Musikwissenschaft.

Bruckner-Forschung: Wahrheit, Anekdoten und Rätsel

Die Digitalisierung musikalischer Quellen brachte neue Sichtweisen auf das Werk von Anton Bruckner (Bild: in seinem Arbeitszimmer am Klavier).
Die Digitalisierung musikalischer Quellen brachte neue Sichtweisen auf das Werk von Anton Bruckner (Bild: in seinem Arbeitszimmer am Klavier).Scherl/SZ-Photo/picturedesk.com
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Die Forschung der Akademie der Wissenschaften zu Anton Bruckner, dem musikalischen Jahresregenten 2024, ist digitaler und öffentlich einsehbar geworden.

Beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker wird erstmals eine Quadrille von Anton Bruckner erklingen. Das Stück dürfte der massenwirksame Auftakt eines Jubiläumsjahres werden, das neue Zugänge zum Schaffen und zur Person des Komponisten eröffnen soll. Manches Klischee, das sich mit dem 1824 in Ansfelden geborenen Schulmeisterssohn und spätromantischen Musikgenie verbindet, dürfte nicht nur durch die eine oder andere aufregende Interpretation seiner Musik korrigiert werden, sondern auch durch neue wissenschaftliche Ergebnisse.

Vor allem im Bereich der biografischen Forschung habe sich in den letzten 20 Jahren enorm viel getan, sagt Christian K. Fastl, der zusammen mit Andrea Harrandt das „Anton Bruckner-Lexikon online“ (ABLO) herausgibt. Das digitale Lexikon entstand an der Abteilung Musikwissenschaft des Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). 2022 abgeschlossen, wird es seither weiterhin punktuell ergänzt oder aktualisiert. Es beinhaltet rund 1000 Einträge mit zahlreichen Abbildungen und Notenbeispielen. Mehr als 140 Autorinnen und Autoren aus dem In- und Ausland waren daran beteiligt.

Das Projekt fußte auf einem 1996 (anlässlich des 100. Todestages) erschienenen Nachschlagewerk, dem von Uwe Harten herausgegebenen Bruckner-Handbuch. Letzteres sei nicht minder wissenschaftlich fundiert, sagt Fastl. Natürlich habe man dabei jedoch auf weniger Quellen als heute zurückgreifen können. „Es gab damals noch keine digitalisierten Zeitungen oder Kirchenmatrikel.“

Online nachschlagen

Das Lexikon ist auf der vom Musikwissenschaftler Robert Klugseder umgesetzten Forschungsplattform bruckner-online.at einzusehen. Sie versteht sich als umfangreiches Datenbank-Portal rund um Bruckner. Die Plattform ist unter anderem mit dem neuen digitalen Werkverzeichnis verlinkt, das ebenfalls an der ÖAW erarbeitet wurde und zum Jubiläumsjahr auch in gedruckter Form erscheinen soll.

„Mit dem Abschluss der Arbeiten zum Werkverzeichnis ergaben sich wiederum neue Forschungsfragen, wie zum Beispiel die umfassende Untersuchung der Kopisten, also derjenigen, die Bruckners Werke zu Lebzeiten und darüber hinaus abschrieben“, sagt Clemens Gubsch, ebenfalls ÖAW. „Bruckner steht hier keineswegs isoliert im Wiener Musikleben, denn es ließen sich Notenschreiber identifizieren, die auch für Johannes Brahms oder die Familie Strauss tätig waren.“

»Die durch Forschungen der letzten Jahre entdeckten neuen Fakten machen das Rätsel um Bruckners Leben und Werk nicht kleiner, sondern eher noch größer.«

Elisabeth Maier

ÖAW

In Vorbereitung sind außerdem zwei Bücher von Bruckner-Forscherinnen, die 2025 im Druck erscheinen sollen. Die Musikwissenschaftlerin Renate Grasberger (Witwe des Begründers des Linzer Anton-Bruckner-Instituts, Franz Grasberger) arbeitet an Band IV der Bruckner-Ikonografie. Und Elisabeth Maier, seit ihrer Pensionierung als ehrenamtliche Mitarbeiterin an der ÖAW tätig, widmet sich Bruckners Wirken als Professor am Konservatorium in Wien. Parallel dazu ist sie, unterstützt von Grasberger, mit dem Verfassen der neuen Biografie „Anton Bruckner. Blicke auf ein Leben“ beschäftigt. „Die durch Forschungen der letzten Jahre entdeckten neuen Fakten machen das Rätsel um Bruckners Leben und Werk nicht kleiner, sondern eher noch größer“, sagt sie.

Insgesamt jedoch habe sich seit den bis ins Jahr 1975 zurückreichenden Anfängen der Bruckner-Forschung an der ÖAW vieles getan, sagt Fastl, vor allem in den letzten zehn Jahren. „Durch das Wiederauffinden von lang verschollen gebliebenen Manuskripten, vor allem aus Bruckners musikalischer Studienzeit bei Simon Sechter (Professor am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien; Anm.) und Otto Kitzler (Kapellmeister und Dirigent am Theater in Linz; Anm.), sind jetzt ganz neue Sichtweisen auf Bruckners Werk möglich.“ Entscheidend dazu beigetragen habe die zunehmende Digitalisierung von musikalischen Quellen. Aber auch die Erarbeitung des neuen Werkverzeichnisses habe viele Erkenntnisse gebracht, vor allem abseits der „großen Werke“, also der Symphonien und Messen. Auch die Liste der Incerta (der Werke mit ungeklärtem Status) habe man deutlich reduzieren können.

Details, die ungeklärt sind

Nach wie vor gebe es allerdings Details in Bruckners Leben, die es noch zu erforschen gelte. „Wir wissen zum Beispiel bislang nicht mit Sicherheit, wie oft beziehungsweise wann Bruckner tatsächlich in Bad Ischl Urlaubstage verbracht hat. Mitunter ist es in der Bruckner-Forschung aber immer noch schwierig, Anekdote und Wahrheit unter einen Hut zu bringen. Manchmal stößt auch die Grundlagenforschung an ihre Grenzen, wenngleich die dynamische Entwicklung der Forschungslandschaft immer wieder auch unerwartet Neues preisgibt.“

Web: www.anton-bruckner-2024.at

Lexikon

Am 4. September 2024 jährt sich der Geburtstag des Komponisten Anton Bruckner zum 200. Mal.

An der ÖAW begeht man das Jubi­läum mit u. a. diesen Veranstaltungen: Internationales Symposium „Bruckner-Aspekte“ (10.–12. April), Jubiläumskonzert (10. April) und Fest zu Ehren Anton Bruckners im Arkadenhof (7. September).

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