Gesundheit

Ärztekammer warnt erneut vor „Konzernisierung“ der Medizin

Johannes Steinhart, Präsident der Wiener und der Österreichischen Ärztekammer.
Johannes Steinhart, Präsident der Wiener und der Österreichischen Ärztekammer.Clemens Fabry
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Private Investoren könnten in den öffentlichen Sektor drängen. Dadurch würde die Versorgungsqualität deutlich abnehmen.

Die Österreichische Ärztekammer warnt einmal mehr mit Nachdruck vor einer, wie sie es nennt, „Konzernisierung“ des öffentlichen Gesundheitssystems. Neben einer aktuellen Studie im Fachmagazin „Journal der American Medical Association“, die einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Privatisierung von Gesundheitseinrichtungen und Senkung der Versorgungsqualität belege, bestätige auch eine zweite Studie diese mögliche Entwicklung. Im „British Medical Journal“ hatten bereits im Juli Fachleute wissenschaftliche Studien aus acht Staaten neuerlich analysiert, wobei der Schwerpunkt auf den Vereinigten Staaten lag.

Untersucht wurden Pflegeheime, Krankenhäuser, Gruppenpraxen und andere Einrichtungen. Die Kernaussage ist, dass private Beteiligungen an Gesundheitseinrichtungen mit einem Anstieg der Kosten für Patienten oder Zahler, also beispielsweise Krankenkassen, verbunden sei.

„Auch diese Studie unterstreicht unsere Warnungen vor zunehmendem Einfluss privater Investoren im Gesundheitsbereich. Die Versorgungsqualität nimmt ab, während das System teurer wird“, sagt Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen und der Wiener Ärztekammer. In der Studie werde darüber hinaus angeführt, dass private Konzerne allein seit dem Jahr 2021 mehr als 200 Milliarden Dollar für Unternehmenskäufe und -beteiligungen im Gesundheitssektor ausgegeben hätten.

„Unternehmen wollen Rendite“

„Mit dieser Finanzmacht wird kein System mithalten können. Selbstverständlich wollen diese Konzerne Renditen für ihre Ausgaben sehen – und dafür werden Patienten sowie die solidarischen Gesundheitssysteme, also alle Steuerzahler, aufkommen müssen“, sagt Steinhart. In Österreich sei den Konzernen durch die aktuelle Gesundheitsreform, die mit Anfang des Jahres in Kraft trat, die Tür geöffnet worden. Das müsse so schnell wie möglich korrigiert werden. „Ich fordere die Politik auf, jetzt schnell die Notbremse zu ziehen, bevor wir sehenden Auges denselben Negativkurs einschlagen, den Deutschland aktuell verzweifelt zu verlassen versucht.“ Der freie ärztliche Beruf sowie das solidarische Gesundheitssystem Österreichs müssten geschützt werden und das Patientenwohl über wirtschaftlichen Interessen stehen.

Hintergrund: Ambulatorien durften in Österreich bisher nicht ohne Zustimmung der Ärztekammer gegründet werden, sie hatte eine sogenannte Parteienstellung und war somit in die Gründung miteingebunden. Diese Parteienstellung fällt künftig weg, somit dürfen die Bundesländer auch ohne Zustimmung der Kammer private Ambulatorien genehmigen.

Auch die Österreichische Gesundheitskasse darf eigene Kassenambulatorien (von denen es schon zahlreiche gibt und die beispielsweise in Wien auch Gesundheitszentren genannt werden) eröffnen, ohne die Kammer einzubinden – bisher war hier ebenfalls eine Zustimmung der Kammer erforderlich.

Ambulatorium mit Kassenvertrag

In Zukunft kann also beispielsweise ein Versicherungskonzern ein Ärztezentrum errichten, dieses Zentrum Ambulatorium nennen, Ärzte aus unterschiedlichen Fächern anstellen und das Zentrum betreiben wie eine große Gruppenpraxis. Mit der Gefahr, dass vor allem jene medizinischen Leistungen angeboten werden, die für den Konzern lukrativ sind.

Diese Zentren könnten sogar von der Sozialversicherung einen Kassenvertrag bekommen, wenn sie ansuchen und die Bedarfsplanung (die bisher alle Gesundheitseinrichtungen berücksichtigte, künftig nur noch jene mit Kassenvertrag, also etwa keine Wahlärzte mehr) das zulässt. (kb)

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