Gastkommentar

Ideen lassen sich nicht töten, aber delegitimieren

Peter Kufner
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Es ist auch unsere Aufgabe im Westen, der Hamas als Organisation und ihrer zugrundeliegenden Ideologie entgegenzutreten.

Die internationale Kritik an Israels Militäreinsatz im Gazastreifen steigt. Die UN-Generalsversammlung sprach sich mehrheitlich für einen sofortigen Waffenstillstand aus. Obwohl die USA gegen die Resolution stimmten, erhöht Washington den Druck auf Israel. Außenminister Eli Cohen kontert, Israel würde den Krieg auch ohne internationale Unterstützung fortsetzen. Das deklarierte Ziel Benjamin Netanjahus, die Eliminierung der Hamas, bleibt daher auf lange Sicht unverändert. Hierbei sind die israelischen Entscheidungsträger nicht nur mit einem komplexen militärischen Problem konfrontiert.

Der Einfluss der Hamas im Gazastreifen gründet neben einer militärischen Kontrolle auf einer tiefen ideologischen Verwurzelung. Schon im britischen Mandat Palästina begannen islamistisch orientierte politische Aktivitäten. Ihr bekanntester Vorreiter war der Imam und militante Antizionisten Izz ad-Din al-Qassam. Der Ruf Al-Qassams zum moralischen sowie kriegerischen Jihad und sein „Märtyrertod“ machten ihn zum Nationalhelden und zur Symbolfigur der Hamas. Der militärische Flügel der Hamas, die Qassam-Brigaden, und die selbst entwickelten Qassam-Raketen tragen seinen Namen.

Slogan „Islam ist die Lösung“

Die Hamas hat ihre Ursprünge in der ägyptischen Bewegung der Muslimbruderschaft und bezeichnet sich selbst als ihr Zweig in Palästina. Ihre tiefe Verankerung in Teilen der palästinensischen Gesellschaft kann direkt auf die Methodik der Muslimbruderschaft zurückgeführt werden. Die Vision des Gründers der Muslimbruderschaft, Hasan Al-Banna, war, durch eine graduelle Islamisierung der Gesellschaft die islamische Zivilisation zu restaurieren. Er forderte, den Islam als allumfassendes System einzuführen, das Lösungen für alle politischen, ökonomischen, kulturellen und sozialen Probleme anbieten würde. Seine Strategie fokussierte sich auf Bildung und soziale Hilfeleistungen als Alternative zum schwachen Staat. Die Verbreitung seiner Lehre verband er mit dem Konzept der islamischen Missionierung Da ‘wa (Ruf zu Gott). Der Slogan der Muslimbruderschaft, „Islam ist die Lösung“, wirkt bis heute auf die Hamas.

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In den palästinensischen Gebieten wurde diese Strategie erfolgreich über Jahrzehnte angewendet, sodass es zu einem Wahlerfolg und einer blutigen Machtübernahme der Hamas 2007 im Gazastreifen kam. Große Teile der Bevölkerung begrüßten die islamistische Bewegung als politische Alternative zur säkularen und als korrupt geltenden Fatah. Es ist wichtig zu erinnern, dass Israel seither mit einer Nachbarregierung konfrontiert ist, die aus ihrer genozidalen Ideologie kein Hehl macht.

Ein Blick in die Gründungscharta der Hamas offenbart ihre islamistische Weltanschauung und Zukunftspläne. Zu Beginn des Dokuments wird die Zukunft Israels durch ein Zitat beschworen, das dem Gründer der Muslimbruderschaft, Hasan al-Banna, zugeschrieben wird: „Israel wird entstehen und so lang bestehen bleiben, bis der Islam es abschafft, so wie er das, was vor ihm war, abgeschafft hat“. Neben der „jüdischen Weltverschwörung“ und dem westlichen Imperialismus wird die Vernachlässigung des Islam als Wurzel des palästinischen Unglücks identifiziert. Die Hamas erhebt den Anspruch auf ganz Palästina, das als göttlich gestiftetes „Waqf-Land“ gesehen wird. Israel wird das Existenzrecht abgesprochen.

Schnittmenge: Antisemitismus

Auch Europa ist ein wichtiger Schauplatz dieses ideologischen Konflikts. Aktuell skandieren Demonstranten auf den Straßen europäischer Städte „From the river to the sea, Palestine will be free“. Besonders beschämend ist, dass einige der lautstarken Unterstützer auf Nachfrage weder das besagte Meer noch den Fluss nennen können. Offen bleibt die Frage, welchem Anteil der Demonstranten die Implikationen der geforderten Parole bekannt sind und ob es sich hier um Ignoranz oder Böswilligkeit handelt. Die berechtigte Sympathie mit der Zivilbevölkerung Gazas und mit dem Leid der Palästinenser sollte jedoch nicht mit der Verherrlichung von islamistischem Terrorismus gleichgesetzt werden. Sicher ist, dass sich der harte Kern der antisemitischen und Hamas unterstützenden Aktivisten auf unseren Straßen aus Teilen der islamistischen und linksextremistischen Szenen zusammensetzt. Es gibt nicht viel, worauf sich Islamisten, Rechtsextreme und Linksextreme einigen können, im Falle des Antisemitismus lässt sich jedoch eine Schnittmenge finden.

In den vergangenen Jahren wurden Stimmen an Universitäten lauter, die bemängelten, die Charta würde zu Unrecht verwendet werden, um die Hamas als Regierungspartei zu delegitimieren und aus Friedensverhandlungen auszuschließen. Das Hamas-Strategiepapier von 2017 wurde auch von einigen Beobachtern fälschlich als Abkehr des Zieles der Vernichtung Israels gewertet. Der 7. Oktober hat nicht nur zweifellos gezeigt, dass die Hamas an keiner friedlichen Zweistaatenlösung interessiert ist, sondern bereit ist, mit bestialischer Gewalt ihr Ziel, die Etablierung eines islamischen Staates und die Vernichtung Israels, durchzusetzen. Dennoch hat es nicht lang gedauert, bis manche Stimmen das Massaker an Zivilisten als legitimen palästinischen Widerstand zu relativieren versuchten.

Bestialische Gewalt

Es heißt, man könne Ideen nicht töten. Aber wie hat ein Volk und seine Regierung zu reagieren, das seit jeher Gefahr läuft, von eben diesen Ideen getötet zu werden? Ein militärischer Sieg der israelischen Armee über die Hamas wäre eben nur ein Sieg über die aktuellen militärischen Strukturen der Terrororganisation im Gazastreifen. Die Ideologie der Hamas, die verschiedene Aspekte des Islamismus, Jihadismus, Antisemitismus und palästinensischen Nationalismus synthetisiert, würde nicht über Nacht verschwinden. Seit mehr als 15 Jahren werden die Schulcurricula in Gaza von der Hamas mit Hass injiziert. In Sommercamps der Hamas werden Kinder darin trainiert, Waffen abzufeuern und israelische Soldaten zu entführen – der Jihad gegen die „Zionisten“ als Freizeitaktivität für die Kleinsten. Kindern und Jugendlichen wird vermittelt, als Märtyrer für die Pläne der islamistischen Organisation zu sterben, wäre eine erstrebenswerte Zukunftsaussicht.

Gewalttaten unentschuldbar

Ideen lassen sich nicht töten, aber sie können delegitimiert werden, und die Organisationen, die als ihre Träger fungieren, können handlungsunfähig gemacht werden. Dieser Strategie wurde schon öfters erfolgreich eingesetzt, um die Ausbreitung von gefährlichen Ideologien zu verhindern. Die Ideologie von Isis und al-Qaida, die sich in gewissen Bereichen von der der Hamas unterscheidet, ist nicht verschwunden. Sie geistert immer noch durch die digitalen Weiten des Internets und infiziert geschädigte Seelen. Der Einfluss ihrer Träger wurde jedoch stark dezimiert, und ihre Gewalttaten gelten als unentschuldbar.

Deshalb ist es auch jetzt unsere Aufgabe im Westen, der Hamas als Organisation und ihrer zugrundeliegenden Ideologie entgegenzutreten. Hierbei sollten neben den Sicherheitskräften auch Universitäten und Schulen eine wichtige Rolle spielen.

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Der Autor

Jakob Brandstätter (* 1990) studierte „Security & Diplomacy“ an der Tel Aviv Universität. Während seines Studiums spezialisierte er sich auf extremistische Ideologien. Er ist als Projektmanager beim Thinktank Global Neighbours tätig.

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