Geschichte

Lukas und die Geschichte der Geburt von Bethlehem

Menschliche und zeitlose Szene. Die Geburt in Bethlehem, gemalt von Bartolomé Esteban Murillo (um 1657), zu sehen im Prado-Museum.
Menschliche und zeitlose Szene. Die Geburt in Bethlehem, gemalt von Bartolomé Esteban Murillo (um 1657), zu sehen im Prado-Museum. Getty Image
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Das Weihnachtsevangelium nach Lukas ist auch in seiner literarischen Qualität ohne Parallele im Neuen Testament. Doch wie sollen wir die Erzählung wirklich verstehen? Woher hatte Lukas sein Wissen? Warum ein Stall und warum wurde Jesus von einer Jungfrau geboren? 

Alle Jahre wieder werden für die Vorbereitung des Weihnachtsfestes gute, stimmungsvolle, aber auch gedanklich herausfordernde Texte gesucht. Sie sollen fern von Kitsch, Klischee und Kommerz sein, es soll nicht nur um Schneeflocken, Schlitten und Rentiere gehen. Aber dennoch wird erwartet, dass die Stimmung, die man als Kind erlebt hat, widergespiegelt wird. Welcher Text schafft das schon, angesichts der übermächtigen idealisierten Erinnerung, die jeder von uns mit sich trägt? Doch, es gibt eine solche Erzählung. Die, die zu Weihnachten noch in die Kirche gehen, werden sie im vertrauten Wortlaut hören. Jeder Satz ist bekannt, man kann ihn in Gedanken mitsprechen. Es ist die Erzählung von der Geburt von Jesus, dem Christuskind, wie sie der Evangelist Lukas, ein begnadeter Erzähler, einst der Welt geschenkt hat.

Die Erzählungen von Lukas über das Leben von Jesus sind so berückend schön, so farbig in der Art, wie Szenen gestaltet und Menschen porträtiert werden, dass sie bei allen, die unterrichten oder predigen, als ideale Texte gelten, um die Botschaft des Evangeliums zu vermitteln. Aber dennoch sind sie nicht einfach gefällig, sie sollen zum Nachdenken anregen, lassen auch Widerspruch zu. Und sie haben ein Ziel: Nämlich zum Glauben zu führen. „Lukas erzählt von Jesus wie kein Zweiter“, schreibt Thomas Söding, Professor für Neues Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Bochum. Sein Lukas-Kommentar, er nennt ihn „Auslegung“, heuer in zwei Bänden erschienen, ist auch für Nichttheologen verständlich geschrieben. Was uns Söding in den Kapiteln über die Geburt von Jesus mitteilt, soll hier in verkürzter Form wiedergegeben werden.

Doch zuerst: Woher hat Lukas sein Wissen? Er schreibt bereits im Rückblick, kurz nach 70 n. Chr., dem Jahr der Tempelzerstörung, noch sind die Erinnerungen an Jesus frisch, doch er muss schon mit der Überlieferung arbeiten, steht in einer Traditionskette, von den Augenzeugen bis zu ihm selbst. Sie verbürgt ihm die Authentizität der Erinnerung. Daraus schöpft er, stellt dar, was Jesus getan und gelehrt hat, sammelt, um zu erzählen, sortiert aber auch aus. Sicher hat er als Begleiter des Paulus viel von Jesus gehört. Lukas entschließt sich, der Geschichte des öffentlichen Wirkens von Jesus eine „Kindheitsgeschichte“ voranzustellen. Sie ist populär bis heute.

Authentisch

Ohne Zweifel hatte er auch ein historisches Interesse, das ihn zu der Biografie von Jesus führte. Sie ist aber keine Dokumentation im heutigen Sinn, sondern eine „reflektierte Darstellung“ (Söding). Literarischer Konvention folgend hat er zu Beginn ein Vorwort, ein Prooemium, geschrieben, das Methode, Anspruch und Ziel seines Werks festhält. Er verbindet hier „das Ethos des Historikers mit dem Pathos des Theologen“ (Söding). Denn alle Ereignisse, die er erzählt, sind nicht allein nach relevanten historischen Kriterien zu beurteilen, sondern sie haben eine Zukunftsbedeutung, die sich in der Gegenwart abzeichnet.

Im Evangelienkanon steht Lukas an dritter Stelle nach Markus und Matthäus. Die Geschichte der Evangelien beginnt also nicht mit ihm. Er kennt den Text von Markus, er greift aber selbst auf alte Jesustraditionen aus Judäa und Galiläa zurück, fast die Hälfte seines Werks ist „spezifisch Lukas“, Material, das er selbst recherchiert, arrangiert und redigiert hat. Man findet dazu keine Parallelen in den anderen Evangelien. Heute sagt man: Es sei das Evangelium „nach Lukas“. Damit ist gemeint: Es gibt nur ein Evangelium, eine Frohe Botschaft, sie wird aber durch menschliche Medien vermittelt, so wie Menschen es mit ihren Ohren gehört, ausgelegt und verbreitet haben.

Die Geburtserzählung kommt in den Evangelien nur bei Lukas und Matthäus vor, im engeren Sinne nur bei Lukas. Es gibt Gemeinsamkeiten, aber sie gehen über ein paar elementare Berührungspunkte nicht hinaus: Bethlehem, Herodes, Maria als Jungfrau. Die beiden Erzählungen sind offenbar aus verschiedenen Traditionen hervorgegangen, aber am Beginn stand doch dieselbe Überlieferung. Die wichtigste Gemeinsamkeit der beiden Evangelisten: Beide unterstreichen die Messianität Jesu. Doch auch die Unterschiede sind gravierend, hier gibt es Kreativitätspotenzial.

Während Matthäus das Geburtsgeschehen aus der Perspektive Josephs erzählt, gibt Lukas der Mutter, Maria, nach dem Neugeborenen die zweitwichtigste Rolle im Geschehen der Heilsgeschichte. Das zeigt schon die Verkündigung der Geburt von Jesus. Die junge Frau ist in Nazareth zu Hause, hier, im privaten Bereich, erscheint ihr „ein Engel des Herrn“, Gabriel, und sagt ihr die Geburt des Kindes, des Erlösers, voraus. Wie reagiert Maria? Sie überlegt und stellt Rückfragen, sie ist alles andere als ein willenloses Instrument des Heilsplanes, sondern wird aktiv in das Geschehen einbezogen. Sie verlangt Antworten auf ihre Fragen. Sie ist mit Joseph verlobt, aber noch nicht verheiratet und hatte mit ihm noch keinen sexuellen Verkehr. „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ lässt der Evangelist sie sagen.

„Statt der Unwürdigkeit wird die Unmöglichkeit thematisiert“, analysiert Thomas Söding. Die Antwort des Gottesboten: Sie sei im Zustand der „Gnade“, weil sie berufen sei, eben dieses Kind, Jesus, zur Welt zu bringen. Die Gottessohnschaft wird auf den Heiligen Geist zurückgeführt.

„Die Jungfrauengeburt erscheint der Moderne als Mythos im Evangelium. Aber diese Auffassung ist selbst ein Mythos“, so Söding. Die religionsgeschichtlichen Parallelen würden alle in eine ganz andere Richtung weisen. Wenn in der ägyptischen Pharaonenideologie ein Gott mit der kommenden Königin ein Kind zeugte, das dann als Gottes Sohn galt, war das ein Mythos, der der Legitimation von Herrschaft diente. Im Judentum hat die Jungfrauengeburt aber eine ganz andere Tradition. Aus der „jungen Frau“ der hebräischen Texte wird die „Jungfrau“, „weil ihr Kind, messianisch gedeutet, sich nicht der männlichen Zeugungskraft verdankt, sondern Gott“, so Söding.

Legende

Zur Geburtsgeschichte selbst: Sie gilt weithin als Legende, alle Einwände „überzeugen allerdings nicht“ (Söding). „Die Eröffnung baut einen starken Kontrast auf“, schreibt er, „Augustus, der römische Kaiser, setzt eine ganze Welt in Bewegung – aber das Heil der ganzen Welt hängt daran, dass Joseph mit Maria nach Bethlehem geht, damit Jesus dort geboren wird.“ Eine von Kaiser Augustus angeordnete weltweite Volkszählung ist in den antiken Quellen nicht belegt. Die Tendenz, Einwohnerlisten anzulegen, vor allem aus steuerlichen Gründen, um die finanzpolitische Macht Roms abzusichern, gab es aber. Es gibt auch Belege, dass man den Stammsitz der Familie dafür aufsuchen musste, um sich in die Steuerlisten einzutragen. Deswegen ging nach Lukas Joseph, der in Galiläa lebte, mit Maria nach Bethlehem. Von dort, der Stadt König Davids, leitete er seine Herkunft her, hier waren die Wurzeln seiner Familie. Es gibt im Neuen Testament nirgends einen alternativen Geburtsort. Für Lukas ist der Weg des Paars nach Bethlehem keine Legende, sondern Teil der historischen Biografie von Jesus.

In der Anrede des Engels wurde bereits alles Wesentliche gesagt, das entscheidende Ereignis der Geburt in Bethlehem wird daher nur knapp erzählt, in zwei Sätzen. Eine „effektvolle Reduktion, die für Sentimentalitäten keinen Raum lässt“ (Söding). Es geht zwar um Armut, aber ohne viel Moralisierung. Kein Platz in der Herberge, die wohl ein Gastraum war, der an die Synagoge oder an ein Wirtshaus angeschlossen war? Konnte vorkommen. Die Notlage wurde von Joseph und Maria gemeistert, die Krippe, wohl ein Futtertrog, musste aushelfen, auch um Windeln kümmerten sie sich. Von der Krippe schloss die lateinische Tradition auf den „Stall“, in der Ostkirche war es eine Höhle. Archetypisch ist beides. „Die Erzählung kann verkitscht werden, ist aber realistisch“ so Söding, „sie ist auch theologisch stimmig.“ Auch jenseits von Faktenchecks behalten die Details ihren Symbolwert.

Die eigentliche theologische Deutung wird auf dem Hirtenfeld von Bethlehem geliefert, durch einen „Engel des Herrn“, der Jesus als „Retter“ bezeichnet. Der alte hellenistische Herrschertitel ist bei Lukas für Gott reserviert. Damit kommt er auf den Punkt: Das neugeborene Kind repräsentiert Gott. „Die Geburt hält alles zusammen“, schreibt Thomas Söding, „sie klärt, dass Gottes Heil nicht irgendwo in Utopia, sondern mitten in der Welt passiert, mitten in Israel, an der Peripherie von Bethlehem.“

Erschienen

Thomas Söding:

»Das Evangelium nach Lukas«

Die Botschaft des Neuen Testaments

Vandenhoeck & Ruprecht, 2 Bände, 663 Seiten, 60 Euro

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