Partizipation

Demokratiebildung: „Kinder müssen die Auswirkungen ihrer Wünsche spüren“

Im September veranstaltete SOS Kinderdorf in Innsbruck eine Kinderkonferenz zum Thema kindgerechte Stadt.
Im September veranstaltete SOS Kinderdorf in Innsbruck eine Kinderkonferenz zum Thema kindgerechte Stadt. SOS Kinderdorf
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Wie bekommen Kinder und Jugendliche ein Gespür für Politik, erfahren über ihre Rechte und lernen, ihre Ideen einzubringen? Indem sie Demokratie im Alltag erleben, sind sich Expertinnen einig.

Keine Autos vor der Schule“, „Neue Netze für die Fußballtore im Park“, „Ein Zebrastreifen auf der großen Straße“ – die Kinder sprühen nur so vor Ideen, als sie an diesem Vormittag gefragt werden, was sie in ihrem Bezirk gern verbessern würden. Die Drittklassler nehmen an einem Workshop des Familienbunds Wien teil, der ihnen auf kindgerechte Art das Thema Demokratie näherbringen soll. Denn, so sind sich viele Anbieter einschlägiger Workshops einig, Demokratie lernt man nicht auf dem Papier. Vielmehr geht es darum, Kinder und Jugendliche Auswirkungen von dem, was sie sich wünschen und was sie kommunizieren, spüren zu lassen.

Kinder werden selbst zu Parlamentarier

Der Workshop des Familienbunds Wien namens „Kinderparlament“ macht dies etwa auf Bezirksebene. An dem Vormittag geht es bei Weitem nicht nur darum, den Kindern zu erzählen, was es mit Wahlen und Politikern in Österreich auf sich hat. Vielmehr sollen sie sehen, dass ihre Stimme zählt, so Stefanie Achrainer vom Familienbund Wien. Die Ideen werden nicht nur gesammelt, sondern manche in der Folge auch der Bezirksvorstehung präsentiert. Dafür wählen Kinder eine Vertreterin und einen Vertreter. Somit wird einerseits Grundverständnis für das Prinzip Wahl vermittelt, andererseits wird auch darüber abgestimmt, welche Ideen aus ihrer Sicht die wichtigsten sind: „Jede und jeder darf sich dafür einsetzen, warum er oder sie eine Idee gut findet“, so Achrainer. Natürlich ist nicht alles (rasch) umsetzbar. „Aber wenn sie nach einiger Zeit sehen, dass etwas fertig ist, das sie sich im Kinderparlament gewünscht haben, dann hat das eine starke Wirkung.“

Laut UN-Kinderrechtskonvention dürfen Kinder zu allen Angelegenheiten, die sie betreffen, ihre Meinung äußern und haben ein Recht darauf, dass diese berücksichtigt wird. Leider würden sich derzeit viele Kinder und Jugendliche nicht repräsentiert fühlen, meint Nina Mahnert, Expertin für Kinder- und Jugendbeteiligung von SOS Kinderdorf: „Gerade nach der Pandemie und in einer Zeit, die von vielen Krisen geprägt ist, fühlen sich die Kinder und Jugendlichen noch weniger gehört. Sie haben den Eindruck, nicht mitgestalten zu dürfen“, so Mahnert. Das bestätigt auch Rebekka Dober der Organisation „YEP – Stimme der Jugend“: Nur sieben Prozent haben laut Umfrage das Gefühl, dass ihre Agenda auch wirklich wahrgenommen werde.

»Gerade in einer
von vielen Krisen geprägten Zeit fühlen sich Kinder und Jugendliche noch weniger gehört.  «

Nina Mahnert

SOS Kinderdorf

Workshops zu Kinderrechten und Kindercafé

Dass man den jungen Bürgerinnen und Bürgern zuhört und ihre Ideen und Wünsche ernst nimmt, will auch das Partizipationsprojekt von SOS Kinderdorf, das gemeinsam mit dem Verein Welt der Kinder veranstaltet wird, vermitteln. Dort lernen Schüler und Schülerinnen der dritten Klassen von Volksschulen in Workshops alles zu Kinderrechten und Beteiligung, werden selbst zu Parlamentariern, um ein Gespür für Themen wie Staatsorganisation und Politik zu bekommen, und sprechen über Dinge, die konkret ihrem Alltag entsprechen.

Etwa war es in einem bisherigen Workshop einer Gruppe ein Anliegen, ein Kindercafé zu gründen, in dem die Kinder – von der Organisation bis zum Kellnern und Brotestreichen – alles selbst machten. Die Organisatoren halfen dabei, dies in die Tat umzusetzen. „Nach unseren Workshops stellen die Kinder ihre Anliegen und Lösungsvorschläge in einer Kinderkonferenz den erwachsenen Entscheidungsträgerinnen und -trägern aus Politik und Schule vor, und wir vereinbaren konkrete Umsetzungsschritte, die wir begleiten“, so Mahnert. Bereits zwei Mal hatte das Kindercafé in Innsbruck geöffnet.

Jugendrat diskutiert über Kleidervorschriften in der Schule

Dass Beteiligung für Kinder und Jugendliche oft ungewohnt ist, unterstreicht ihre Kollegin Katharina Zangerl, die bei SOS Kinderdorf für den im März gegründeten Jugendrat zuständig ist, bei dem 14- bis 24-Jährige ihre Themen einbringen können. „Das ist für sie nicht immer so einfach, weil sie es unter anderem durch das Schulsystem gewohnt sind, dass sie von Erwachsenen Anweisungen bekommen und diese befolgen“, so Zangerl.

Es braucht also die richtige Vorbereitung und Begleitung. „Das beginnt schon bei der Gestaltung der Workshops: Die Jugendlichen dürfen das Datum und den Ort bestimmen oder entscheiden, mit wie vielen Leuten sie untergebracht werden wollen.“ Jeder Workshop beginnt außerdem damit, dass man gemeinsam eine Verfassung darüber erstellt, wie man während des Workshops miteinander umgehen möchte. Zangerl: „Ich habe mir beispielsweise gewünscht, dass keine Schimpfwörter genannt werden, und wurde beinhart überstimmt mit dem Vorschlag: Schimpfwörter ja – aber keine ernst gemeinten.“

Teil der Treffen ist außerdem ein Kinderrechtsvortrag, gefolgt von der Frage an die Jugendlichen, wo sie ihre Rechte im eigenen Lebensbereich verletzt sehen. Die an den Schulen herrschenden Kleidervorschriften waren zuletzt ein großes Thema.

Schüler gestalten Lehrpläne

Ein weiteres Partizipationsprojekt wurde von der Organisation „YEP – Stimme der Jugend“ in Kooperation mit dem Bildungsministerium geschaffen: „DemokratieMachtSchule“ gibt Schülern und Schülerinnen die Möglichkeit, den zukünftigen Lehrplan mitzugestalten. Im Oktober wurde dem Bildungsminister ein Jugendbericht mit den Vorschlägen der Jugendlichen überreicht. Finanzbildung wird darin als besonders relevant empfunden und der Wunsch geäußert, in allen Fächern verstärkt aktuell medial präsente Themen zu behandeln. Diese Wünsche sollen nun in die Lehrplangestaltung einfließen. „Nicht alles, was sie vorschlagen, wird umgesetzt, aber sie haben genauso viel Stimmrecht wie andere Gruppen und ihre Ideen werden als Grundlage herangezogen“, erklärt YEP-Gründerin Dober. Wichtig sei, „dass alle erfahren, welche Auswirkungen ihr Tun hat. So entsteht Selbstwirksamkeit – und diese brauchen wir, wenn wir mündige Bürgerinnen und Bürger wollen.“

Information

Anbieter Demokratie-Workshops:

YEP – Stimme der Jugend. „DemokratieMachtSchule“:
www.yep-austria.org

Kinder- & Jugendparlamente:
www.wiener-familienbund.at

SOS Kinderdorf Jugendrat:
www.sos-kinderdorf.at/setzdichein/sos-kinderdorf-jugendrat

Mitreden macht Schule:
www.sos-kinderdorf.at/kinderrechte

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