Neurobiologie

Mosaik der Neuronen zeigt deren Stammbaum

Mittels MADM lassen sich einzelne Zellfamilien im Colliculus superior farbig markieren.
Mittels MADM lassen sich einzelne Zellfamilien im Colliculus superior farbig markieren.Hippenmeyer Labor / Ista
  • Drucken

Neue Erkenntnisse liefern wichtige Hinweise, wie die Nervenzellen in den Colliculi superiores entstehen, dem „Hügelland“ im Mittelgehirn, das als Transformator für die Sinneswahrnehmung wirkt.

Es klingt nach einem fantastischen Areal – in dem Fantastisches passiert. Die Colliculi superiores sind die zwei oberen Hügel der Vierhügelplatte im Mittelgehirn. Hier werden sensorische Informationen, vor allem jene der Augen, umgewandelt. Im Tierreich entscheidet das mitunter über Leben und Tod: „Wenn Nagetiere auf einem Feld über sich einen Schatten wahrnehmen, wissen sie sofort, dass das ein Adler sein könnte. Sie flüchten reflexartig, die Muskeln aktivieren sich automatisch“, schildert Simon Hippenmeyer. Freilich, auch für den Menschen ist zentral, was hier vor sich geht. Fehler bei der Entwicklung dieser Hirnregion können zu schweren neurologischen Störungen führen.

»Wir wissen, dass beim Menschen circa vom dritten bis zum sechsten Schwangerschaftsmonat etwa 100 Milliarden Nervenzellen gebildet werden, das sind mehrere 1000 Nervenzellen pro Sekunde.«

Simon Hippenmeyer

 Institute of Science and Technology

100 Milliarden Nervenzellen

Der gebürtige Schweizer forscht seit mehr als zehn Jahren am Institute of Science and Technology Austria in Klosterneuburg bei Wien. „In meiner Gruppe interessiert uns, wie Stammzellen ein Gehirn korrekter Größe formen können“, erläutert er. Eine Aufgabe, die ihn bis heute fasziniert: „Wir wissen, dass beim Menschen circa vom dritten bis zum sechsten Schwangerschaftsmonat etwa 100 Milliarden Nervenzellen gebildet werden, das sind mehrere 1000 Nervenzellen pro Sekunde.“

Die Stammzellen müssen genau wissen, wie viele Zellen sie bilden und für welche Hirnregion. Die Genetik ist dabei zentral; schon ein defektes Gen kann die Regulationsmechanismen völlig irritieren. Mit seinem Team hat Hippenmeyer nun im Fachmagazin „Neuron“ am Mausmodell gezeigt, wie sich die Gehirnzellen in den Colliculi superiores bilden.

Zellen werden zum Leuchten gebracht

„Die entscheidenden entwicklungsbiologischen Vorgänge sind in dieser Region fundamental anders“, erklärt der Neurobiologe. Während hemmende und anregende Nervenzellen im restlichen Gehirn von Stammzellen anderer Orte gebildet werden, kommen diese in den Colliculi superiores von den gleichen Zellen in diesem Areal. Anders als in anderen Hirnregionen verlaufen die Prozesse zeitlich weit ungeordneter. Und sie passieren weit schneller, nämlich innerhalb von zwei bis drei Tagen. „In der Großhirnrinde dauert der Prozess etwa sechs Tage, im Kleinhirn rund drei Wochen.“

Neue Methoden wie die von Hippenmeyer entscheidend mitentwickelte MADM, ein Analyseverfahren, mit dem sich die Nachkommen einzelner Stammzellen markieren und beobachten lassen, erlauben heute völlig neue Einblicke. Die Zellen werden mittels UV-Licht in unterschiedlichen Farben zum Leuchten gebracht – man kreiert quasi ein Mosaik der Hirnregion. So ist es nun gelungen, die „Verwandtschaftsverhältnisse“ der Zellen zu entschlüsseln. Und so ließ sich am Beispiel des Pten-Gens etwa dessen zentrale Rolle bei der Herstellung des passenden Gleichgewichts von Zelltypen zeigen. Eine Störung könnte ein Defizit bei der Verarbeitung sensorischer Signale – und damit Autismus oder ADHS – erklären, so Hippenmeyer.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.