Gastkommentar

Die antisemitische Verseuchung

Peter Kufner
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Ein offener Brief, der den Philosophen Jürgen Habermas ins Visier nimmt, offenbart die Judenfeindlichkeit in akademischen Zirkeln.

„Zutiefst betroffen“, ja sogar „zutiefst beunruhigt“ suchte eine Gruppe bekannter Intellektueller mit einem offenen Brief, abgedruckt im britischen „Guardian“, die Öffentlichkeit. Unterzeichnet ist der Artikel von elf bekannten Professoren, darunter Adam Tooze, Historiker der Columbia University New York, Amia Srinivasan, Philosophin in Oxford, Nancy Fraser, Philosophin und Feministin, und Diedrich Diederichsen, Kunsttheoretiker an der Akademie der bildenden Künste Wien.

Anlass für die als „Besorgnis“ nur schlecht getarnte Empörung und Kritik ist ein Text des deutschen Philosophen Jürgen Habermas, der am 13. November auf einer Internetseite des Forschungsprojekts „Normative Orders“ unter dem Titel „Grundsätze der Solidarität“ erschienen ist. In dem Kommentar zu der sich polemisch gegen Israels militärische Antwort auf den feigen Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober zuspitzenden Debatte versuchte Habermas mit den Co-Autoren Nicole Deitelhoff, Rainer Forst und Klaus Günther, „einige Grundsätze festzuhalten, die nicht bestritten werden sollten“.

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Diese Grundsätze lauten: „Das Massaker der Hamas in der erklärten Absicht, jüdisches Leben generell zu vernichten, hat Israel zu einem Gegenschlag veranlasst.“ Dieser Gegenschlag sei „prinzipiell gerechtfertigt“. Habermas betont, dass dabei selbstverständlich alle „Grundsätze der Verhältnismäßigkeit“ und der „Vermeidung ziviler Opfer“ zu beachten sind.

Kryptische Aufforderungen

Er fügt aber hinzu: „Bei aller Sorge um das Schicksal der palästinensischen Bevölkerung verrutschen die Maßstäbe der Beurteilung jedoch vollends, wenn dem israelischen Vorgehen genozidale Absichten zugeschrieben werden.“ Es sei auch „unerträglich, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder Drohungen gegen Leib und Leben ausgesetzt sind“. Vorsichtshalber verdammen die Autoren des offenen Briefes zwar den Überfall der Hamas und treten für den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland ein. Gleichzeitig werfen sie Habermas vor, einseitig seine Solidarität Israel und dem jüdischen Leben in Deutschland zuteil werden zu lassen, aber nicht den „palästinensischen Zivilisten in Gaza, die Tod und Zerstörung“ ausgesetzt seien; seine Solidarität zeige er auch nicht gegenüber den „Muslimen in Deutschland, die wachsende Islamophobie erleben“.

Was als Mahnung zur Ausgewogenheit daherkommt, entspricht jedoch der Relativierungs - und Vernebelungstaktik eines Israel-feindlichen Meinungskartells im aka­demischen Milieu, das alle Seiten gleichermaßen zu Opfern erklärt. Gleichzeitig werden dabei Israel und nicht der Hamas und den sie unterstützenden Palästinensern ge­nozidale Absichten unterstellt.

„Besorgt“ wird auch auf den israelisch-amerikanischen Publizisten und Historiker Omar Bartov Bezug genommen, der dazu geraten hat, prophylaktisch vor einem potenziellen Genozid zu warnen. Ihre Kritik an Habermas und seiner Ansicht, dass Israels Verteidigung legitim sei und nichts mit einem Genozid zu tun habe, verpacken die Briefschreiber wohlfeil in einer kryptischen Aufforderung zur Debatte. „Nicht alle Unterzeichner glauben, dass die rechtlichen Standards für einen Genozid hier erfüllt sind.“ Nichtsdestotrotz stimmten die Unterzeichner aber darin überein, dass dies ein legitimer Gegenstand der Debatte sei.

Was unterschlagen wird

Unterschlagen wird dabei, dass es die Hamas ist, die in ihrer ersten Charta von 1988 dezidiert zur Ermordung aller Juden und zur Vernichtung Israels aufgerufen hat und die am 7. Oktober ihre Absichten auf widerwärtigste Weise manifestiert hat.

Es ist also nicht Israel, sondern es sind die Hamas und die sie unterstützenden Teile der palästinensischen Bevölkerung, die den Genozid anstreben und, wie der 7. Ok­tober bewies, diesen auch zu exekutieren bereit sind. Und mit Parolen zur Vernichtung Israels wie „From the river to the sea“ machen sich ihre westlichen Unterstützer mit den Zielen der Hamas gemein.

Faktum ist, wie Jürgen Habermas festhält, dass Israel sich gegen einen menschenverachtenden brutalen Angriff einer Mörderbande zur Wehr setzt. Faktum ist auch, dass Israel im Krieg gegen die Hamas, die sich völkerrechtswidrig und feige in Krankenhäusern, Schulen sowie anderen zivilen Einrichtungen verschanzt und ihre eigene Bevölkerung kriegsverbrecherisch als Schutzschild missbraucht, versucht, zivile Opfer zu vermeiden, soweit dies in einem Krieg überhaupt möglich ist.

Wider besseres Wissen rückt der offene Brief Israels Abwehrkampf letztlich in die Nähe eines Genozids, was eine zynische Gleichsetzung der systematischen und industriellen Massenvernichtung der Juden durch die Nazis mit dem Kampf Israels gegen den Terrorismus der Hamas darstellt. Damit werden der in seiner Tendenz, die Opfer zu Tätern zu machen, beschämende offene Brief und die vorgebliche Besorgnis über die Haltung von Habermas zu einem weiteren traurigen Beweis für die antisemitische Vergiftung des akademischen intellektuellen Betriebs.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Dr. Gerald Matt (*1958 in Hard) ist Kulturmanager, Direktor des Art Institute Vienna, unterrichtet an der Universität für angewandte Kunst und war von 1996 bis 2012 Direktor der Kunsthalle Wien. 

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