Männerdomäne. Saloumeh lernt in kürzester Zeit die türkische Sprache, zuerst die lateinische Schrift, die sie von der Tafel abmalt, dann im Wörterbuch sucht und die Worte übersetzt. Bis drei Uhr früh sitzt sie oft und übt. Wenn es keine Alternative gibt, erzählt sie, dann ist man im Überlebensmodus, man hinterfragt die Umstände nicht. „Um von meiner eigenen Müdigkeit abzulenken, studierte ich stundenlang die Details auf den Straßenwänden, die Schaufenster der Goldschmiede im Großen Bazar, die flinken Hände der Menschen, die ihr Handwerk so gut beherrschten.“

Flucht aus den Gedanken

Ihre Mutter stößt auch in der Türkei als Frau an Grenzen. Nach der Heirat mit einem in Innsbruck lebenden Iraner erfolgt der Umzug nach Innsbruck, Saloumeh ist 14. Sie wird mit offenen Armen in der Schule aufgenommen. Ihre Lehrer sehen ihr Talent, fördern sie. Sie gibt ihren Mitschülern Nachhilfe in Mathematik. Nach zwei Großstädten in den österreichischen Alpen gelandet, tun die Berge und die menschenleeren Straßen ihrer Seele gut. Aber nur kurzzeitig: „Ich habe den Weitblick lieben gelernt.“ Nach der Matura beginnt sie ein Architekturstudium, das einzige Studium, das ihr rationales Talent mit Schöngeist, Kunst und Kultur vereint. Das Künstlerische bot immer die Fluchtmöglichkeit aus den Gedanken, wenn diese zu schwer wurden.

Ein Teil ihrer Diplomarbeit war der Entwurf eines Teppichs. „Mehr und mehr wollte ich Objekte kreieren, die man bei sich trägt, Symbole, die einen stärken, erinnern und verschönern. So kam ich zum Schmuckentwurf.“ Orient und Europa, beide gehen nicht ohne einander: In den Entwürfen werden orientalische Elemente so reduziert, dass das Ergebnis europäisch wirkt, den Orient aber widerspiegelt. Wieder wird die Welt zu klein, diesmal aber geografisch: Mit ihrem Mann, Kadir, einem Urologen, und ihren beiden Kindern zieht die Architektin nach Wien.

Nach Jahren der Anstellung will sie nun wieder selbstständig sein. Das Vorbild: ihre Mutter, die mittlerweile auch in Wien lebt. „Sie hat mich alleinerziehend durch all diese Länder geführt, um uns ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.“ Nun sei es ihr Ziel, mittels Pop-up-Stores Frauen die Möglichkeit zu geben, mit ihrem Handwerk ihr Leben autonom zu bewerkstelligen. Bei den zeitlich begrenzten Verkaufsausstellungen gibt Saloumeh Tosun mit Produkten von Heimat Nummer eins (Teheran) und Heimat Nummer zwei ihrer dritten Heimat, Österreich, Raum, das traditionelle Handwerk für Wien zu übersetzen und „ein neues Bild von meiner Herkunft zu schaffen“.

Wie immer mit vollem Einsatz. Denn eine der Lehren ihrer Mutter, die sie verinnerlicht hat, macht auf die Dauer schrecklich müde. „Glück ist, wenn man die Allerbeste sein kann.“ Dass sie auch einmal lockerlässt, daran arbeitet ihre Familie, und das Übrige tut vielleicht Wien, die Stadt, aus der sie nicht mehr weiterziehen will.

Auf einen Blick

Pop-up-Store. Bis 23. Dezember, Verkauf von Schmuck, Schals, Tüchern, Teppichen und Deko-Artikel von Design Mon Amour gemeinsam mit Répertoire in der Hollandstraße 18 (Alkemy). An Samstagen kostenlose Schmuck-Workshops, nur das Material ist zu bezahlen. Am 17. Dezember findet ein Sonntagsbrunch mit Musik und Drinks statt. Am 20. Dezember Late-Night-Shopping bis 21 Uhr.

Montag bis Freitag: 10 bis 17.30 Uhr, Samstag: 10 bis 17 Uhr
Instagram: designmonamour
designmonamour.vienna@gmail.com

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