Mein Dienstag

Bauchgefühl

Thomas Schubert und Paula Beer in Christian Petzolds „Roter Himmel“.
Thomas Schubert und Paula Beer in Christian Petzolds „Roter Himmel“.Christian-Schulz-Schramm-Film (Stadtkino)
  • Drucken

Unser Bauchgefühl lässt uns eigentlich nie im Stich. Dennoch ist die Skepsis gegenüber dieser Form von Intuition enorm.

Es gibt da diese Szene in Christian Petzolds Film „Roter Himmel“, der derzeit im Kino läuft. Leon (Thomas Schubert) fragt Nadja (Paula Beer), was sie vom Manuskript seines neuen Buchs hält, das er ihr zu lesen gegeben hat. „Es ist Bullshit. Und das weißt du auch“, antwortet sie. Obwohl er das tatsächlich weiß, weil er selbst nicht zufrieden ist mit seinen Ideen und ihm auch sein Verleger zu verstehen gibt, dass aus dieser Geschichte nichts mehr wird, trifft ihn Nadjas Kritik hart. Was beachtlich ist, spricht sie doch nur das Offensichtliche aus.

Beachtlich, aber nicht widersprüchlich. Denn wer kennt dieses Phänomen nicht, dem eigenen Bauchgefühl nicht trauen zu wollen? Obwohl es einen eigentlich nie im Stich lässt. Ich vermute ja, dass es unsere Fähigkeit zur Verdrängung ist, die dafür sorgt, dass wir unser Bauchgefühl nicht wahrhaben wollen. Denn interessanterweise neigen wir eher dazu, negative Vorahnungen zu verleugnen. Bei positiven hingegen sind wir häufig nicht aufzuhalten und rechtfertigen unseren Aktionismus sogar mit unserem Bauchgefühl. Im Privatleben ebenso wie im Beruf.

Wenn ich zum Beispiel einen Artikel geschrieben habe, weiß ich in der Sekunde, ob er mir gelungen ist. In all den Jahren kann ich mich nicht daran erinnern, dass ich eine, sagen wir, Kolumne für großartig gehalten habe, alle anderen im Ressort aber für missglückt. Oder umgekehrt. Dennoch erhoffe ich mir auch dann positives Feedback, wenn ich ganz genau weiß, dass es nicht gerechtfertigt wäre. Und wenn das Feedback – wie eigentlich erwartet und gerechtfertigt – negativ ausfällt, bin ich enttäuscht.

Wie gesagt, anders als mit Verdrängung kann ich mir das nicht erklären. Wie Leon im Film, der Nadja sogar noch fragt, ob sie ihre „Kritik“ präzisieren könne. Ist das zu glauben? Was soll sie denn noch sagen? Verrückt, oder? Nein, finde ich nicht. Sondern einfach nur menschlich. So sind wir eben. Niemand von uns ist vor dieser Art von Verdrängung und Verleugnung gefeit. Wer ganz ehrlich zu sich ist, kann diese Tatsache weder verdrängen noch verleugnen.

E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.