Psychische Gesundheit

Mental Health im Studium: Nicht erst kommen, wenn der Hut brennt

Lernstress, Prüfungsangst, finanzielle Sorgen: Studieren kann für viele zur (mentalen) Belastungsprobe werden.
Lernstress, Prüfungsangst, finanzielle Sorgen: Studieren kann für viele zur (mentalen) Belastungsprobe werden.Gettyimages
  • Drucken

Zwar sind viele Studierende für Themen rund um die mentale Gesundheit sensibilisiert, Hilfe holen fällt ihnen trotzdem schwer. An den Unis und FH versucht man sie mit verschiedenen Angeboten aufzufangen.

Immer mehr Studierende fühlen sich gestresst oder mental belastet. In einer 2019 durchgeführten Sozialerhebung gaben 57 Prozent von 45.000 befragten Studentinnen und Studenten an, sie seien stressbedingt beeinträchtigt, fast die Hälfte psychisch. Diese Ergebnisse decken sich weitestgehend mit dem Mental Health Barometer 2022, einer Studie, bei der über 3000 deutsche und knapp 5400 österreichische Studierende befragt wurden. Jeder zweite Studierende stufte die eigene mentale Gesundheit als nicht gut bis schlecht ein, über 80 Prozent fühlten sich im Studium gestresst. Als die häufigsten Belastungsfaktoren wurden Überforderung, die finanzielle Situation, psychische Probleme und Prüfungen genannt. Für Katharina Weißenböck, Referentin für Sozialpolitik an der ÖH, sind diese Ergebnisse „erschütternd, aber nicht überraschend“.

Erst wenn der Hut brennt

Dabei seien Studierende „eine Gruppe, die eher gute Zugangsmöglichkeiten zur Unterstützung ihrer mentalen Gesundheit hat“, sagt die ÖH-Referentin. Dazu gehören Angebote der ÖH wie etwa eine Telefonhotline, Gruppenangebote und ein Psychotherapiefonds, bei dem ein Zuschuss zu Therapiekosten beantragt werden kann. Wer bei der Hotline anruft und ausführlichere Beratung des Vereins für Psychotherapie braucht, bekommt diese kostenlos.

Jüngere Menschen seien zudem durch soziale Medien stärker für Themen rund um die psychische Gesundheit sensibilisiert, bemerkt Petra Paukowitsch, Sozialarbeiterin und Lehrende an der FH Campus Wien. Allerdings falle auf, so Weißenböck, dass sich viele erst Hilfe holen, „wenn gar nichts mehr geht oder sich die Auswirkungen auf den Alltag auswirken“. Das könne auch am Stigma liegen, das zwar schwächer wird, aber immer noch besteht, wenn es um den offenen Umgang mit mentaler Gesundheit geht, sagt der Leiter des Studierendensupports an der WU Wien, Christoph Schwarzl. Die Studierenden würden sich erst dann melden, „wenn der Hut brennt“. Gesamtgesellschaftlich wäre daher ein stärkerer Fokus auf Wellbeing und Prävention wichtig.

Neben der ÖH bemühen sich auch Universitäten und FH stark darum, die Studierenden aufzufangen und ihnen Räume zu geben, ihre Probleme zu besprechen. Im Rahmen des Projekts „Listen!“ bietet beispielsweise die FH Campus Wien ab Jänner Vernetzungsangebote, Mitarbeiterschulungen und Peer-Beratungen an. Letztere werden von Studierenden, die im Rahmen einer Lehrveranstaltung eine Ausbildung absolviert haben, geführt. Eine Therapie ersetzen diese allerdings nicht, wie Projektleiterin Paukowitsch betont. Der Vorteil von Peer-Beratern und -Beraterinnen: Sie begegnen den Studierenden auf Augenhöhe, haben vielleicht ähnliche Herausforderungen erlebt und Strategien entwickelt, mit ihnen umzugehen, erklärt sie. Auch die Bildung von Netzwerken sei wichtig: „Ein starkes soziales Netz, auf das man in Krisen zurückfallen kann, ist ein wichtiger Resilienzfaktor der Gesundheit.“

»Traurigerweise sind es vor allem der gestiegene Leidensdruck und die Verbreitung von Überlastung, Stress und Isolation, welche zur Entstigmatisierung und breiteren Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten führen.«

Katharina Weißenböck

Referentin für Sozialpolitik an der ÖH

Coaching gegen Stigma

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die WU, die seit 2019 Einzelcoachings anbietet und damit schon viele Erfolgserlebnisse verzeichnen konnte, wie Schwarzl erzählt. Etwa lernte eine Studentin mit fachspezifischer Prüfungsangst über körper­basierte Methoden, die Stress­signale in Prüfungen, die sonst zu Angstattacken führten, frühzeitig zu erkennen und mit Atemübungen Körper und Geist zu beruhigen. Ein anderer Student hatte alle Kurse bis auf die Bachelorarbeit abgeschlossen und tat sich seit Jahren damit schwer, diese fertigzubekommen. „Das Coaching half ihm, Freiräume zu erarbeiten, um die Arbeit zu verfassen.“ In Zukunft will die WU ihr Angebot zu mentaler Gesundheit noch erweitern. Bereits im Frühjahr werden im Zuge der Wellbeing Days Workshops, Peergroups und Veranstaltungen, etwa zu Themen wie Neurodiversität, angeboten.

Ein offener, vorurteilsfreier Zugang zu Angeboten ist wichtig, um das Stigma gegenüber mentaler Gesundheit zu verringern. Da muss auch die Politik mithelfen. Neben einem Ausbau von psychologischer Beratung und kostenlosem Zugang zu Psychotherapie fordert die ÖH deshalb den Abbau von Leistungsdruck durch eine Erhöhung der Toleranzsemester und Abschaffung von Studiengebühren. „Traurigerweise sind es vor allem der gestiegene Leidensdruck und die Verbreitung von Überlastung, Stress und Isolation, welche zur Entstigmatisierung und breiteren Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten führen“, sagt sie. Viele Studenten wollen sich in psychotherapeutische Behandlung begeben, doch die Angebote sind oft ausgebucht oder zu teuer.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.