Gastkommentar

Religion als vierte Macht

Peter Kufner
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Wenn Religion wie gerade im Nahostkonflikt das Geschehen dominiert, ist der Weg zu einer friedlichen Lösung versperrt.

Allen Beteuerungen zum Trotz kann im derzeit wieder so heftig aufgeflammten Nahostkonflikt weder für die eine noch für die andere Seite guten Gewissens Partei ergriffen werden. Wenn das Deutschland und Österreich derzeit tun, dann nicht, weil sie glauben, damit der Gerechtigkeit Genüge zu tun, sondern weil die historische Bürde das von ihnen verlangt.

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Das größte Hindernis auf dem Weg zum Frieden ist, wie so häufig, die Religion. Und es ist kein Zufall, dass die Konfrontation mit der jetzigen rechts-religiösen Regierung in Israel einen neuen Höhepunkt erreicht. Religion immunisiert sich gegen jede Kritik. Dabei wäre gerade hier Kritik am wichtigsten.

Eine humanistische Lösung für den Nahostkonflikt läge darin, den Einfluss der Irrationalität und der Religion zurückzudrängen und den Leuten in Gaza und im Westjordanland vernünftige Perspektiven zu bieten, indem man die zig Milliarden aus den Golfstaaten von woanders in eine Freihandelszone und in Arbeitsplätze investiert anstatt in Waffen.

Das Wichtigste aber ist eine Kampagne gegen die andauernden Rachegelüste (Aug’ um Aug’…). Rache ist kontraproduktiv. Wem das nicht einleuchtet, der möge sich an die Geschichte von Linda und Peter Biehl halten, ein kalifornisches Unternehmerehepaar, das es vorgelebt und dem Mörder ihres Sohnes vergeben hat.

Aus humanistischer Sicht kann man Israelis und Palästinensern nur raten, besonnenere, nicht religiöse Regierungen zu wählen. Ihre derzeitigen Führungen haben zur Genüge ihre Inkompetenz und grenzenlosen Eigennutz bewiesen.

Säkularismus als Ausweg

Überall auf der Welt, wo sich theokratische oder rechtsreligiöse Führungsteams etablieren, geht es mit der Vernunft bergab. Es gibt keinen politischen Ausgleich mehr, und es fehlt die Kraft, Frieden zu bewahren. Was wir im Nahen Osten gerade beobachten können, ist eine typische Folge fehlender Trennung von Religion und Staat auf beiden Seiten.

Was es brauchen würde, ist Säkularismus – ein westlicher Wert, der selbst in der EU nicht dezidiert angesprochen wird, obwohl der Erfolg der Union darauf beruht.

Wenn die Religion einen zu großen Einfluss auf das politische Geschehen hat, entsteht ein undemokratisches System. Neben den drei bestimmenden Säulen der Demokratie – Legislative, Jurisdiktion und Exekutive – greift eine vierte Macht ein, die Religion. Die schickt sich in Israel und anderswo an, die drei Säulen selbst anzugreifen, primär die Jurisdiktion. Die Demonstrationen und die jüngste Entscheidung des Obersten Gerichts zeigen aber, dass Israel sich gegen den Angriff zur Wehr setzt.

Die Religion als vierte Macht ist entgegen den drei Säulen von Montesquieu eine irrationale Macht, die mit Argumenten nicht bekämpft werden kann. Sie basiert auf Dogmen („Es gibt nur einen Gott, und das ist Jahwe bzw. Allah“), politischen Postulaten („Juden sind Feinde“) und sogenannten Offenbarungen aus grauer Vorzeit. Aber diese religiösen Leitsätze und Gebote sind so geeignet für unser heutiges Leben, wie es die damaligen Verkehrsregeln im Vergleich zu den heutigen sind.

Wohin es führt, wenn Religion in der Politik das Sagen hat, sieht man in islamischen Staaten und zuletzt auch in Israel. Selbst in Österreich gibt es diesbezüglich noch viel zu tun. Erinnern wir uns nur, wie H.-C. Strache einst bei einer Kundgebung in der Brigittenau die Demonstranten mit einem hocherhobenen Kreuz angeführt hat.

Gerhard Engelmayer ist Vorsitzender des Freidenkerbundes Österreich und des Zentralrats der Konfessionsfreien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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