Gastkommentar

Im Nahen Osten muss der Westen neue Wege gehen

Peter Kufner
  • Drucken
  • Kommentieren

Das bisherige Herangehen an den Nahostkonflikt hat keine brauchbaren Ergebnisse gebracht. Höchste Zeit für andere Ansätze.

Der 7. Oktober ist eine Zäsur in der 75-jährigen Geschichte des Bestehens des Staates Israel. Dieser Tag wird nicht nur von jüdischen Bürgern in Israel, sondern weltweit als zweite „Shoa“ empfunden, da 1200 Menschen, überwiegend Zivilisten, von Hamas-Terroristen auf barbarische Weise ermordet und über 200 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

Dieses Ereignis wie auch die darauffolgenden Geschehnisse im Gazastreifen sind der Beginn eines neuen Kapitels, das das Leben von Millionen von Menschen sowohl im Nahen Osten als auch in anderen Teilen der Welt beeinflussen wird.

Das Massaker, insbesondere an jenen jungen Menschen, die ein Musikfestival besuchten, ist auch eine herbe Niederlage für jene israelischen Bürger, die sich eine Koexistenz mit der palästinensischen Bevölkerung wünschen und eine Zweistaatenlösung befürworten. Nach diesem grausamen Akt wird es Jahre dauern, bis die Wunden verheilt sind, um halbwegs gute nachbarschaftliche Beziehungen zwischen Juden und Palästinensern aufzubauen.

Neues Krisenmanagement

Die Angriffe der Hamas auf Israel markieren auch einen bedeutenden Einschnitt in der Nahost-Politik des Westens. Denn sie zeigten, dass die bisherige Politik versagt hat. Das gilt gleichermaßen für das Herangehen der USA, der EU und auch Deutschlands. Dabei ist offenkundig, dass die Spirale der Gewalt bis jetzt keine Lösungen zulässt. Es müssten daher neue Wege gefunden und vertrauensbildende Maßnahmen geschaffen werden, um den seit Jahrzehnten andauernden Konflikt gemäß der UN-Charta langfristig beizulegen. Der Westen braucht ein neues Krisenmanagement im Nahen Osten.

Das Massaker vom 7. Oktober sollte der gegenwärtigen US-Regierung von Präsident Joe Biden Anstoß geben zu bedenken, dass die lang ausgeübte Politik der USA gegenüber Israel einer Änderung bedarf. Tatsache ist, dass die USA die Schutzmacht für den Staat Israel sind, weil das Land seit seiner Gründung in Anbetracht seiner relativen Kleinheit und wegen seiner Positionierung als Demokratie in einem Umfeld von autokratischen Regimen mit der Gefahr der existenziellen Vernichtung durch die Nachbarn konfrontiert war.

Die Frage, ob die USA ihre bisherige Politik gegenüber Israel ändern werden, ist schwer zu beantworten, zumal Israel in den Augen vieler Amerikaner als Erfolgsstory gilt. Tatsächlich hat der Judenstaat trotz der existenziellen Bedrohungen von außen und seiner gegenwärtigen inneren Zersplitterung in kultureller, wirtschaftlicher und technischer Hinsicht enorme Erfolge vorzuweisen.

Die US-Regierung sollte jedoch bereit sein, verstärkten Druck auf die jetzige Regierung von Benjamin Netanyahu auszuüben, um nicht nur einen Waffenstillstand im Gazastreifen und eine Kehrtwendung der israelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik zu erreichen, sondern auch, um die Spirale der Gewalt in der Region langfristig zu durchbrechen.

So sollte die militärische und wirtschaftliche Hilfe für Israel mit Maßnahmen zur Beendigung der israelischen Militärherrschaft über die Palästinensergebiete verknüpft werden, zumal Israel nicht einmal mehr vorgibt, liberale Prinzipien beziehungsweise moderate politische Konzepte im Westjordanland zu verfolgen. Gerade eine Politik der Mäßigung würde auch im Interesse des langfristigen Überlebens Israels liegen.

Die klarste globale Vision der Biden-Regierung war ihre lautstarke Verteidigung internationaler Gesetze und Normen als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Für die Palästina-Frage sollten dieselben Normen und Werte gelten, wie das ja auch der globale Süden lautstark fordert.

Internationale Präsenz

Die USA und die EU müssen auch neue Wege finden, um dem schwachen und korrupten System der palästinensischen Autonomiebehörden im Westjordanland entgegenzutreten. So müssten sie die Gewährung von finanzieller Hilfe mit der Einhaltung von demokratischen Prinzipien und Menschenrechten sowie der Abhaltung regulärer Wahlen innerhalb der Autonomiegebiete verknüpfen.

Zu diesem Zweck sollte eine internationale Aufsichtsbehörde, bestehend aus den Vertretern der UN-Organisationen, der EU und der Arabischen Liga gegründet werden, die die Einhaltung demokratischer Prinzipien und Normen innerhalb der Autonomiebehörden überwacht. Die Präsenz internationaler Akteure in den Autonomiegebieten sollte auch gewährleisten, dass Organisationen wie die Hamas sowie andere extremistische Kräfte nicht in die Lage kommen, der palästinensischen Bevölkerung ihren Willen aufzuzwingen.

Der Angriff vom 7. Oktober und der daraus resultierende militärische Gegenschlag der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen mit vielen Opfern unter der Zivilbevölkerung sollte auch Anlass dafür sein, den seit Jahren vernachlässigten politischen Prozess zur Gewährung einer Zweistaatenlösung wiederzubeleben. Gemäß den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates zum Nahen Osten vom 26. Oktober sollte ehebaldigst eine internationale Friedenskonferenz unter Beteiligung aller Konfliktparteien sowie der UNO, EU und Arabischen Liga einberufen werden.

Keine militärische Lösung

Eine solche Konferenz sollte nicht nur die Ziele einer neuen Nahostpolitik definieren, sie sollte auch die Voraussetzung für einen unabhängigen palästinensischen Staat mit gleichzeitigen Sicherheitsgarantien für Israel schaffen, um den jahrzehntealten Konflikt zu lösen.

Der 7. Oktober ist zwar eine traurige Zäsur, aber gleichzeitig auch eine Chance, den langwierigsten Konflikt im Nahen Osten beizulegen. Es ist bereits bewiesen, dass Terrororganisationen mit militärischen Mitteln nicht besiegt werden können. Militärische Mittel erhöhen das Risiko, neue Gewalt- und Unrechtserfahrungen zu erzeugen. Mit einer Lösung des Palästina-Konflikts würden die Hamas und andere extremistische Kräfte in der Region in der Bedeutungslosigkeit enden.

Eine Änderung der US-Außenpolitik in der Region würde nicht nur das Fundament für einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten legen, sondern auch jene moderaten und demokratischen Kräfte in Israel wie auch unter den Palästinensern stärken, die eine Koexistenz zwischen Juden und Arabern befürworten.

Hoffnung für Millionen

Eine internationale Friedenskonferenz sollte Voraussetzungen dafür definieren, wie man den Zyklus der Gewalt durchbrechen kann, um eine langfristige Konfliktbeilegung herbeizuführen. Die arabischen Staaten könnten nicht nur von Israels enormen wirtschaftlichen, industriellen und technischen Fortschritten profitieren, sondern auch von den Erfahrungen eines demokratischen Systems .

Eine friedliche Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts würde Millionen Menschen nicht nur in der Region, sondern auch weltweit Hoffnung geben, dass der Humanismus, Universalismus und die Achtung der Menschenrechte eine Chance haben, auch in gewaltvollen Zeiten verwirklicht zu werden.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Dr. Homayoun Alizadeh (* 1952 in Zürich) ist iranischer Abstammung. Er studierte Politik und Rechtswissenschaften an der Uni Wien und absolvierte die Diplomatische Akademie in Wien. Er war mehrere Jahre im Innenministerium tätig.

Beigestellt

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.