Nachruf

Abschied von Theo Öhlinger, dem wohlwollenden Lehrer

Theo Öhlinger, aufgenommen 2007 am Wiener Juridicum
Theo Öhlinger, aufgenommen 2007 am Wiener Juridicum Clemens Fabry
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Eines der großen Verdienste Theo Öhlingers um die Rechtswissenschaften war, dass er den in Wien dominierenden Rechtspositivismus herausforderte – mit einem soziologisch aufgeschlossenen Zugang zum Recht.

Theo Öhlinger ist, wie berichtet, am 10. Dezember 2023 im 85. Lebensjahr verstorben. Mit ihm verliert unsere Republik einen der bedeutendsten Vertreter des öffentlichen Rechts.

Geboren wurde Öhlinger in Ried im Innkreis. Nach Mitarbeit im Verfassungsdienst und einer raschen Karriere an der Universität Innsbruck wurde er 1974 als Professor für öffentliches Recht an die Wiener Fakultät berufen, an der er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2007 verbleiben sollte. Dass er sich Zeit seines Lebens am Wiener Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, dem er immerhin für zehn Jahre leitend vorstand, als Außenseiter fühlte, ist ein Eindruck, den seine Kollegen vielleicht ebenfalls über sich selbst hatten. Das Institut war lange Zeit geprägt von höchst konträren, die Kontroverse nicht scheuenden Charakteren, und er als Sozialdemokrat hatte einst gewiss ein Alleinstellungsmerkmal. Öhlinger war in vielen Funktionen tätig, etwa als Ersatzmitglied des VfGH oder als Direktor der Verwaltungsakademie des Bundes, und wirkte zuletzt als Berater von Präsidentinnen des Nationalrats.

Zum Autor

Univ.-Prof. Dr. Alexander Somek lehrt am Institut für Rechtsphilosophie der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

Sein wissenschaftliches Oeuvre ist breit. Es reicht von der frühen Beschäftigung mit dem Verhältnis von Verfassungsrecht und Völkerrecht über die Staatsorganisation bis zum Ineinandergreifen von Europarecht und staatlichem Recht; ein Thema, das auch in einer gemeinsam mit Michael Potacs verfassten und wiederholt aufgelegten Monographie einen erfolgreichen Niederschlag gefunden hat. Mit seinem Lehrbuch des Verfassungsrechts hat er ein Standardwerk verfasst, das von seinem Schüler Harald Eberhard weitergeführt wird. Sein Interesse an vergleichendem und internationalem Verfassungsrecht und seine Lehrtätigkeit im Ausland wurden mit Auszeichnungen seitens der Französischen Republik belohnt. In Österreich war er Träger des Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst erster Klasse und des Wilhelm-Hartl-Preises der Akademie der Wissenschaften.

Weder Tabus noch Heldenverehrung

Was mir an Öhlinger, abgesehen von seinem Wissen und seiner überragenden Intelligenz, imponierte, war, dass er den in Wien dominierenden, sich auf Hans Kelsen berufenden österreichischen Rechtspositivismus herausforderte, und zwar mit einem soziologisch aufgeschlossenen Zugang zum Recht. Deswegen gab es bei ihm weder Tabus noch Heldenverehrung. Als sein Student bewunderte ich seinen leicht ironischen Stil, der ihm etwas nachgerade Sokratisches verlieh. Seine Ausführungen waren von jener Zurückhaltung geprägt, die uns immer wieder an die Frage gemahnte, ob wir denn überhaupt etwas wissen können. Gleichzeitig konnte er umgekehrt bewundernswert treffsicher aus der Hüfte schießen und war als «Verfassungsexperte» in Rundfunk und Fernsehen präsent und beliebt. Aber auch in dieser Eigenschaft war er keiner, der auf das Für und Wider der Argumente vergaß.

Zeit seines Lebens galt sein Interesse auch den theoretischen Themen, was mir zum Vorteil gereichte, weil er es auf sich nahm, meine Habilitation für Verfassungsrecht zu unterstützen. Durch Öhlinger wurde mir das Tor zum öffentlichen Recht eröffnet, durch das ich hinausgehen sollte in die sprichwörtlich „weite Welt“. Nicht nur dafür werde ich ihm, solange ich lebe, dankbar sein, sondern auch für die Geduld und die Wärme, mit der er mich und meine bemühten Versuche immer begleitete.

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