Gastkommentar

Die demokratische Insel, die Chinas Machthaber reizt

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Taiwans Urnengang am 13. Jänner hat die Aura einer Schicksalswahl. Vor allem Peking beobachtet sie mit Argusaugen.

Am 13. Jänner wird in Taiwan gewählt – eine Schicksalswahl, wie viele meinen. Die jetzige Präsidentin, Tsai Ing-wen, kann nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Chinas Machthaber, Xi Jinping, hatte 2016 ihre Wahl zum Anlass genommen, um die demokratisch regierte Insel unter Druck zu setzen. Xi behauptet, dass Taiwan zu China gehöre, obwohl die Insel nie Teil der kommunistischen Volksrepublik war.

Tsai Ing-wen hält dagegen und erinnert Xi daran, dass die „Republik China“, wie Taiwan sich nennt, nach wie vor ein souveräner Staat sei. Das stößt in Peking naturgemäß sauer auf. Seit dem Besuch der US-Politikerin Nancy Pelosi Anfang August 2022 auf der Insel hat Xi den militärischen Druck auf die Insel noch einmal erhöht. Fast täglich überqueren seitdem Kriegsschiffe und Kampfjets den Median in der Taiwanstraße, der die chinesische Diktatur vom freien Taiwan trennt.

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Wenn ein Land in einer solchen angespannten Situation an die Wahlurne geht, ist das Thema Krieg oder Frieden das Entscheidende. Zuletzt führte der Stellvertreter von Tsai Ing-wen, Lai Ching-te, in allen Umfragen. Sollte es wieder ein Präsident der Demokratischen Fortschrittspartei DPP werden, könnte Xi das zum Anlass nehmen, die Insel anzugreifen.

Ausbleibende Antwort

Gegen den Liberalen schicken die beiden konservativen, China-freundlichen Parteien ihre Kandidaten ins Rennen. Hou Yu-ih von der Kuomintang-Partei und Ko Wen-je von der Taiwan-People’s-Partei wollen Wähler mit der Ankündigung gewinnen, dass unter ihnen das Verhältnis zur Volksrepublik besser werden würde. Die Antwort auf die Frage, wie das angesichts der chinesischen Provokationen gelingen soll, blieben sie schuldig.

Am ehesten dürften sie darauf hoffen, dass Pekings Treiben die Menschen in Taiwan müde und mürbe macht und sie sich am Ende deshalb für eine konservative Alternative entscheiden.

Die Kuomintang ist die Partei Chiang Kai-sheks, der 1949 Mao Zedongs Truppen unterlag und sich auf Taiwan zurückzog. Mao gründete die Volksrepublik, die 1911 gegründete Republik China ging verloren. Ihr letztes verbliebenes Territorium sind Taiwan und einige wenige kleinere Inseln in der Umgebung.

Sündenfall Hongkong

Chiang regierte Taiwan mit Militärrecht, Tausende wurden gefoltert und starben. Erst in den 1980er-Jahren wurde das Land von Chiangs Sohn schrittweise und gewaltlos in eine Demokratie überführt.

Für jene Taiwaner, die sich noch an die Gewaltherrschaft der Kuomintang erinnern können, ist eine Annäherung an China keine Option. Sie haben einmal unter einer Diktatur gelebt und möchten nicht zu einer zurückkehren.

In Umfragen geben bis zu 75 Prozent der Menschen an, sich als Taiwaner und nicht als Chinesen zu fühlen. Sie erklären sich bereit, im Kriegsfall für die Freiheit der jungen Nation zu kämpfen.

Der Fall Hongkongs hat die Menschen auf Taiwan entsprechend alarmiert: Nach der Rückgabe der britischen Kronkolonie an die Volksrepublik 1997 wurden Hongkong unter der Formel „Ein Land, zwei Systeme“ für 50 Jahre demokratische Sonderrechte zugesprochen. Doch Diktator Xi hat die Vereinbarung gebrochen und die Menschen in Hongkong unterjocht.

Peking hat den Menschen auf Taiwan kein neues Angebot eines Miteinanders gemacht, nachdem es „Ein Land, zwei Systeme“ in Hongkong diskreditiert und abgeräumt hat. Das ist auch das große Problem, vor dem die beiden konservativen Parteien im Wahlkampf stehen. Sie behaupten zwar, dass sich unter ihrer Ägide das Verhältnis zu Peking ändern würde, doch Antworten auf die Frage, wie sie den Machthaber, der Taiwan angreifen will, beschwichtigen wollen, müssen sie schuldig bleiben. Untereinander sind sich die beiden Parteien auch nicht grün.

Einig sind sie sich nur im Vorwurf gegen Tsai und ihre Fortschrittspartei, die Unabhängigkeit Taiwans erklären zu wollen und Peking so letztlich zu einer Invasion zu provozieren. Doch in der Realität hat sich in den vergangenen acht Jahren am Status quo des Eilands nichts geändert. Tsai sagt, dass die Republik China nach wie vor ein unabhängiger Staat sei, es also keinen Grund gäbe, irgendeine Unabhängigkeit zu erklären.

Innenpolitische Defizite

Auch wenn Tsais Nachfolger wieder aus der liberalen Fortschrittspartei stammen dürfte, ist ein Wahlerfolg der DPP in den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen nicht ausgemacht. Zwar attestieren die Menschen Tsai eine hohe Glaubwürdigkeit, wenn es darum geht, China die Stirn zu bieten. Bei den anderen, innenpolitischen Themen, wie steigenden Mieten, Jobperspektiven für die Jugend, Energiesicherheit, liegen die Zustimmungswerte hingegen nicht besonders hoch.

Xi Jinping ist das quirlige Eiland ständig ein Dorn im Auge, weil die Menschen dort eine erfolgreiche Demokratie aufgebaut haben. Chinas Diktator fürchtet, dass dieses gute Beispiel die unterdrückten Menschen in seinem Reich inspirieren könnte, auch auf dem Festland eine Demokratie anzustreben. Für die Menschen auf Taiwan wird daher schon allein die Tatsache zur Gefahr, dass sie wählen gehen dürfen. Denn dieses demokratische Grundrecht will die Kommunistische Partei den Menschen in China auch weiterhin vorenthalten.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Prof. Alexander Görlach (*1976 in Ludwigshafen am Rhein) unterrichtet derzeit Demokratie-Theorie an der New York University. Zuletzt erschien von ihm „Alarmstufe Rot: Wie Chinas aggressive Außenpolitik im Westpazifik in einen globalen Krieg führt“ (2022) im Verlag Hoffmann und Campe.

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